Dritter Artikel. Die Wunder Christi rücksichtlich der Menschen.
a) Gegen die Gattung dieser Wunder wird geltend gemacht: I. Höher steht die Seele im Menschen wie der Körper. Viele Wunder aber hat der Herr gemacht bezüglich der Körper. Wir lesen jedoch nicht, daß Er Wunder gemacht habe bezüglich der Seelen. Denn weder wurden ungläubige wunderbar zum Glauben bekehrt, sondern durch natürliche Mittel wie Ermahnung etc., noch hat Er verrückte zu weisen gemacht. II. Vermöge der göttlichen Kraft machte Christus Wunder. Dieser aber ist es eigen, auf einmal zu wirken und ohne sonstige Beihilfe. Dagegen nahm z. B. (Mark. 8.) „der Herr den blinden bei der Hand und führte ihn außerhalb des Ortes und seine Augen mit Speichel bestreichend legte Er ihm die Hände auf und fragte, ob er sehe. Jener aber aufblickend sagte: Ich sehe die Menschen wie Bäume wandeln. Darauf nun legte Er ihm wieder die Hände auf die Augen; und dieser fing an zu sehen und wiedergegeben ward ihm das Gesicht, daß er klar Alles sehe.“ Also heilte Er diesen nicht auf einmal, sondern zuerst unvollkommen und vermittelst von Speichel. Dies scheint aber kein Wunderwirken zu sein, wie es sich göttlicher Kraft geziemt. III. Nicht immer folgt einer irgend welchen Sünde die Krankheit; wie z. B. der Herr bei Joh. 9. sagt: „Weder hat dieser gesündigt noch seine Eltern, daß er blind geboren ward.“ Nicht hätte der Heiland also, wie bei dem gichtbrüchigen (Matth. 9.), solchen Menschen, die da Heilung von körperlichen Leiden suchten, die Sünden nachlassen sollen; zumal eine körperliche Heilung, da sie etwas Geringeres ist wie der Nachlaß der Sünden, als kein genügender Beweisgrund dafür dasteht, daß Er die Sünden nachlassen kann. IV. Die Wunder dienten zur Bekräftigung der Lehre Christi. Also durfte der Herr, wie Matth. 9., Mark. 8., nicht verbieten, daß man davon nicht spreche, und so selber den Zweck seiner Wunder hindern; zumal Er in anderen Fällen, wie Mark. 5. den vom Teufel befreien empfahl, sie sollten es verkünden. Auf der anderen Seite heißt es Mark. 7.: „Er hat Alles wohl gemacht; die tauben machte Er hörend und die stummen sprechend.“
b) Ich antworte, das Mittel müsse dem Zwecke entsprechen. Christus aber kam in die Welt und lehrte, „damit die Welt gerettet werde durch Ihn“ (Joh. 3.). Indem Er also die Leiber einzelner wunderbarerweise heilte, that Er damit dar, Er sei der allgemeine und geistige Heiland der Menschen.
