Dritter Artikel. Hätte der Mensch nicht gesündigt, so wäre Gott nicht Mensch geworden.
a) Dagegen wird geltend gemacht: I. Bleibt die Ursache bestehen, so bleibt auch die Wirkung. „Vieles Andere aber ist,“ nach Augustin (13. Trin. 17.) „als Grund zu denken bei der Menschwerdung Christi, abgesehen von der Befreiung von der Sünde.“ Hätte also der Mensch auch nicht gesündigt, so wäre trotzdem Gott Mensch geworden. II. Der Allmacht Gottes gehört es zu, daß Er seine Werke vollende und sich offenbare durch eine unendliche Wirkung. Da nun keine Kreatur, die ja immer in ihrem Wesen begrenzt ist, bezeichnet werden kann als unendliche Wirkung, sondern nur im Werke der Menschwerdung, durch welche zwei unendlich weit voneinander abstehende Naturen vereinigt werden, da in demselben Gott Mensch ist, in hervorragender Weise eine unendliche Wirkung der göttlichen Kraft vorliegt; da zumal durch dieses Werk im höchsten Grade vollendet wird das All der Geschöpfe, insoweit die letzte Kreatur, der Mensch nämlich oder das Fleisch, in Einheit tritt mit dem ersten Princip aller Dinge, nämlich mit Gott; — so scheint es, Gott hätte Fleisch angenommen, auch wenn Adam nicht gesündigt hätte. III. Die menschliche Natur ist aus Grund der Sünde nicht geeigneter oder bereitwilliger geworden für die Gnade. Nach der Sünde aber ist sie geeignet für die Gnade der persönlichen Einigung mit Gott, welche die größte Gnade ist. Hätte also der Mensch nicht gesündigt, so wäre die menschliche Natur jedenfalls geeignet gewesen für diese letztgenannte Gnade und Gott hätte der menschlichen Natur nicht das Gute entzogen, dessen sie fähig gewesen wäre. Also wäre Gott Mensch geworden, auch wenn der Mensch nicht gesündigt hätte. IV. Die Vorherbestimmung von seiten Gottes ist von Ewigkeit. Röm. 1. aber heißt es von Christo: „Der vorherbestimmt ist als Sohn Gottes in der Kraft.“ Also bestand auch vor der Sünde die Notwendigkeit für die Menschwerdung, damit die Vorherbestimmung von seiten Gottes erfüllt werde. V. Das Geheimnis der Menschwerdung ist dem ersten Menschen geoffenbart worden, wie dies aus Gen. 2. hervorgeht, wo Adam sagt: „Dies nun ist Bein von meinem Bein . . .“, was nach dem Apostel (Ephes. 5.) „ein großes Sakrament ist in Christo und in der Kirche.“ Der Mensch aber konnte ebensowenig wie der Engel (nach Augustin 11. sup. Gen. ad litt. 18.) seinen zukünftigen Fall vorherwissen. Also wäre Gott Mensch geworden, auch abgesehen von der Sünde. Auf der anderen Seite sagt Augustin (lib. de Verbis Dom. ad Luc. 19. venit filius hominis quaerere, serm. 36. 6. ult. et de verb. apost. serm 8. c. 2.): „Hätte der Mensch nicht gesündigt, so wäre der Menschensohn nicht gekommen.“ Und zu 1. Tim. 1. (Christus venit in hunc mundum, ut pecatores salvos feceret) sagt die Glosse (Aug. de verb. apost. serm. 9.): „Keine Ursache bestand für Christum, um in die Welt zu kommen, außer damit Er die Sünder errette. Nimm die Krankheiten fort, entferne die Wunden; und keine Ursache besteht für die Medizin.“
b) Ich antworte, in diesem Punkte beständen verschiedene Meinungen. Manche nämlich sind der Ansicht, Gottes Sohn würde Fleisch angenommen haben, auch wenn der Mensch nicht gesündigt hätte. Andere aber sind der gegenteiligen Ansicht; und ihnen scheint in höherem Grade beigestimmt werden zu müssen. Denn Alles, was rein von dem guten Willen Gottes abhängt, ohne daß dafür ein irgend welches Erfordernis von seiten der Natur oder eine Schuld ihr gegenüber bestände, kann nur durch die Schrift uns bekannt werden, welche uns erkennen läßt den Willen Gottes. In der heiligen Schrift aber wird überall als Grund und Veranlassung der heiligen Menschwerdung einzig die Existenz der ersten Sünde des Menschen angegeben. Also wird mit vollem Grunde gesagt, das Werk der Menschwerdung sei von Gott ausgegangen, um das Heilmittel für die Sünde zu sein; so zwar daß, hätte der Mensch nicht gesündigt, Gott nicht Mensch geworden wäre. Freilich sollen damit der Macht Gottes keine Schranken gezogen werden; denn allerdings hätte Gott, auch abgesehen von der Existenz der Sünde, Mensch werden können. Es ist hier nur die Rede vom thatsächlich Offenbarten; und da behaupten wir: Gemäß den Quellen unserer Kenntnis wäre Gott nicht Mensch geworden, wenn die Sünde nicht existiert hätte.
