Dritter Artikel. Nicht früher hat der Sohn Gottes die Seele angenommen wie den Leib.
a) Dem wird widersprochen. Denn: I. Der Leib ward vermittelst der Seele angenommen. Früher aber kommt man zum Mittleren wie zum Endpunkte. II. Die Seele Christi steht über den Engeln, nach Hebr. 1.: „Betet Ihn an alle Engel.“ Die Engel aber sind vom Beginne an geschaffen, nach I. Kap. 46, Art. 3. und Kap. 61, Art. 2 u. 3. Also war auch die Seele Christi vom Beginne an geschaffen und zugleich vom „Worte“ angenommen in die Einheit der Person. Denn Damascenus sagt (l. c.): „Weder die Seele noch der Leib Christi hatten jemals ein eigenes Fürsichbestehen außer in der Person des Wortes.“ Also ward die Seele früher angenommen wie der Leib, der empfangen wurde von der Jungfrau. III. Joh. 1. wird gesagt: „Wir haben Ihn geschaut voll der Gnade und der Wahrheit“ … und: „Von seiner Fülle haben wir alle empfangen“ d. h. alle gläubigen zu jeder Zeit (Chrysost. hom. 13. in Joh.) Dies aber kann nicht sein, wenn nicht die Seele Christi die Fülle der Gnade und der Wahrheit gehabt hätte vor allen heiligen, die vom Beginne der Welt an gelebt haben; da die Ursache früher sein muß wie die Wirkung. Da also die Fülle der Gnade und Wahrheit in Christo war auf Grund der Einigung mit dem Worte, nach Joh. 1.: „Wir haben gesehen seine Herrlichkeit wie des Eingeborenen vom Vater, voll Gnade und Wahrheit;“ so folgt, daß die Seele Christi seit dem Beginne der Welt vom „Worte“ in die Einheit der Person angenommen worden war. Auf der anderen Seite sagt Damascenus (4. de orth. fide 6.): „Nicht so, wie viele lügen, daß der vernünftige Geist oder die Seele Christi mit dem wahren Gotte persönlich verbunden gewesen wäre vor der Menschwerdung aus Maria der Jungfrau; und daß Er erst dann Christus genannt worden sei.“
b) Ich antworte, Origenes sei es, der alle Seelen und unter ihnen auch die Christi geschaffen sein läßt im Beginne der Welt. Doch dies ist 1. unzulässig, soweit es bedeuten soll, Christi Seele sei zuerst geschaffen und erst später mit dem „Worte“ vereint worden; so daß sie zuerst ein eigenes Fürsichbestehen gehabt hätte, welches vom „Worte“ entweder verdorben worden sei oder welches blieb und so hinderte die Einigung in der einen Person oder im einen Fürsichbestehen des „Wortes“. Es ist 2. unzulässig, so zu behaupten, insoweit angenommen wird, die Seele sei sogleich mit dem „Worte“ vereint worden; aber erst später habe sie aus Maria einen Körper angenommen. Denn so wäre die Seele Christi nicht der gleichen Gattung wie die unsrigen, welche zugleich geschaffen und in die Körper eingesenkt werden. Deshalb sagt Leo der Große (ad Julianum): „Nicht von einer anderen Natur war Christi Fleisch wie das unsrige; und nicht eine andere etwa vom Beginne an gemachte Seele hatte Christus wie die unsrige.“
c) I. Die Seele Christi vermittelt zwischen dem Leibe und dem „Worte“ der Ordnung der Natur; nicht aber der Zeit nach (Art. 1.). II. Leo der Große antwortet (I. c.): „Die Seele Christi überragt die unsrige, nicht ihrer Gattung oder Art nach, sondern in der Erhabenheit der Kraft.“ Sie übersteigt nämlich in der Fülle der Gnadenkraft und Wahrheit auch die Engel. Die Art und Weise des Erschaffens aber entspricht der Art oder Gattung der Seele; und diese bringt es, da die Seele Wesensform und Thätigkeit des Körpers ist, mit sich, daß sie zugleich geschaffen und in den Körper versenkt wird; was den Engeln ihrer Natur nach nicht zukommt, die ja körperlose reine Vernunftkräfte sind. III. Vermittelst des Glaubens empfangen alle von der Fülle der Gnade und Wahrheit in Christo; wie Paulus sagt (Röm. 3.): „Die Gerechtigkeit Gottes ist durch den Glauben Jesu Christi für alle und über alle, die an Ihn glauben.“ Wie wir nun an Ihn glauben als an den bereits Geborenen, so glaubten die Alten an Ihn als an den noch Kommenden; denn „wir haben den einen nämlichen Geist des Glaubens,“ heißt es 2. Kor. 4. Der Glaube aber an Christum hat die Kraft zu rechtfertigen auf Grund des Vorsatzes der Gnade Gottes, nach Röm. 4.: „Demjenigen, der nicht wirkt, der aber glaubt an den, der die gottlosen rechtfertigt, wird der Glaube angerechnet zur Gerechtigkeit gemäß dem Vorsatze der Gnade Gottes.“ Weil nun dieser Vorsatz des göttlichen Willens von Ewigkeit ist; so steht dem nichts entgegen, daß einzelne, auch bevor jene Seele wirklich voll der Gnade und der Wahrheit war, durch den Glauben an Christum gerechtfertigt wurden.
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