Vierter Artikel. Was dem Sohne des Menschen zukommt, kann ausgesagt werden vom Sohne Gottes und umgekehrt.
a) Dem wird entgegengehalten: I. Das einander Entgegengesetzte kann nicht von ein und demselben ausgesagt werden. Was aber der menschlichen Natur zukommt, ist entgegengesetzt dem, was Gott eigen ist. Denn Gott ist ewig, ungeschaffen, unveränderlich; und der menschlichen Natur gehört es zu, zeitlich, geschaffen, veränderlich zu sein. Also was der menschlichen Natur zukommt, kann nicht von Gott ausgesagt werden. II. Gott zuschreiben das, was mangelhaft ist, widerstreitet der Ehre Gottes. Sterben, Leiden etc. aber, was der menschlichen Natur zukommt, enthält einen Mangel. Also. III. „Angenommen werden“ kommt der menschlichen Natur zu; nicht aber Gott. Also. Auf der anderen Seite sagt Damascenus (3. de orth. fide 6.): „Gott nahm an das, was dem Fleische eigen ist; und deshalb kann von Gott ausgesagt werden die Leidensfähigkeit, der Tod am Kreuze.“
b) Ich antworte, Nestorius wollte, daß jene Ausdrücke, welche Christo gemäß seiner menschlichen Natur zukommen, nicht von Gott gelten sollen. Deshalb sagte er: „Wenn jemand versucht, Gott dem ewigen Worte das Leiden zuzuschreiben; der sei im Banne;“ — nur die den beiden Naturen zukommenden Namen könnten so ausgesagt werden, daß sie auch von Gott gälten, wie z. B.: „Christus ist der Herr“. Daher gaben sie zu, daß Christus geboren und daß Er von Ewigkeit sei; aber man sollte nicht sagen, Gott sei geboren von der Jungfrau oder der Mensch Christus sei von Ewigkeit. Die Katholiken aber lehren, man könne das, was Christo nach der menschlichen Natur zukomme, von Gott aussagen und umgelehrt. Deshalb sagt Cyrillus (ep. ad Nest. de exc.): „Wenn jemand zwei verschiedenen Personen, oder Fürsichbestehenden jene Ausdrücke, welche in den Berichten der Evangelien oder der Apostel sich finden, in getrennter Weise zuteilt, oder meint, daß das, was die heiligen von Christo oder der Herr selber von Sich sagt, zum Teil auf den Menschen allein anzuwenden ist und zum Teil dem Worte allein zuzuteilen; der sei im Banne.“ Der Grund davon ist, daß, da beide Naturen eine einige Person zusammen haben, auch nur eine einzige Person fürsichbesteht in beiden Naturen. Mag man da also „Mensch“ sagen oder „Gott“, immer wird ausgesagt von dem einen einigen Fürsichbestehen in der menschlichen und göttlichen Natur. Vom Menschen also kann man sagen, was der göttlichen Natur zukommt, eben weil die Person in der göttlichen Natur da auch Person der menschlichen Natur ist; und von Gott kann man aussagen, was der menschlichen Natur zugehört, eben weil die Person, also das einzelne Fürsichbestehende dieses Menschen, die göttliche Person ist. Man muß jedoch wissen, daß in einem Satze, in welchem etwas won einem ausgesagt erscheint, nicht nur achtgegeben wird, was Jenes sei, wovon die Aussage gilt; sondern auch nach welcher Seite hin, unter welchem Gesichtspunkte die Aussage gemacht wird. Nicht also besteht bei Christo ein Unterschied in dem, was ausgesagt wird; aber wohl besteht ein solcher in dem Gesichtspunkte, unter welchem ausgesagt wird. Denn was von Christo Göttliches ausgesagt wird, gilt von Ihm unter dem Gesichtspunkte der göttlichen Natur; was aber Menschliches von Christo ausgesagt wird, das gilt von Ihm unter dem Gesichtspunkte der menschlichen Natur. Deshalb sagt Augustin (1. de Trin. 11.): „Unterscheiden wir in der Schrift, was daselbst ausgesagt wird von Christo gemäß der Form oder Natur Gottes, worin der Herr dem Vater gleich ist; und was ausgesagt wird gemäß der Form oder Natur des Knechtes, in welcher Er minder ist wie der Vater . . . Was und unter welchem Gesichtspunkte und weshalbda etwas gesagt wird, soll der kluge und fteißige und fromme Leser der Schrift unterscheiden.“
c) I. Unter verschiedenen Gesichtspunkten kann Entgegengesetztes vom Nämlichen ausgesagt werden; wie ich vom selben Menschen sage: Er ist sterblich (nach dem Leibe); er ist unsterblich (nach der Seele). II. Was Mangelhaftes Gott zugeschrieben wird, das wird Ihm nicht zugeschrieben gemäß der göttlichen Natur — dies wäre Lästerung; sondern nach der angenommenen menschlichen. Deshalb heißt es im Konzil von Ephesus (serm. de Nativ. 2.): „Niemand möge dies als eine Beleidigung Gottes halten, was Gelegenheit geworden ist für unser Heil. Denn nichts von dem Niedrigen, was Er erwählt hat wegen uns, kann eine Beleidigung, ein Unrecht sein an jener Natur, die niemals erniedrigt werden kann; sich zu eigen macht Er das Niedrige, damit Er unsere Natur rette. Wenn also, was niedrig und verächtlich an sich ist, die göttliche Natur nicht erniedrigt, sondern unser Heil wirkt; — wie sagst du, daß das, was den Menschen das Heil gebracht hat, Gott ein Unrecht zufüge.“ III. „Angenommen werden“ kommt der menschlichen Natur zu nicht auf Grund der Person, sondern auf Grund ihrer selbst; — und deshalb gilt es nicht von Gott.
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