Sechster Artikel. Über das Hinabsteigen des heiligen Geistes in der Gestalt einer Taube.
a) Ein solcher Vorgang war unzulässig. Denn: I. Der heilige Geist wohnt im Menschen kraft der Gnade. Diese aber war in Christo seiner menschlichen Natur nach in aller Fülle, nach Joh. 1, 14. Also brauchte der heilige Geist nicht bei der Taufe zu Ihm gesandt zu werden. II. Christus ist in die Welt hinabgestiegen durch seine Menschwerdung, als „Er Sich selbst zunichtemachte und Knechtsgestalt annahm“ (Phil. 2.). Der heilige Geist ist aber nicht Mensch geworden. Also ist Er nicht herabgestiegen. III. In der Taufe Christi sollte in sichtbarer Weise gezeigt werden, was in der unsrigen geistigerweise geschieht. Bei uns aber vollzieht sich in der Taufe keine sichtbare Sendung des heiligen Geistes. IV. Von Christo aus hat sich die Fülle des Geistes der Gnade in alle ergossen, nach Joh. 1, 15. Über die Apostel aber kam der heilige Geist herab in der Gestalt von feurigen Zungen. Also hätte Er nicht über Christum herabkommen sollen in der Gestalt einer Taube. Auf der anderen Seite steht die heilige Schrift (Luk. 3, 22.).
b) Ich antworte, was bei der Taufe Christi geschah, sei ein Bild dessen, was sich in den nachher zu taufenden vollziehen sollte. Alle nun, die getauft werden und die aufrichtig zur Taufe herantreten, empfangen den heiligen Geist, nach Matth. 3.: „Er wird euch taufen im heiligen Geiste.“ Also höchst zweckentsprechend stieg bei der Taufe über Christum herab der heilige Geist.
c) I. Wie Augustin schreibt (15. de Trin. 26.), wäre es höchste Thorheit zu meinen, Christus hätte den heiligen Geist erst empfangen im Alter von dreißig Jahren. Nein; wie Er ohne Sünde zur Taufe kam, so auch nicht ohne den heiligen Geist. Wenn nämlich über Johannes geschrieben steht, er werde noch im Mutterleibe erfüllt werden vom heiligen Geiste, was ist da von Christo zu sagen, dessen Empfängnis gar nicht fleischlich war, sondern rein geistig! In der Taufe also hat Er wollen seinen Leib d. i. seine Kirche vorbilden, in welcher zumal die getauften den heiligen Geist empfangen. II. Nicht so stieg der heilige Geist (Aug. 2. de Trin. 6.) über Christum herab in körperlicher Gestalt wie eine Taube, als ob man seine Substanz hätte sehen können, die wesentlich unsichtbar ist, oder als ob der heilige Geist eine Taube zur Einheit der Person angenommen hätte, wie Christus die menschliche Natur; denn nicht heißt es, daß der heilige Geist eine Taube war, wie der Sohn Gottes kraft der Einheit in der Person Mensch ist. Auch nicht ward gesehen der heilige Geist in der Gestalt einer Taube, wie der Liebesjünger gesehen hat in der Apokalypse das Lamm, welches getötet war; denn dieses Gesicht war geformt in der Einbildungskraft durch geistige Bilder der körperlichen Dinge, während noch niemand gezweifelt hat, daß diese Taube hier mit körperlichen Augen geschaut worden ist. Auch nicht in der Weise ist der heilige Geist in der Gestalt einer Taube gesehen worden, wie 1. Kor. 10. es heißt: „Der Fels aber war Christus;“ denn jenerFels war bereits eine Kreatur und nur um etwas zu bezeichnen ward er genannt mit dem Namen Christi, auf dessen unverrückbare Festigkeit er hinwies. Diese Taube aber entstand plötzlich, nur um dieses Bestimmte zu bezeichnen; und nachher hörte sie auf zu existieren, ähnlich wie die Flamme im brennenden Dornbusche dem Moses erschien. Weil also die Taube, welche auf Christum niederstieg, den heiligen Geist bezeichnen sollte oder auf Grund der geistigen Gnade, welche in der Weise eines Herabsteigens dem Innern der Kreatur sich mitteilt, wird gesagt, der heilige Geist sei herabgestiegen über Christum, nach Jak. 1.: „Alle beste Gabe und alles vollkommene Geschenk ist von oben, herabsteigend vom Vater der Erleuchtungen.“ III. Nach Chrysostomus (hom. 12. in Matth.) „erscheinen immer, wenn geistige Dinge beginnen, sinnlich wahrnehmbare Gesichte wegen derer, die kein Verständnis in sich aufnehmen können von einer rein unkörperlichen Natur; damit, wenn solche körperliche Erscheinungen später nicht mehr kommen, das, was einmal geschehen ist, dem Glauben diene.