Fünfzigstes Kapitel. Über die Substanz der Engel. Überleitung.
„Den Weg Deiner Gebote bin ich gelaufen: denn Du haft mein Herz erweitert.“ (Ps. 118.) Nur wenn der Mensch in dieser Weise die Schöpfung betrachtet, wie es hier der heilige Thomas lehrt; nämlich mit steter Beziehung auf die maßgebende göttliche Seinsfülle; — nur in diesem Falle wird das All ein Garten der Wonne, in welchem die Seele den Weg der göttlichen Gebote nicht nur gehen, sondern ohne zu ermüden laufen kann. „Die Heiligen, die da auf Gott hoffen, werden stark sein, sie werden Fittiche erhalten wie die Adler; fliegen werden sie und nicht ermüden.“ Denn ihr Herz hat Gott der Herr selber erweitert. Er thront in ihnen und die Gegensätze, welche die einen unter den Kreaturen von den anderen trennen, lösen sich für diese Seelen in beruhigende Einheit auf. Schwierigleiten hat in der Welt nur der Sünder. Von den Sündern gilt es: „Wir haben schwierige Wege gewandelt.“ Denn sie folgen und unterwerfen sich besonderen, beschränkten Kreaturen. Unter den Kreaturen aber ist immer „eins gegen das andere“ gesetzt; die einen hindern die anderen. Wer den Plan des Ganzen kennt in einem großen Bauwerke; dem kommt nicht mehr der eine oder der andere Teil wie störend oder unnütz vor, sondern alles ist für ihn in schönster Harmonie. Thomas sagte oben ein im höchsten Grade bedeutungsvolles Wort: „Der Mangel selber im Willen, nämlich der Mangel am Guten der Ordnung und der Regel ist nicht die Schuld; aber die Schuld folgt ihm, sobald mit einem solchen Mangel das Wirken sich vollzieht.“ Mag ein Zimmer immerhin in Unordnung sein; dieselbe ist keine für das Auge, wenn kein Licht besteht, durch das sie beleuchtet wird. Fällt aber das Tageslicht darauf, so folgt der Anblick der Unordnung, das Sein derselben für das Auge. Nicht ist das Tageslicht der Grund dieser Unordnung. Was für eine Unordnung im Zimmer der Anblick trifft, das kommt nicht vom Auge und nicht vom Lichte; das ist von den Dingen her. Was vielmehr vom Mangel an Ordnung bereits vorlag und entsprechendes Vermögen hatte, sichtbar zu werden, das bekommt nun thatsächliches Sein im Lichte. Das Licht fügt nur die thatsächliche Sichtbarkeit hinzu und somit die Möglichkeit, die Unordnung mit Beziehung auf dieses betreffende Anblicken abzustellen. Nun ähnlich, meint Thomas, verhält es sich mit dem Übel der Schuld. Der Mangel allein an Ordnung im Willen ist noch nicht die Schuld. Er ist da nur vermögend, als Schuld Wirtlichkeit zu gewinnen; wie die Unordnung im Zimmer an sich nur vermögend ist, das Sein der Sichtbarkeit zu haben. Erst wenn Gott als die Ursache aller Wirklichkeit beschließt, diesem Mangel nicht abzuhelfen kraft seiner Barmherzigkeit; — also erst wenn Er beschließt, nicht in diesem einzelnen Falle bestimmende Ursache zu sein im Willen; — erst wenn Er beschließt, die Sünde zu erlauben; erst dann wird die Schuld eine thatsächlich bestehende, „die wirkliche Schuld folgt dann dem Mangel.“ Ist deshalb die Sünde von Gott? Gerade das Gegenteil tritt da hervor. Dadurch daß die Sünde wirklich ist, dadurch also daß der Sündenakt Wirklichkeit hat, gerade dadurch erscheint die Sünde als unmöglich von Gott herrührend. Was im Sündenakt als Unordnung ist, das „folgt“, wie Thomas sagt, „dem im Willen bestehenden Mangel,“ der vorher im Zustande des Vermögens war für die Wirklichkeit; gleichwie die Art der Unordnung im Zimmer den Gegenständen folgt, die bereits vorher vermögend waren, in ihrer Unordnung sichtbar zu sein. Was hier Sichtbarkeit ist, das ist dort im allgemeinen Wirklichkeit. Das Wirklichsein des Sündenaktes, das da von Gott kommt, wie das Licht von der Sonne, zeigt sogleich in Wirklichkeit, wie die Sünde Unfrieden ist, Regellosigkeit, Gewissenspein; wie