Zweiter Artikel. Christus konnte der eingegossenen Wissenschaft sich bedienen, auch wenn Er Sich nicht zu den Phantasiebildern wandte.
a) Es wird das Gegenteil behauptet. Denn: I. Die Phantasiebilder verhalten sich zur Vernunft, wie die Farben zur Sehkraft. Christus aber konnte nicht sehen, außer indem Er Sich zu den Farben wandte. Also gilt Ähnliches für die Vernunft mit Rücksicht auf die Phantasiebilder. II. Die Seele Christi gehört der nämlichen Gattung an wie die unsrige; sonst wäre Er nicht, nach Phil. 2., uns in Allem ähnlich geworden. Also mußte sich dieselbe wie die unsrige, wollte sie vernünftig erkennen, zu den Phantasiebildern wenden. III. Die Sinne dienen von Natur im Menschen dem vernünftigen Teile. Konnte also Christus ohne Phantasiebilder verstehen, so waren die Sinne in Ihm unnütz. Auf der anderen Seite erkannte die Seele Christi Manches, wozu die Phantasiebilder nicht hinreichen, wie die Engelsubstanzen. Also konnte Er erkennen, auch ohne Sich zu den Phantasiebildern zu wenden.
b) Ich antworte, der Herr sei zugleich gewesen: Erdenpilger und zwar vorzugsweise vom leidensfähigen Körper aus; und Teilnehmer an der seligen Anschauung, also im Besitze des letzten Endzweckes, und zwar ging dies vorzugsweise die Seele und deren Vermögen an. Nun ist dies eine Eigenheit der seligen, daß sie in nichts vom Körper abhängen, sondern vielmehr denselben ganz und gar beherrschen und daß demgemäß nach der Auferstehung die Herrlichkeit überfließen wird von der Seele auf den Leib. Nun hat die Seele des Erdenpilgers es notwendig, sich zu den Phantasiebildern zu wenden, weil sie dem Körper von Natur verpflichtet ist und vom selben abhängt. Also hatte die Seele Christi diese Notwendigkeit nicht, sondern konnte vernünftig erkennen, ohne sich zu den Phantasiebildern zu wenden.
c) I. Jene Ähnlichkeit, die Aristoteles aufstellt, hält nicht stand mit Rücksicht auf Alles. Denn der Zweck der Sehkraft ist, einzig Farben zu erkennen; nicht Anderes. Der Zweck der Vernunft aber ist, nicht das Sinnliche zu erkennen, was die Phantasiebilder bieten, sondern die geistigen Ideen, insoweit sie von den Phantasiebildern losgelöst sind. Eine Ähnlichkeit besteht also mit Rücksicht auf das, worauf das beiderseitige Vermögen sich richtet; nicht aber mit Rücksicht auf das, was das Ende des Thätigseins in beiden Vermögen ist. Nun steht dem nichts entgegen, daß je nach dem verschiedenen Stande, in welchem das Sein eines Wesens sich findet, in verschiedener Weise man zum Ziele gelange. Der Zweck nur bleibt in jedem Falle derselbe. Der Sinn also kann nichts sehen ohne Farbe. Aber die Vernunft kann je gemäß einem gewissen Stande, in welchem sie ist, erkennen ohne Phantasiebild; nicht jedoch ohne Idee oder Erkenntnisform. II. Die Seele Christi war der gleichen Natur wie die unsrige; hatte aber einen gewissen Stand, nämlich den der Seligkeit, den unsere Seele jetzt nicht hat, sondern erhofft. III. Die Seele Christi konnte in beider Weise verstehen; sie konnte zu den Phantasiebildern sich wenden oder nicht, damit sie verstehe. Deshalb waren die Sinne in ihr nicht zwecklos; zumal dieselben nicht nur der vernünftigen Erkenntnis dienen, sondern auch den Bedürfnissen des tierischen Lebens.
