Zweiter Artikel. Die Seele Christi erkennt im „Worte“ Alles.
a) Dies scheint nicht. Denn: I. Mark. 13. heißt es: „Von diesem Tage weiß niemand; weder die Engel im Himmel noch der Sohn, sondern nur der Vater.“ II. Wer vollkommener ein Princip erkennt, sieht darin Mehreres. Gott aber erkennt vollkommener sein Wesen wie dies bei der Seele Christi der Fall ist. Also mehr erkennt Er im „Worte“, wie die Seele Christi. Also erkennt letztere nicht Alles im ewigen Worte. III. Der Umfang der Wissenschaft hängt ab vom Umfange der Wissensgegenstände. Erkennt also die Seele Christi Alles, was das „Wort“ selber weiß, so ist ihre Wissenschaft gleich der Gottes, was gegen Art. 1. ist. Auf der anderen Seite heißt es Apok. 5.: „Das Lamm, das getötet ward, ist es wert, die Gottheit zu erhalten,“ d. i., sagt die Glosse, „die Kenntnis von allem Wissenswerten.“
b) Ich antworte, dieser Ausdruck „Alles“ kann 1. so aufgefaßt werden, daß darunter verstanden wird Alles, was irgendwie einmal war oder ist oder sein wird; seien es Gedanken oder Worte oder Thaten. Und danach weiß die Seele Christi im „Worte“ Alles. Denn jede geschaffene Vernunft schaut um so viel Mehreres im „Worte“ als sie vollkommener das „Wort“ sieht. Keiner geschaffenen Vernunft aber begegnet es, daß sie nicht im „Worte“ sieht, was auf sie speciell sich bezieht. Nun ist Christo Alles unterworfen. Er ist der Richter über Alles, aufgestellt als solcher von Gott, „weil Er der Menschensohn ist,“ nach Joh. 5. Also erkennt die Seele Christi Alles, was zu irgend einer Zeit existiert, auch die menschlichen Gedanken, deren Richter sie ist. Und so kann die Stelle Joh. 2.: „Er aber wußte, was im Menschen sei“, nicht bloß auf das göttliche Wissen bezogen werden, sondern auch auf das Wissen der Seele im „Worte“. Das „Alles“ kann 2. verstanden werden im weiteren Sinne, so daß darunter verstanden wird Alles, was noch sein kann. Davon ist Manches allein in der Gewalt und Macht Gottes; und dies wird nicht Alles erkannt von der Seele Christi, da dies dasselbe wäre wie die göttliche Macht vollauf erschöpfend begreifen, insofern eine Macht und somit deren Wesen voll begriffen wird, wenn man alles das erkennt, worauf sie sich erstrecken kann. Anderes aber ist allein in der Macht von Geschöpfen und dies wird ganz und gar von der Seele Christi im „Worte“ geschaut, welches umgreift alle kreatürliche Wesenheit und folgegemäß alle Kraft, welche in dem kreatürlichen Wesen enthalten ist.
c) I. Dieses Wort verstanden Arius und Eunomius als geltend vom Sohne Gottes, von dem sie meinten, Er sei geringer als der Vater; denn eine eigene Wissenschaft der Seele Christi nahmen sie nicht an. Dies ist aber durchaus falsch. Denn nach Joh. 1. ist durch das „Wort“ Alles gemacht und unter Anderem sind auch alle Zeitunterschiede von Ihm gemacht. Von Nichts aber kann es in Unkenntnis sein, was es selber macht; da Es eben durch sein Wissen schafft. Es wird also gesagt, „Er wisse nicht die Stunde und den Tag des letzten Gerichts,“ weil Er nicht macht, daß andere dies wissen. Gefragt nämlich von den Aposteln (Act. 1.) darüber, wollteEr es nicht offenbaren. So heißt es im Gegenteil Gen. 22.: „Jetzt habe ich erkannt, daß du Gott fürchtest,“ d. i. nun habe ich durch mein Wissen gewirkt, daß du es weißt. Deshalb wird darin selber, daß der Herr sagt: „außer der Vater“ angezeigt, daß der Sohn es auch wisse; und zwar nicht allein gemäß der göttlichen Natur, sondern auch gemäß der menschlichen. Denn, so argumentiert Chrysostomus (hom. 78. in Matth.), wenn dem Menschen Christus das Größere gegeben ist, daß Er nämlich weiß, wie Er zu richten hat, so ist es Ihm um so mehr gegeben, daß Er das Geringere weiß, nämlich den Tag des Gerichts. Origenes (tract. 30. in Matth.) erklärt dies vom Körper Christi, der Kirche, die dies nicht wisse. II. Gott umgreift voll erschöpfend sein eigenes Wesen. Er weiß nicht nur was Er wirklich thut, worauf „das Wissen der Anschauung“ sich bezieht; sondern auch Alles, was in seiner Macht liegt, daß Er es thun kann, was sich auf das „Wissen gemäß dem einfachen Verständnisse“ bezieht. Letzteres weiß die Seele Christi nicht, und sonach weiß Gott Mehreres. III. Auch die Klarheit des Wissens kommt hier in Betracht, nicht allein der Umfang des Wissenswerten. Obgleich also rücksichtlich des „Wissens der Anschauung“ die Kenntnis der Seele Christi derjenigen Gottes gleichkommt, soweit es die Zahl der Gegenstände anbelangt; so ragt doch auch hier unendlich weit das Wissen Gottes über das der Seele Christi hervor, weil die Klarheit des Schauens eine weit größere ist bei Gott; denn das göttliche ungeschaffene Licht ragt unendlich weit hervor über das geschaffene Licht der Seele Christi. Doch ist bei dem „Wissen des einfachen Verständnisses“ auch die Zahl der gewußten Gegenstände in Gott unendlich größer wie die der von der Seele Christi gewußten Gegenstände.
