Dritter Artikel. Es besteht kein höchstes Übel als Ursache alles Übels.
a) An der Spitze der Übel scheint als wirkende Ursache ein höchstes Übel zu stehen. Denn: I. Von Wirkungen, die einander entgegengesetzt sind, sind auch die Ursachen einander entgegengesetzt (lib. 5 Politic.). In der Welt befinden sich aber einander entgegengesetzte Wirkungen; wie es Ekkli. 33. heißt: „Dem Übel steht das Gute gegenüber; und dem Leben der Tod; und so ist dem gerechten Manne entgegengesetzt der Sünder.“ Also giebt es zwei einander entgegengesetzte Principien: Das eine vom Guten, das andere vom Bösen. II. Ein höchstes Gut ist in der Welt; also auch der Gegensatz davon (2. de coelo et mundo) das höchste Übel als Grund alles Übels. III. In den Dingen giebt es ein „gut“ und ein „besser“; ebenso wie ein „schlecht“ und „schlechter“. Die Steigerung im Grade des Guten wird aber ausgesagt mit Rücksicht auf ein höchstes Gut. Also folgt aus der Steigerung des Grades im Übel die Existenz eines Übels als ersten Princips aller Übel. IV. Alles, was kraft Mitteilung und Teilnahme an etwas Sein hat, wird auf jenes zurückgeführt, was dies kraft seines Wesens, also notwendig ist. Die Dinge aber, welche bei uns vom Übel sind, sind dies kraft Mitteilung und Teilnahme; nicht kraft ihres Wesens. Also ist ein höchstes Übel vorhanden, das seinem Wesen nach Ursache alles Übels ist; und die anderen Dinge sind nur vom Übel, weil ihnen es von diesem höchsten Übel aus mitgeteilt worden und sie so daran teilnehmen. V. Was nur nebenbei und unter Voraussetzung äußerer Verhältnisse oder bedingungsweise verursacht, nicht direkt aus sich und kraft seiner Natur; das wird zurückgeführt auf etwas, wovon die betreffende Verursachung direkt an sich ausgeht. Das Gute aber ist Ursache des Übels nebenbei und nicht aus sich heraus und unmittelbar. Also muß ein höchstes Übel da sein, aus dem direkt und mit Absicht, unmittelbar und unter keiner weiteren Voraussetzung das Übel folgt. Es möge nicht gesagt werden, eine solche Ursache habe das Übel nicht. Denn daraus würde folgen, daß das Übel nur ausnahmsweise und in wenigen Fällen vorhanden ist; wie z. B. die lahmen Beine nur in wenigen Fällen existieren im Verhältnisse zur Zahl der Menschen und wie die Mißgeburten eine Ausnahme sind. VI. Eine mangelhafte Wirkung wird zurückgeführt auf eine mangelhafte Ursache; denn eine so gestaltete Wirkung geht von einer so gestalteten Ursache aus. Es kann da aber nicht bis ins Endlose von einer mangelhaften Ursache der Grund eine andere mangelhafte Ursache sein. Also besteht eine höchste und erste mit Mangel behaftete Ursache; also ein höchstes Übel. Auf der anderen Seite ist das höchste Gut die Ursache alles Seins. (Kap. 6, Art. 4.) Also kein ihm entgegengesetztes Princip kann bestehen, das Ursache aller Übel wäre.
b) Ich antworte, es kann kein höchstes Princip im Bereiche des Übels sein, wie ein solches für das Gute besteht. 1. Das höchste Gut ist kraft seines Wesens gut. Nichts aber kann kraft seines Wesens schlecht sein. Denn alles Sein, insoweit es ist, ist gut; und alles Übel ist wie im tragenden Subjekt im Guten. 2. Das erste Princip des Guten ist das Gute in höchster Vollendung, was alle Güte von vornherein in sich enthält. Ein höchstes Übel aber kann in eben diesem Sinne nicht sein. Denn soweit das Übel auch verdirbt, es kann nie ganz und gar das Gute aufzehren, wie oben dargethan worden. Und so kann, da immer etwas Gutes zurückbleibt, nichts durchaus und nach allen Seiten hin Übel sein. Deshalb sagt Aristoteles (4 Ethic. 5.), daß das Übel, wenn es vollständig ist, sich selbst zerstört. Denn wird alles Gute fortgenommen, so verschwindet auch das Übel selber, da es kein Subjekt mehr hat, von dem es getragen wird; wie, wenn kein lebendiger Körper mehr existiert, auch von Krankheit nicht mehr die Rede ist. 3. Die Natur des Übels widerstrebt dem Charakter und der Natur eines ersten Princips. Denn das Übel geht einerseits vom Guten aus als von seiner Ursache; und andererseits kann das Übel als Mangel nur nebenbei und unter mannigfacher Voraussetzung Ursache sein, nicht aus sich heraus. Und somit kann es nicht erste Ursache sein; denn eine Ursache, aus der nur nebenbei etwas folgt, ist später als eine Ursache, aus der direkt und unmittelbar, kraft ihrer selbst die Wirkung hervorgeht. Die aber zwei erste Principien annahmen, das eine für das Gute, das andere für das Böse, kamen zu dieser Annahme von derselben Wurzel von Irrtümern aus, von welcher die alten Philosophen so viel Falsches ableiteten; sie