Zweiter Artikel. Der Charakter ist eine gewisse geistige Gewalt oder ein geistiges vermögen.
a) Dem steht Folgendes entgegen: I. „Charakter“ scheint dasselbe sagen zu wollen wie „Figur“; so daß Hebr. 1, l. das lateinische Wort „Figur“ wiedergiebt den griechischen Ausdruck „Charakter“; in figura substantiae ejus. Die „Figur“ aber gehört zur vierten Gattung der Eigenschaft, während „Gewalt“ oder „Vermögen“ gehört zur zweiten. II. Dionysius sagt (2. de ciel. hier.): „Die göttliche Seligkeit nimmt jenen, der zur Taufe herantritt, auf in die Gemeinschaft mit ihr selbst und durch das ihr eigene Licht verleiht sie, wie durch ein Zeichen, die Teilnahme an ihr.“ Danach wäre der Charakter also wie ein gewisses Licht. Das Licht aber gehört zur dritten Gattung der Eigenschaft, nämlich zum Einwirken und dementsprechenden Leiden, zur actio und passio. Also ist er keine Gewalt, potentia, die zur zweiten gehört. III. Der Charakter wird von einigen so definiert: „Der Charakter ist ein heiliges Zeichen der Gemeinschaft des Glaubens und der heiligen Rangordnung; das gegeben wird vom Hierarchen.“ Jedes Zeichen aber ist seiner Natur nach in der Seinsart der Beziehung oder Relation; nicht aber in der Seinsart „Gewalt“ oder „Vermögen“. IV. Die Gewalt oder das Vermögen ist wie Ursache oder Princip des Wirkens; der Charakter aber als ein Zeichen ist vielmehr eine Wirkung. Auf der anderen Seite sagt Aristoteles (2 Ethic. 5.): „Dreierlei ist in der Seele: Vermögen, Zustand und leidenschaftliche Eindrücke.“ Der leidenschaftliche Eindruck nun geht schnell vorüber, während der Charakter untilgbar bleibt. Des Zustandes kann man sich nicht zum Guten oder zum Schlechten bedienen, er ist entweder auf das Gute oder auf das Schlechtegerichtet; während man des sakramentalen Charakters sich gut oder schlecht bedienen kann. Also bleibt nur übrig, daß der Charakter ein geistiges Vermögen sei.
b) Ich antworte, die Sakramente des Neuen Bundes prägen einen Charakter ein, insoweit durch dieselben die Menschen abgesondert werden zum Kulte Gottes gemäß dem Brauche oder dem Ritus der christlichen Religion. Deshalb fügt Dionysius in der obigen Stelle hinzu: „Er (der Charakter) vollendet den Menschen, daß er von Gott empfange und Göttliches mitteile.“ Der Kult Gottes besteht nämlich gerade darin, daß der Mensch Göttliches empfängt oder Göttliches mitteilt. Zu Ersterem nun gehört ein Vermögen, um empfangen; zum Zweiten ein Vermögen, um einwirken, also anderen geben zu können. Dieses Vermögen jedoch, welches im geistigen sakramentalen Charakter besteht, ist in der Weise eines Werkzeuges zu verstehen; wie überhaupt alle Kraft in den Sakramenten danach aufgefaßt werden muß. Denn den sakramentalen Charakter zu besitzen, kommt den Dienern Gottes zu. Der Diener aber verhält sich nur in der Weise eines Werkzeuges (1 Polit. 3.). Wie also die Kraft, die den Sakramenten innewohnt, nicht an und für sich betrachtet in einer Seinsart ist, sondern als etwas Fließendes und Unvollständiges sich auf eine Seinsart, welche die entsprechende Vollendung und Festigkeit in sich enthält, zurückführen läßt; so ist auch der sakramentale Charakter nicht für sich allein betrachtet in einer Seinsart, sondern läßt sich zurückführen auf die zweite Gattung der Seinsart „Eigenschaft“: nämlich auf das Vermögen.
c) I. Die Figur als Begrenzung des Umfanges gehört im eigentlichen Sinne nur Körperlichem an; wird also bildlicherweise im Bereiche des Geistigen angewandt. Nur aber gemäß dem wird etwas einer Gattung oder „Art“ als ihr angehörig zugewiesen, was im eigentlichen Sinne ausgesagt wird. Also ist der Charakter nicht der Seinsart „Figur“ zugehörig, obgleich dies manche meinten. II. Nur sinnliche Eindrücke sind gemäß dem Einwirken und Empfangen in der dritten Gattung der Seinsart „Eigenschaft“. Der Charakter aber, von dem hier die Rede, ist etwas Geistiges. III. Die Beziehung, welche im Ausdrucke „Zeichen“ eingeschlossen ist, muß auf etwas sich gründen. Nun kann die Beziehung, welche mit zum sakramentalen Charakter als einem Zeichen gehört, nicht sich gründen unmittelbar auf das Wesen der Seele; denn so käme er jeder Seele zu. Also muß etwas Besonderes in der Seele angenommen werden, was die Grundlage sei für die Beziehung des Zeichens beim sakramentalen Charakter, und dies ist das innere Wesen des Charakters. Letzterer muß also nicht zur Seinsart „Beziehung“ oder Relation gehören, wie manche meinen. IV. Der Charakter ist ein Zeichen mit Rücksicht auf das sichtbare Sakrament, von dem er ausgeht. An sich betrachtet aber, seiner inneren Natur nach, ist er Princip für eine gewisse Thätigkeit.
