Zweiter Artikel. Der Sohn Gottes nahm die Seele vermittelst des vernünftigen Geistes an.
a) Dem widerspricht: I. Der vernünftige Geist ist das Nämliche dem Wesen nach wie die Seele. Nicht aber wird das Betreffende vermittelst seiner selbst angenommen. II.Was das „Annehmen“ von etwas Anderem vermittelt, muß an sich mehr geeignet sein, angenommen zu werden. Das ist aber beim vernünftigen Geiste an sich allein betrachtet nicht der Fall, da ja die reinen Geister nicht geeignet sind, angenommen zu werden (Kap. 4, Art. 1.). III. Das Spätere wird angenommen vom Ersten vermittelst von etwas Früherem. Die Seele aber drückt das Wesen aus, welches immer früher ist als eines seiner Vermögen; während die Vernunft im Menschen nur ein Vermögen ist. Also wird die Seele nicht angenommen vermittelst der Vernunft oder des vernünftigen Geistes. Auf der anderen Seite schreibt Augustin (de agone christ. 18.): „Die unsichtbare und unveränderliche Wahrheit hat durch den vernünftigen Geist die Seele, durch die Seele den Leib angenommen.“
b) Ich antworte, Beides, sowohl die Stufe der Würde wie das Geeignetsein für das Angenommenwerden, sei auch hier entscheidend beim Verhältnisse der Seele zum vernünftigen Geiste, wie es entscheidend war (Art. 1.) bei dem Verhältnisse des Leibes zur Seele. Denn die Seele ist nur geeignet, angenommen zu werden, weil sie durch das Bild Gottes fähig erscheint, kraft der Thätigkeit Ihn zu erreichen, d. h. Gott zu erkennen und zu lieben. Dieses Bild aber ist in der Vernunft, welche Geist genannt wird, nach Ephes. 1.: „Erneuert euch im Geiste euerer Vernunft.“ Auch rücksichtlich der Würde steht der vernünftige Geist unter allen Kräften der Seele am höchsten und ist Gott am ähnlichsten; weshalb Damascenus sagt (3. de orth. fide 6.): „Mit dem Fleische ward vermittelst der Vernunft verbunden das Wort Gottes; die Vernunft nämlich ist das Reinste der Seele und Gott selber ist Vernunft.“
c) I. Allerdings ist gemäß dem Wesen die Vernunft im Menschen nicht getrennt von der Seele. Aber von den anderen Kräften der Seele ist sie verschieden gemäß dem Vermögen und danach vermittelt sie. II. Nicht die Würde ist es, welche den Engelgeist ungeeignet macht, um von seiten Gottes angenommen zu werden; sondern die Unheilbarkeit seines Fallens. III. Jetzt wird die Seele nicht genommen für das Wesen der Seele, welches allen Kräften im Menschen gemeinsam ist; sondern für die niederen Kräfte und Vermögen, welche jeder Seele gemeinsam sind.
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