c) l. Der Zweck unterscheidet sich von dem Mittel zum Zwecke. Die Wunder aber waren Mittel für die Erleuchtung und Rechtfertigung der Seele, wovon das Erste die Vorbedingung ist für das Zweite; weil, nach Sap. 1., „in eine böswillige Seele nicht eintreten wird die Weisheit und sie wird nicht wohnen in einem der Sünde unterworfenen Körper.“ Da es nun gegen die mit Freiheit begabte menschliche Natur und gegen den Charakter der Gerechtigkeit, welcher die Gradheit des Willens einschließt, gewesen wäre, die Menschen gegen ihren Willen zu rechtfertigen, so hat der Herr wohl mit göttlicher Kraft die Sünder gerechtfertigt, aber nicht gegen ihr Wissen und Wollen; und zu diesem Zwecke hat Er Wunder gewirkt, die Rechtfertigung selbst aber ist an und für sich kein Wunder. Ähnlich hat Er auch den Jüngern, die da einfache Leute waren, Weisheit eingeprägt, wie Er selbst sagt (Luk. 21.): „Ich will euch geben den Mund und die Weisheit, der nicht werden widerstehen können und widersprechen alle euere Gegner.“ Dies nun wird, soweit es auf das Innerliche sich erstreckt, nicht zu den Wundern gerechnet; wohl aber mit Rücksicht auf das Äußerliche, insofern die Menschen sahen, jene, die vollständig bildungslos gewesen waren, sprächen jetzt mit Weisheit und Standhaftigkeit. Deshalb heißt es Act. 4.: „Als die Juden sahen die Standhaftigkeit des Petrus und Johannes, wohl wissend, daß sie keine wissenschaftliche Bildung genossen hatten und ganz einfach waren, wunderten sie sich.“ Jedoch sind diese im Geiste sich vollziehenden Wirkungen, obgleich sie von den sinnlich wahrnehmbaren Wundern unterschieden werden, doch ebenfalls gewisse Bezeugungen der Lehre und der Kraft Christi, nach Hebr. 2.: „Und Gott gab Zeugnis durch Zeichen und Wunder und durch verschiedene Kräfte und Zuteilungen des heiligen Geistes.“ Aber auch mit Rücksicht auf die menschlichen Kräfte, zumal auf den Einfluß in die niederen sinnlichen, hat Christus einige Wunder gewirkt. So sagt Hieronymus zu Matth. 9. (Surgens secutus est eum): „Der Glanz selber und die Majestät der verborgenen Gottheit, welche strahlend leuchtete auf seinem Antlitze, konnte jene, die Ihn sahen, beim ersten Blicke zu Ihm hinziehen.“ Und zu Matth. 21. (Ejiciebat): „Unter allen Wundern, die Jesus gewirkt, erscheint mir dies am wunderbarsten, daß ein einziger Mensch und noch dazu in jener Zeit ohne Ansehen mit den Schlägen einer einzigen Geißel eine so große Menge aus dem Tempel herausjagen konnte; etwas Feuriges nämlich und wie Sternenglanz Strahlendes leuchtete hervor aus den Augen und die Majestät der Gottheit erglänzte auf dem Antlitze.“ Und nach derselben Seite hin sagt Origenes (in Joan. tom. 2.), daß dieses Wunder größer sei wie jenes der Verwandlung von Wasser in Wein; denn „da besteht ein lebloser Stoff, hier aber werden die Geister so und so vieler tausend Menschen bezwungen.“ Ähnlich bemerkt Augustin zu Joh. 18. (abierunt retrorsum): „Eine einfache Stimme hat diese haßerfüllte und mit schweren Waffen ausgerüstete Schar ohne irgend eine Waffe dahingestreckt; denn Gott war verborgen im Fleische.“ Dazu gehört, daß „Jesus vorübergehend mitten durchsie hindurch schritt“ (Luk. 5, 30.), wozu Chrysostomus erklärt: „Inmitten der Verfolger stehen und nicht erfaßt werden, dies thut die hervorragende Gewalt der Gottheit dar“ (47. in Joan.); und zu Joh. 8. (abscondit se et exivit de templo) sagt Theophylactus: „Er verbarg Sich nicht voll Furcht in einer Ecke oder stellte Sich hinter einen Pfeiler; sondern durch göttliche Gewalt sich unsichtbar machend den Verfolgern gegenüber schritt Er mitten durch sie hindurch.