c) I. Alle anderen angegebenen Ursachen (cf. Art. 2) für die Menschwerdung lassen sich zurückführen auf diese, daß sie Heilmittel für die Sünde sei. Denn hätte der Mensch nicht gesündigt, so würde ihn durchflossen haben das Licht der göttlichen Weisheit und er wäre vervollkommnet gewesen durch die Geradheit der Urgerechtigkeit; und demgemäß würde er alles ihm Notwendige erkannt und gewirkt haben. Weil aber der Mensch, nachdem er Gott verlassen, zum Körperlichen hinabgefallen war, so war es zweckdienlich, daß Gott vermittelst der Annahme der Menschnatur und somit des Fleisches durch Körperliches ihm das Heilmittel für die Erreichung der Seligkeit böte. Deshalb sagt Augustin (ad Joh. 1. Verbum caro, tract. 2.): „Das Fleisch hatte dich verblendet, das Fleisch heilt dich; denn Christus kam in der Weise, daß Er die Sünden, die mit Hilfe des Fleisches begangen worden, zerstöre.“ II. Bereits durch die Hervorbringung der Dinge aus Nichts wird die Unendlichkeit der göttlichen Macht gezeigt. Und zur Vollendung des All genügt es ebenso, daß in natürlicher Weise die Kreatur zu Gott bezogen werde als auf den letzten Zweck. Die Einigung der Kreatur mit Gott in der Person aber überragt die Grenzen der Vollendung, wie die Natur sie verlangen kann. III. Eine doppelte Fähigkeit kann in der Natur unterschieden werden: Die eine ist nach der Ordnung der natürlichen Vermögen; und dieser wird von Gott immer genuggethan, der jedem Dinge giebt gemäß der demselben von Natur eigenen Fähigkeit. Die andere richtet sich nach der Ordnung der göttlichen Macht, welcher jede Kreatur auf den Wink, ohneVerzug, gehorcht; und dazu gehört die hier berührte Fähigkeit. Einer solchen Fähigkeit nun der Natur thut Gott nicht immer genug; sonst könnte Gott in der Natur nichts Anderes thun wie das, was Er eben thut; was falsch ist, nach I. Kap. 105, Art. 6. Nichts aber steht dem entgegen, daß nach der Sünde die menschliche Natur zu einem größeren Gute gelangt sei; denn Gott läßt zu, daß Übles geschehe, damit Er daraus etwas Besseres erstehen lasse, nach Röm. 5.: „Wo überfloß die Sünde, da floß auch über die Gnade.“ Demgemäß wird auch beim Segen der Osterkerze gesagt: „O glückliche Schuld, welche die Ursache war, daß wir einen so guten und so großen Erlöser haben.“ IV. Die Vorherbestimmung hat zur Voraussetzung das Vorherwissen. Wie also Gott das Heil jemandes so vorherbestimmt, daß es durch die Gebete anderer erlangt werde; so hat Er auch die Menschwerdung vorausbestimmt als Heilmittel gegen die menschliche Sünde. V. Es kann jemandem ganz wohl eine Wirkung vorher bekannt gemacht werden, ohne daß ihm damit zugleich die Ursache davon kundgegeben wird. Dem ersten Menschen also konnte offenbart werden das Geheimnis der Menschwerdung, ohne daß er seinen Fall vorauswußte. Denn nicht immer weiß jener, der eine Wirkung voraus weiß, auch davon die Ursache.
