Dritter Artikel. Die Kenntnis der Seele Christi und das Unendliche in der Zahl.
a) Die Seele Christi erkennt nicht endlos viele Dinge im „Worte“. Denn: I. Daß Endloses erkannt werde, widerspricht dem Begriffe des Endlosen, da „Endloses das ist, wo immer noch etwas übrig bleibt, was auch immer für einen Umfang man nimmt“ (3 Physic.). Man kann aber den Begriff nicht trennen von dem durch den Begriff Abgegrenzten. Also unmöglich kann die Seele Endloses erkennen. II. Die Wissenschaft, deren Gegenstand das Unendliche ist, ist unendlich. Das ist aber die Wissenschaft Christi nicht, da sie etwas Geschaffenes vorstellt. III. Nichts kann größer sein als das Unbegrenzte. Gott aber erkennt Mehreres wie die Seele Christi. Auf der anderen Seite erkennt die Seele Christi ihre ganze Macht und Alles, was sie kann. Sie kann aber auf die Reinigung von endlos vielen Sünden sich richten, nach 1. Joh. 2.: „Er ist die Sühne für unsere Sünden; nicht aber für unsere allein, sondern auch für die der ganzen Welt.“ Also ist dieses Wissen auf endlos Vieles gerichtet.
b) Ich antworte, die Wissenschaft habe zum Gegenstande nur das Sein, da Sein und Wahres der Thatsächlichkeit nach sich vollauf gegenseitig deckt. Nun ist Sein siwpliciter oder schlechthin dasjenige, was thatsächlichist; ein Sein aber unter gewisser Voraussetzung, secundum quid, das, was nur dem Vermögen nach besteht. Und weil nun (9 Metaph.) ein jedes Ding gekannt wird, soweit es thatsächlich ist; deshalb richtet sich das Wissen in erster Linie und hauptsächlich auf das Thatsächliche im Sein, und erst an zweiter Stelle, nämlich auf Grund des Thatsächlichen, auf das dem Vermögen nach Seiende, was nur erkannt werden kann, insoweit das erkannt wird, worin es Vermögen ist. Soweit also der erstgenannte Fall in Betracht kommt, weiß die Seele Christi nicht endlos viele Dinge; weil eben dem thatsächlichen Sein nach nicht endlos viele bestehen, sondern da immer, auch von den Dingen aus, eine Grenze sich findet. Dies bleibt wahr, auch wenn alle Dinge, die zu irgend welchen Zeiten existieren, zusammen genommen werden; insofern nämlich der Stand der Zeugung und des Vergehens nicht bis ins Endlose dauert. Da ist also sowohl bei den Dingen, die dem Gezeugtwerden und dem Vergehen oder dem inneren Wechsel vom eigenen Wesen aus, nicht unterliegen als auch bei denen, die erzeugt werden und wieder vergehen, stets eine bestimmt abgegrenzte Zahl. Mit Rücksicht auf den zweitgenannten Gegenstand aber weiß die Seele Christi Endloses. Denn sie weiß Alles, was im Vermögen der Kreatur enthalten ist. Und insofern darin endlos viele Dinge eingeschlossen werden, welche die Kreatur wirken kann oder könnte, so weiß die Seele Christi Unendliches wie mit dem Wissen des einfachen Verständnisses (simplicis intelligentiae); nicht aber wie mit dem Wissen des Schauens (visionis).
c) I. „Unendlich“ wird ausgesagt 1. unter dem Gesichtspunkte der bestimmenden Form; und so wird einfach das Ende geleugnet, insoweit nämlich das, was Form oder Akt ist, nicht begrenzt wird durch den Stoff oder durch ein Vermögen, durch ein Subjekt also, von dem es getragen und aufgenommen wird. Solches Unendliche ist an und für sich im höchsten Grade erkennbar auf Grund der Vollendung des Aktes oder der Thatsächlichkeit; ist aber nicht voll begreifbar für die Erkenntniskraft der Kreatur. So wird Gott als unendlich bezeichnet. Und derartiges Unendliche wird erkannt von der Seele Christi, aber nicht voll erschöpfend begriffen. Dann wird „unendlich“ ausgesagt 2. unter dem Gesichtspunkte des Stoffes; und dieses Unendliche oder (in unserer Sprache besser) Endlose ist unendlich, nicht bloß weil ein Ende geleugnet wird, nicht bloß rein negative, sondern es wird da das Ende geleugnet, welches da sein müßte. Der Stoff nämlich kann als bloßes Vermögen gar nicht sein; er bedarf, um zu sein, einer Endigung von einer außen befindlichen Kraft her; fo lange er nicht die bethätigende Form hat, ist er nicht thatsächlich. Hier ist also das Unendliche oder Endlose ein Mangel; nicht rein negative, sondern privative wird es ausgesagt. Und danach wird das als unendlich bezeichnet, was einen ohne Ende immer größeren oder kleineren Umfang haben kann. Solches Endlose ist auf Grund seines Wesenscharakters unbekannt; denn es ist nichts Anderes wie das reine Vermögen des Stoffes zusammen mit dem Mangel an der bestimmenden Form, also am Thatsächlichsein; es ist ein Werden-können, was nichts der Thatsächlichkeit nach ist; alle Kenntnis aber wird vermittelt durch die bestimmende Form und das entsprechende Thatsächliche. Soll also solches Endlose gekannt werden nach der Weise wie