“ Daß der heilige Geist also hier sichtbarerweise über der Taufe Christi erschien, soll dem inneren Glauben dienen, daß Er in alle getauften unsichtbarerweise hinabsteigt. IV. In der Gestalt einer Taube erschien der heilige Geist über Christum aus vier Gründen: 1. Wegen der Verfassung im Innern des zu taufenden, daß er aufrichtigen Herzens, nicht heuchelnd herantrete, weil nach Sap. 1. „der heilige Geist flieht jenen, der die Zucht heuchelt.“ Die Taube nämlich ist ein Tier voll Einfalt, ermangelnd aller List und Schlauheit, weshalb Christus ermahnt (Matth. 10.): „Seid einfältig wie die Tauben “ 2. Wegen der Hindeutung auf die sieben Gaben des heiligen Geistes. Denn die Taube wohnt
a) am fließenden Wasser, damit sie, wenn sie den Habicht sieht, in das Wasser tauche und so gerettet werde. Dies gehört zur Gabe der Weisheit, wonach die heiligen Seelen an den Wassern der heiligen Schriften wohnen, damit sie vor dem Anfalle des Feindes sich retten. Die Taube wählt sich
b) die besseren Körner. Dies gehört zur Gabe der Wissenschaft, wonach die heiligen Seelen die besseren Meinungen, in denen sie geistige Frucht finden, sich auswählen. Die Taube nährt
c) fremde Junge. Dies gehört zur Gabe des Rates, wonach die heiligen Seelen jene, die erst bekehrt, die noch jung sind im Guten, nachdem sie lange Zeit der Fremdherrschaft des Teufels unterstanden, nähren durch Lehre und Beispiel. Die Taube zerreißt
d) nicht mit ihrem Schnabel. Dies gehört zur Gabe des geistigen Verständnisses, wonach die heiligen Seelen gute Meinungen nicht teilen und zerreißen, nach der Sitte der Häretiker, welche nach eigenem Willen das Eine oder das Andere verwerfen. Die Taube hat
e) keine Galle. Dies gehört zur Gabe der Frömmigkeit oder inneren Hingebung, wonach die heiligen Seelen des unvernünftigen Zornes entbehren. Die Taube baut
f) ihr Nest in Felsenlöchern. Dies bezieht sich auf die Gabe der Stärke, wonach die heiligen Seelen in den Wunden des Leibes Christi, welcher der standhafte Fels ist, ihre Zuflucht und ihre Hoffnung suchen. Die Taube hat g) anstatt des Gesanges ein Seufzen. Dies bezeichnet die Gabe der Furcht, wonach die heiligen Seelen sich freuen am Seufzen und Trauern über ihre Sünden. Es erschien 3. der heilige Geist in der Gestalt einer Taube wegen der Wirkung der Taufe, die da ist der Nachlaß der Sünden und die Versöhnung mit Gott. Denn die Taube ist ein sanftmütiges Tier; und deshalb „erschien“ nach Chrysostomus (l. c.) „dieses Tier bei der Sündflutund trug einen Ölzweig, um damit den nun eingetretenen Frieden und die Beruhigung des göttlichen Zornes anzuzeigen; und jetzt erscheint sie bei der Taufe, indem sie uns ankündet den Befreier.“ Es erschien 4. der heilige Geist in Gestalt einer Taube, um anzudeuten die auf das All bezügliche Wirkung der Taufe, nämlich den Aufbau der kirchlichen Einheit. Deshalb heißt es Ephes. 5.: „Christus hat Sich selbst dahingegeben . . . damit Er Sich herstelle eine glorreiche Kirche, die keine Makel und keine Runzel hätte oder etwas Derartiges; indem Er sie wusch mit dem Wasser im Worte des Lebens.“ Die Taube nämlich ist ein in Gesellschaft, in Herden lebendes Tier; und deshalb heißt es Hohel. 6.: „Eine ist meine Taube.“ Über die Apostel aber stieg der heilige Geist herab in Form von Feuerzungen: 1. damit Er darthue, von welchem Liebesfeuer ihre Herzen erfüllt sein müßten, um unter allerhand Verfolgungen Christum zu predigen. Deshalb sagt Augustin (tract. 6. in Joh.): „In der Form einer Taube stieg der heilige Geist herab über den Herrn bei der Taufe; in Feuerform auf die Apostel. Da wird die Einfalt angezeigt, hier die Liebesglut. Damit also die durch den Geist geheiligten nicht heucheln, erscheint Er in Gestalt einer Taube; und damit die heilige Einfalt nicht kalt bleibe, erscheint Er in Gestalt von Feuer. Stoße dich nicht daran, daß die Zungen getrennt sind; die Einheit erkenne in der Taube.“ Als zweiten Grund führt Chrysostomus an: „Da die Sünden verziehen werden sollten, war Sanftmut notwendig; und deshalb erschien der heilige Geist bei der Taufe Jesu in Form einer Taube. Sobald wir aber Gnade erlangt haben, ist die Zeit gekommen, zu richten zwischen Sünde und Tugend; und da muß man scharf sein wie Feuer.“