“ Aus dem Allem geht hervor, daß Christus, wenn Er wollte, auch auf die inneren Seelenkräfte der Menfchen wunderbar verändernden Einfluß ausübte; nicht nur indem Er rechtfertigte oder Weisheit einflößte, sondern auch indem Er die außenstehenden anzog, sie abschreckte oder in Staunen versetzte. II. Christus wollte die Menschen erlösen nicht allein durch seine göttliche Kraft, sondern auch durch das Geheimnis seiner Menschwerdung. Deshalb mischte Er in sein Wunderwirken häufig etwas hinein, was auf seine menschliche Natur sich bezog. Deshalb sagt Cyrillus zu Luk. 4. (singulis manus imponens): „Obgleich der Herr mit einem einzigen Worte alle Krankheiten hätte vertreiben können, so berührt Er doch die kranken und thut damit dar, wie auch das von Ihm angenommene Fleisch wirksam war, um Heilmittel zu gewähren“ (4. in Joan.). Und zu Mark. 8. (expuens in oculos ejus) erklärt Chrysostomus: „Er spuckt aus und legt die Hände auf den blinden, damit Er zeige, wie das göttliche Wort mit menschlicher Thätigkeit verbunden Wunder wirkt. Denn die Hand zeigt an das Thätigsein, der Speichel bedeutet das aus dem Munde fließende Wort.“ Ähnlich sagt Augustin (tract. 44. in Joan.): „Von seinem Speichel macht Er feuchte Erde, weit das Wort Fleisch geworden ist;“ oder weil Er selber aus feuchter Erde den Menschen gemacht hat (Chrysost. hom. 55. in Joan.). Im allgemeinen jedoch ist hier zu bemerken, daß der Herr bei seinen Wundern höchst vollendete Werke macht. Deshalb sagt Chrysostomus (hom. 21. in Joan.) zu Joh. 2.: Jeder Mensch setzt zuerst den guten Wein vor: „So sind die Wunder Christi, daß das, was durch sie hergestellt wird, schöner und nützlicher ist wie das durch die Natur Hergestellte.“ Ähnlich giebt Er im Augenblicke vollendete Gesundheit, weshalb zu Matth. 8. (surrexit et ministravit) Hieronymus sagt: „Die vom Herrn verliehene Gesundheit kehrt ganz und auf einmal zurück.“ In jenem blinden aber fand als in einem besonderen Falle das Gegenteil statt, weil er ungläubig war, so daß Chrysostomus (hom. 9. in Matth.) erklärt (cfr. Beda c. 34. in Marc.): „Während Er ihn mit einem Worte auf einmal heilen konnte, heilt Er ihn nun nach und nach, damit Er zeige die Größe der menschlichen Blindheit, die da kaum und dann nur wie stufenweise dem Lichte wieder sich öffnet; Er zeigt uns damit seine Gnade, durch welche Er auf allen Stufen des geistigen Wachstums beisteht.“ III. Da „Gottes Werke vollkommen sind“ (Deut. 32.) und der Zweck der Wunder Christi war die Heilung der Seele, so würde unzulässigerweise der Herr den Körper jemandes geheilt haben, wenn Er nicht für dessen Seele gesorgt hätte. Deshalb sagt Augustin (tract. 30. in Joan.): „Dieser Mensch, den der Herr am Sabbathe ganz und gar geheilt hatte (Joh. 7.), wurde geheilt, damit er gesund sei am Leibe; er glaubte, damit er heil sei in der Seele.“ Zu Matth. 9. (quid est facilius) aber bemerkt Hieronymus: „Daraus sollen wir verstehen, daß körperliche Krankheiten oft aus den Sünden entstehen; und deshalb werden vielleicht zuerst die Sünden nachgelassen, damit beim Fortfallen der Ursache für die Krankheit auch die Gesundheit wieder geschenkt werde.“ Daher sagt Jesus selber (Joh. 5.): „Gehe hin und sündige nicht mehr, daß dir nicht etwas Schlimmeres widerfahre;“ wozu Chrysostomus erklärt (37. in Joan.): „Lernen wir, daß seine Sünden die Ursache waren für seine Krankheit.“ „Je vorzüglicher die Seele ist wie der Körper; desto größer ist es, die Sünden nachzulassen wie Krankheiten zu heilen. Weil aber Jenes nicht so offen vorliegt, thut Er dieses, was offenbarer ist; damit man so schließe vom mehr Offenbaren auf das minder Offenbare“ (30. in Joan.). IV. „Da liegt kein Gegensatz vor“ (Chrysost. 13 in Matth.), „daß Er hier sagt: niemand soll es wissen und dort: verkünde die Ehre Gottes den deinigen. Denn dadurch lehrt er uns, wir sollen verhindern, daß man uns unsertwegen lobe; wenn aber das Lob auf Gottes Ehre bezogen wird, sollen wir vielmehr dahin wirken, daß dies geschehe.“
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