es selber als Gegenstand des Erkennens ist, so kann es unmöglich erkannt werden. Denn die Art und Weise seines Seins besteht darin, daß ein Teil nach dem anderen genommen wird ohne Ende (3 Physic.); also bleibt da beimUmfange immer etwas außerhalb des Erkanntwerdens. Wie aber die stofflichen Dinge von der Vernunft betrachtet werden gemäß der Seinsweise der Vernunft, d. h. stofflos und in einer Einheit, die Vieles umfaßt; so kann Unendliches von seiten der Vernunft genommen werden nicht nach der Weise des Unendlichen oder Endlosen, sondern wie seine Einheit und somit seine Grenzen, sein Ende erhaltend durch die Vernunft. Und in diefer Weise ist das, was an sich unendlich ist, etwas Endliches in der Vernunft des erkennenden. Danach nun weiß die Seele Christi endlos viele Dinge; insoweit sie nicht dadurch weiß, daß sie dieselben einzeln, eines nach dem anderen durchnimmt, sondern daß sie dieselben in einer Einheit erkennt; wie z. B. in einer Kreatur enthalten, in deren Vermögen endlos Vieles ist, und zumal im „Worte“ selber. II. Was nach der einen Seite hin endlos ist oder unendlich, das kann nach der anderen Seite hin geendet sein. So kann bei einer Oberfläche die Länge ins Endlose sich ausdehnen, während die Breite geendet ist. So können auch der Zahl nach endlos viele Menfchen sein; und doch sind sie alle begrenzt und geendet dem inneren Wesen nach. Schlechthin unendlich ist nur jenes Sein, was dem inneren Wesen nach keine Grenzen von außen her kennt; und das ist allein Gott. Nun ist der eigentliche Ertenntnisgegenstand der Vernunft immer das Wesen eines Dinges. Sonach erreicht die Seele Christi mit ihrem Erkennen wohl das, was dem Wesen nach unendlich ist, aber sie begreift dieses Wesen nicht in erschöpfender Weise; weil eben die Fassungskraft der Seele Christi eine geschaffene und somit eine endliche ist. Was aber in der Kreatur dem Vermögen nach unendlich ist, das kann von der Seele Christi erschöpfend umfaßt werden; denn der eigentliche Gegenstand, welcher das Erkennen bemißt, ist das innere Wesen und dieses ist in der Kreatur endlich. So erkennt unsere Vernunft das Allgemeine, sei es der „Art“ sei es der Gattung nach, was gewissermaßen Unendlichkeit hat; denn es kann von endlos Vielem ausgesagt werden. III. Was allseitig unendlich ist, das kann nur etwas Eines sein. Deshalb beweist Aristoteles (1. de coel.), daß, wenn ein Körper nach allen Dimensionen hin unendlich wäre, es unmöglich mehrere geben könnte. Ist aber etwas nur nach einer Seite hin endlos, so kann es in dergleichen eine Mehrheit geben; wie z. B. wenn wir in einer Oberfläche mehrere Linien auffassen, die in ihrer Länge endlos fortgeführt würden, in der Breite aber begrenzt wären. Weil also das Endlose keine Substanz ist, sondern zu den betreffenden Dingen hinzutritt, welche als endlos bezeichnet werden, so wird es vervielfältigt gemäß den Substanzen oder gemäß den Subjekten, die es tragen; und somit kommt es mehreren zu und wird von mehreren ausgesagt. Nun besteht eine Eigenheit des Endlosen oder Unendlichen darin, daß es nichts Größeres giebt wie das Unendliche. Nehmen wir also eine endlose Linie, so ist in dieser nichts Größeres als dieses Endlose; und nehmen wir eine beliebige andere endlose Linie oder mehrere, so ist es offenbar, daß in einer jeden derselben endlos viele Teile bezeichnet werden können. Es ist demnach erfordert, daß in jener Linie nichts Größeres sei wie diese endlos vielen Teile; und trotzdem werden in der zweiten und dritten Linie mehrere Teile bezeichnet werden können wie in der ersten, denen aber immer wieder es gleichmäßig zukommt, daß endlos weiter gegangen werden kann. Wir sehen dies augenscheinlich bei den Zahlen. Denn die Gattungender gleichen Zahlen, wie Zweiheit, Vierheit etc. sind endlos; und die Gattungen der ungleichen Zahlen sind es ebenfalls, wie die Dreiheit, Fünfheit etc. Und trotzdem sind die gleichen Zahlen zusammen mit den ungleichen mehr wie bloß die gleichen. Demnach ist zu erwidern, daß nichts größer ist wie das allseitig schlechthin Unendliche. Was aber das anbelangt, was nach einer bestimmten Seite nur hin unendlich oder endlos ist, so giebt es wohl im engen Bereiche, wo dieses Unendliche eintritt, nichts Größeres; aber außerhalb dieses Bereiches kann etwas Größeres angenommen werden. In dieser Weise ist endlos Vieles in der Macht der Kreatur; und doch ist unendlich Mehreres in der Gewalt des Schöpfers. Und ähnlich erkennt die Seele Christi endlos Vieles mit dem Wissen des einfachen Verständnisses; aber Gott erkennt Mehreres, auch nach dieser Art Wissen.
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