erwogen nicht die allgemeine Ursache alles Seins. Nur die eigens entsprechenden beschränkten Ursachen der einzelnen Wirkungen betrachteten sie. Deshalb meinten sie, wenn sie sahen, daß ein Ding dem anderen schädlich sei, daß die Natur dieses Dinges böse sei; wie wenn jemand die Natur des Feuers als böse bezeichnen wollte, weil es das Haus eines Armen verschlungen hat. Das Urteil über die Güte und Brauchbarkeit eines Dinges aber muß nicht hergenommen werden gemäß der Beziehung desselben zu etwas Besonderem und Beschränktem, sondern gemäß der Natur des Dinges selbst und gemäß der Beziehung zum All der Dinge, in welchem nach der weisesten Regel jegliches seinen Platz inne hat. Ähnlicherweise fanden sie, daß von zwei sich einander entgegengesetzten Wirkungen zwei besondere und nächste Ursachen bestehen, die einander entgegengesetzt sind; und sie wußten nicht, wie sie diese beiden sich gegenüberstehenden Ursachen auf eine gemeinsame allgemeine Ursache zurückführen sollten. Deshalb meinten sie, es gäbe auch zwei erste einander entgegengesetzte Principien in den Ursachen. Da aber alles, was sich gegenübersteht und zu einander im Gegensatze ist in einem Gemeinsamen zusammenkommt, wie z. B. Schwarz und Weiß darin, daß es Farben sind; so ist es notwendig, über den Ursachen, die zu einander im Gegensatze stehen, eine einige gemeinsame Ursache zu finden. So steht z. B. über den einandergesetzten Eigenschaften der Elemente, wie kalt und warm, die eine gemeinsame Kraft der Himmelskörper, welche beide Gegensätze hervorbringt. Und ähnlich steht über allem, was wie auch immer Sein hat, ein einziges, einiges erstes Princip. (Vgl. Kap. 3, Art. 3.)
c) I. Alle Gegensätze haben eine „Art“ gemein; und jedenfalls kommen sie alle darin miteinander überein, daß sie sind. Obgleich sie sich deshalb auf je besondere Ursachen als ihre nächsten Ursachen beziehen, die einander entgegengesetzt sind, so haben sie doch eine gemeinsame erste Ursache: die Ursache alles Seins. II. Ein Zustand und der Mangel an selbem werden von ein und demselben Subjekte getragen; vom Auge z. B. gilt sowohl die Blindheit wie das Sehen. Dieses Subjekt ist mit Rücksicht auf den betreffenden Zustand oder dessen Mangel ein Sein dem Vermögen nach. Da also das Übel ein Mangel an jenem Guten ist, was das Subjekt tragen könnte und müßte, so steht es eben jenem besonderen Guten entgegen, dessen das zu Grunde liegende Vermögen oder Subjekt entbehrt; und nicht dem höchsten Gute. Die Blindheit steht dem Sehen und nicht Gott gegenüber. Gott und ein solches Übel stehen nicht im Gegensatze: sondern das beschränkte Gut steht im Gegensatze zum betreffenden Übel, welches desselben beraubt. III. Jegliche Form hat ein Mehr oder Minder je nach ihrer Natur. Wie aber jede Form oder Eigenschaft eine gewisse Vollkommenheit und Vollendung ist, so ist jeder Mangel eine Entfernung von dieser Vollkommenheit. Jede Form oder Eigenschaft wird eine bessere, je mehr sie sich dem Vollendeten in ihrer Art nähert. Der Mangel aber wird um so größer, je größer die Entfernung von diesem Vollendeten ist. Sonach wird „schlecht“ und„ schlechter“ nicht mit Rücksicht auf ein höchstes Übel ausgesagt; sondern gemäß der Entfernung vom höchsten Gute. IV. Kein Sein ist schlecht, weil es am Schlechten Anteil hat; sondern darum gerade, weil ihm die Teilnahme am Sein und am Guten mangelt. Also besteht da kein Zurückführen auf ein Übel dem Wesen nach. V. Das Übel hat seiner Natur nach nur eine nebensächliche zufällige Ursache; also kann es nicht zurückgeführt werden auf eine Ursache, welche es unmittelbar will und bewirkt. Daß aber das Übel in zahlreicheren Dingen sei wie das Gute, ist einfach falsch. Denn was entsteht und vergeht und so seiner Natur nach dem Verderben, also dem Übel ausgesetzt ist, das ist ein sehr geringer Teil des All; und ebenso trifft in ein und derselben Gattung das Übel nur den der Zahl nach geringeren Teil. In den Menschen allein scheint ein Überschuß des Übels zu sein. Denn das Wohl des Menschen gemäß dem sinnlichen Teile, ist nicht das Wohl des Menschen, insoweit er Mensch ist; sondern das Wohl des Menschen als solches vollendet sich gemäß der Vernunft. Mehr Menschen aber folgen dem Sinne als der Vernunft. VI. In den Ursachen des Übels ist keine endlose Reihenfolge; sondern sie alle werden zurückgeführt in eine Ursache, die gut ist, aus der aber das Übel zufällig, auf Grund äußerer Verhältnisse u. dgl. folgt; nicht aus der Natur der guten Ursache.
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