sie also nicht von Gott kommt, der ewiger Friede, allseitige Norm, unaufhörliche Seligkeit ist. Dieses Wirklichsein der Sünde ist kein Übel, es zeigt das Übel. Es schließt bereits die Strafe der Schuld, den Gewissensbiß, in sich ein. In ihm ist die Sühnung der Schuld, die Strafe für den Einzelnen: das Übel nämlich in seinem wirklichen abschreckenden Sein einerseits und andererseits die Beziehung alles dessen, was in der Sünde Positives ist, zum Besten des All, zum Gesamtwohle. Der Herr erlaubt die Sünde, damit die Allgüte um so mehr glänze. Es wird in der Kunstgeschichte erzählt, der berühmte Apollo von Belvedere sei an sich im einzelnen betrachtet ganz und gar ein Pfuschwerk; die eine Schulter sei breiter wie die andere; die Stirne stehe in keinem normalen Verhältnisse zu den übrigen Teilen des Gesichtes; die Arme entbehrten ganz und gar der Proportion. Wird derselbe aber an eine bestimmte Stelle gesetzt, und fällt somit das Licht in eigener Weise darauf, so hören die Mißverhältnisse für das beschauende Auge durchaus auf. In der Verbindung mit einem gewissen, so und nicht anders gestalteten Ganzen tragen diese Fehler, welche für das Standbild allein betrachtet, wirkliche Fehler sind, zur Schönheit und Harmonie bei. Mit Rücksicht auf einen einzelnen Teil des Bauwerkes mögen diese Fenster zu klein, jene Thüren zu groß sein; aber in Verbindung mit dem Stil des ganzen Baues verschwinden oft nicht nur diese Fehler, sondern erhöhen die Harmonie des Ganzen. So erlaubt Gott die einzelne Sünde, während dieselbe als Sünde oder moralische Unordnung, als beschränkter Akt ganz von der Kreatur und ganz von deren freiem Willen kommt. Denn dieser hat das Vermögen, mit Rücksicht auf das Ganze und das Allgemeine in selbsteigener Weise thätig zu sein und trotzdem läßt er sich vom Beschränkten einseitig thatsächlich leiten —; Gott erlaubt nur, daß die Schuld eine wirkliche sei, eine in der Wirklichkeit existierende werde. Er giebt ihr positives Sein und zeigt damit, daß der Sünder mit seiner Schuld nur sich selber Schaden thue, daß er es nicht zu hindern vermöge, wie alles Positive in seiner Sünde, selbst ihr wirkliches Sein, zu Gott und dessen Verherrlichung zurückkehre. Der einzelne hat die Sünde in sich, weil er so es will. Seine Sünde trägt bei zur Offenbarung der göttlichen Güte und Ehre gegen den Willen des Sünders; aber nach dem Willen der ersten allgemeinsten Ursache, deren Blick über alles Sein sich bestimmend erstreckt. Was im sündhaften Akte, wie er da vorhanden ist, von Schuld, von Mangelhaftem ist, das hat er vom Sünder; was in ihm als Sein, positives Vermögen, als Wirklichkeit existiert, das ist von Gott. „Die Ordnung des All erfordert es,“ sagte oben Thomas, „daß Manches vergehen, schwach werden kann und daß es somit auch zuweilen wirklich vergeht.“ Ist das eine zwingende Folgerung, daß, weil manches der Schwäche unterliegen kann, es auch zuweilen wirklich unterliegt? Gewiß! Denn wozu wäre ein solches Können; wenn es nie thatsächlich würde? Es wäre ja dann nicht einmal erkennbar, da nur auf Grund der thatsächlichen Wirklichkeit etwas erkennbar ist. Nun ist es der Welt eigen und mit ihr notwendig verbunden, daß sie der Ehre Gottes dient. Die Ehre Gottes aber ist eben nichts Anderes als die Erkenntnis, welche Gott zum Gegenstande hat. Wäre also ein solches Vermögen, ein solches Können, was dem Fallen zu Grunde liegt, nicht erkennbar, so wäre es ohne Zweck; es diente nicht der Ehre Gottes. Folgt daraus, daß nun, da der Mensch sündigen kann, nun auch einzelne Menschen thatsächlich sündigen müssen, damit dieses Vermögen in Thätigkeit trete und auf diese Weise erkannt werde? Durchaus nicht! Keine thatsächliche Sünde; auch nicht, daß eine einzige bestehe, ist