Erster Artikel. Es giebt eine solche Wundergabe zum Besten der anderen.
a) Dem wird widersprochen: I. Jede Gnade wirkt etwas in jenem, dem sie verliehen wird. Das ist aber bei der Gnade, Wunder zu wirken, nicht der Fall; denn auch die Berührung an einem toten Körper kann Wunder wirken, wie 4. Kön. 13. berichtet wird: „Manche warfen die Leichen in das Grab des Elisäus; und als der betreffende Mensch die Gebeine des Elisäus berührt hatte, lebte er wieder und stand auf seinen Füßen.“ II. Die zum Besten anderer verliehenen Gnaden sind vom heiligen Geiste, nach 1. Kor. 12. Der unreine Geist macht aber ebenfalls Wunder, nach Matth. 24.: „Es werden falsche Christusse, und falsche Propheten aufstehen und werden große Zeichen und Wunder thun.“ III. Die Wunder werden unterschieden in Zeichen und Kräfte und Großthaten. Unzulässigerweise also wird das Wirken von Kräften vielmehr als Gnadengabe betrachtet wie das Wirken von Zeichen oder Großthaten. IV. Die wunderbare Herstellung der Gesundheit geschieht durch göttliche Kraft. Also muß man nicht unterscheiden das Wirken von Kräften und die Gabe, die Gesundheit wieder herzustellen. V. Das Wunderwirken folgt entweder dem Glauben des wirkenden, nach 1. Kor. 13.: „Wenn ich allen Glauben habe, so daß ich Berge versetze,“ oder dem der anderen, um derentwillen Wunder gewirkt werden, nach Matth. 13.: „Und Er that nicht da viele Wunderzeichen wegen ihres Unglaubens.“ Gilt also der Glaube als eine Gnade zum Besten der anderen, so ist es überflüssig, außer dieser Gnade noch eine eigene Wundergabe zu verzeichnen. Auf der anderen Seite steht die Autorität des Apostels. (1. Kor. 12, 9.)
b) Ich antworte, daß der heilige Geist in hinreichender Weise für die Kirche in allem dem sorge, was zum Heile nützlich ist. Wie es aber erfordert ist, daß die Kenntnis des Göttlichen, die jemand von Gott erhalten, den anderen mitgeteilt werde durch die Sprachengabe und die Gabe der Rede, so ist es, damit die Rede glaubwürdig werde, notwendig, daß sie durch Wunder bekräftigt werde, nach Mark. ult.: „Und er bekräftigte ihre Rede durch sie begleitende Wunder.“ Dies geschieht vernunftgemäßerweise. Denn es entspricht der menschlichen Vernunft, daß sie die vernünftig erkennbare Wahrheit durch sinnlich wahrzunehmende Wirkungen erfaßt. Und wie somit zur natürlichen Kenntnis Gottes der Mensch gelangen kann durch die Wahrnehmung der natürlichen Wirkungen Gottes, so wird er durch übernatürliche Wirkungen, also durch Wunder, zur übernatürlichen Kenntnis des zu Glaubenden angeleitet. Demgemäß ist das Wunderwirken eine zum Besten anderer verliehene Gnade.
c) I. Wie die Prophetie sich erstreckt auf alle übernatürliche Wahrheiten, so das Wunderwirken aus alle übernatürliche Thaten. Da nun, die Ursache davon die Allmacht ist, die keiner Kreatur mitgeteilt werden kann; so darf auch das Princip des Wunderwirkens, also die Wundergabe, nie als ein dauernder Zustand in der Seele betrachtet werden. Wie aber der Geist des Propheten von seiten des heiligen Geistes bewegt wird, um etwas zu erkennen; so wird der Geist des Wunderthäters bewegt, etwas zu thun, worauf die wunderbare Wirkung folgt, welche Gott kraft seiner Allmacht vollbringt. So betete Petrus, ehe er die Tabitha aufweckte, (Act. 9.) Als er aber Ananias und Saphira dem Tode übergab, ging kein Gebet seinerseits vorher. Daher sagt Gregor (2. dial. 30.): „Die Heiligen thun bisweilen Wunder auf Grund ihrer Macht, bisweilen auf Grund des Gebetes.“ In beiden Fällen aber ist die Allmacht Gottes an erster Stelle einwirkend und bedient sich wie geeigneter Werkzeuge manchmal der Worte eines Menschen, manchmal seiner inneren Bewegung oder einer äußeren Thätigkeit oder der körperlichen Berührung an toten Gebeinen. Darum folgt auf den Machtspruch Josua: „Sonne, bewege dich nicht gen Gabaon,“ unmittelbar: „Nicht war weder vorher noch nachher ein so langer Tag, da der Herr folgte der Stimme eines Menschen.“ II. Der Herr spricht dann von den Wundern, welche zur Zeit des Antichrist geschehen werden. Darüber sagt der Apostel (2. Thess. 2.): „Die Ankunft des Antichrist wird sein gemäß der Wirksamkeit Satans in aller Kraft und in Zeichen und Wunderwerken der Lüge.“ Und Augustin (20. de civ. Dei 19.) schreibt: „Man zweifelt, ob sie deshalb Lügenwunder genannt sind, weil er die Sinne der sterblichen durch Phantasiegebilde täuschen wird, daß er nämlich scheine zu thun, was er thatsächlich nicht thut; oder ob sie deshalb als lügenhaft bezeichnet werden, weil sie, obgleich wahr, zur Lüge hinziehen werden jene, die daran glauben.“ „Wahr“ nennt sie Augustin, weil die betreffenden Dinge selbst wahr sein werden, wie die Magier des Pharao wahre Frösche und wahre Schlangen machten; nicht aber weil es wahre Wunder seien, denn sie geschehen vermittelst natürlicher Ursachen. (Vgl. 1., Kap. 114, Art. 4.) Die Wundergabe aber als Gnade des heiligen Geistes hat zur Grundlage die göttliche Kraft und zum Zwecke das Heil der Menschen. III. Zweierlei muß man bei Wundern unterscheiden: 1. Das, was geschieht, dies ist etwas die natürliche Fähigkeit übersteigendes; und danach werden die Wunder „Kräfte“ genannt; — 2. das, weshalb die Wunder geschehen; nämlich um etwas übernatürliches zu offenbaren; und danach heißen sie gemeinhin „Zeichen“; sind sie aber sehr groß „Großthaten“ oder „staunenswerte Wunderwerke“. IV. Die Gnade des Heilens wird eigens genannt, weil sie außer der allen Wundern eigenen Wohlthat, zur Kenntnis von Übernatürlichem zu führen, noch eine eigene einschließen: nämlich den Körper zu heilen. V. Das Wunderwirken wird dem Glauben zugeschrieben aus zwei Gründen: 1. weil sein Zweck ist, den Glauben zu kräftigen; — 2. weil es von der Allmacht Gottes ausgeht, der Grundlage nämlich des Glaubens. Und trotzdem wie außer der Glaubensgnade noch notwendig ist die Gabe der Rede, um im Glauben zu unterrichten, so auch das Wirken von Wundern, um den Glauben zu kräftigen.