notwendig, weder für den einzelnen noch für das Ganze; es bestände sonst in ihr nicht der Charakter der Sünde. Daß aus diesem Umstände, Manches könne vom vorgesteckten Zwecke und von der ihm durch seine Natur selbst gesetzten Ordnung abfallen, mit Notwendigkeit folgt. Einiges nun falle thatsächlich ab; dazu genügt, daß überhaupt in der Natur Einiges thatsächlich vergeht, was in sich es hat, vergehen zu können; mag dies auch nur bei Pflanzen, Tieren u. dgl. sich thatsächlich bewahrheiten. Denn aus einer einzigen solchen Thatsache kann das kreatürliche Vermögen, zu fallen oder schwach zu werden, mit Sicherheit auch für die anderen entsprechenden Fähigkeiten und Kräfte erkannt werden. Gottes Ehre aber erscheint darin deshalb, weil seine Güte und seine Macht in ganz offenbarer Weise selbst das zum Sein und zum Wirken bestimmt und bethätigt, was seiner Natur nach fallen und vergehen kann; weil also seine Güte und Macht das Elend des Nichts gleichsam auf Schritt und Tritt überwindet. Und wie soll, wenn ein solcher Gott das Herz „erweitert“, nicht der Weg innerhalb des Geschöpflichen glatt und eben sein! Wenn vor einem solchen Gotte selbst das an sich Vergängliche und von sich aus zum Falln Geeignete ein Mittel wird zur Erhöhung des Glanzes der Schöpfung; wie sollen wir dann „nicht ohne Hindernis laufen den Weg zu unserem Heile“l „Nur ein geringer Teil der Schöpfung ist von Natur dem Entstehen und Vergehen, dem beständigen Wechsel, also einem Übel unterworfen.“ Vor dem Blicke des Engels der Schule verschwindet die Weite und Größe der Erde, wo alles erzeugt wird, groß wird, wieder schwindet und vergeht. Sein Blick ist gerichtet auf jene zahllosen, überaus mächtigen, den Himmel anfüllenden Substanzen der reinen Geister, im Vergleiche zu denen die ganze Erde, der ganze Stoff wie ein Pünktchen ist im Verhältnisse zu den Riesenbergen; wie ein Tropfen im Verhältnisse zum Meere. Der Engel der Schule wird uns nun als Engel im Fleische die Vorzüge und die Substanz jener Engel schildern, die er jetzt zu seinen Genossen in der Herrlichkeit hat und die er während seiner irdischen Pilgerzeit verehrte als die Schützer und Helfer in seinen Forschungen. Giebt es solche rein geistige Substanzen? Und wie sollte Gott, dessen hervorbringende Macht sich auf das seinem Wesen und Sein so ferne Bereich des Stofflichen erstreckt, wie sollte diese Macht nicht um so natürlicher und glänzender sich zeigen in der Hervorbringung rein geistiger Substanzen, die seiner eigenen Natur näher stehen und dieser in höherem Grade entsprechen! Das Feuer, welches einen ihm fernliegenden Körper wärmt, sollte jenen nicht erwärmen, der ganz nahe bei ihm ist! Und wenn die ganze Welt nichts Anderes wäre als ein Himmel; die Engel wären darin die Sonne und die glänzendsten Sterne. Und wenn die Welt nichts Anderes wäre wie ein Garten; die Engel wären darin die Rosen, die Lilien, die allerlieblichsten und den reinsten Duft ausstrahlenden Blumen. „Der Engel ist ein Bildnis Gottes,“ spricht der glorreiche Dionysius, „der Ausdruck des verborgenen Lichtes, ein Spiegel, ohne Makel, ganz rein leuchtend und fähig, alle Schönheit der Figur der göttlichen Güte anzunehmen.“ Nun müssen wir behandeln im einzelnen die rein geistige Kreatur, die in der helligen Schrift „Engel“ genannt wird; dann die rein stoffliche Kreatur und endlich die aus Geist und Stoff zusammengesetzte: den Menschen. Von der rein geistigen Kreatur, den Engeln, betrachten wir zuerst ihre Substanz; dann die Art und Weise ihrer Vernunft; ferner ihre Willenskraft und endlich die Erschaffung derselben. Die Substanz der Engel beschäftigt uns zunächst an sich und dann im Vergleich mit dem Körperlichen.
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