Zweiter Artikel. Der Undank und zwar besonders jener, der gemäß dem Hasse unter Brüdern ist, dem Abfalle vom Glauben, der Verachtung des Bekennens und dem Schmerze, daß man Buße gethan, führt zumal die nachgelassenen Sünden in der angegebenen Weise zurück.
a) Dies scheint nicht. Denn: I. Manche Sünden sind schwerer wie diese; z. B. die Lästerung Gottes, die Sünde gegen den heiligen Geist. Also enthalten sie einen schwereren Undank gegen Gott. II. Rhabanus sagt (5. in Matth.): „Den ruchlosen Knecht übergiebt Gott den Peinigern, bis er die ganze Schuld bezahlt hat; denn nicht nur werden ihm zur Strafe angerechnet die Sünden, die der Mensch nach der Taufe begangen, sondern auch die Erbsünde und die in der Taufe vergeben worden.“ Aber auch die läßlichen Sünden gehören zu den Verschuldungen, um deren Nachlaß wir im Vaterunser bitten. Also auch sie kehren zurück durch den Undank. Und somit kehren durch die läßlichen Sünden auch zurück die früher nachgelassenen und nicht allein die oben aufgezählten. III. Der Grad der Undankbarkeit bemißt sich nach der Größe der empfangenen Wohlthat, trotz der jemand sündigt. Unter diesen Wohlthaten nun ist auch die Unschuld selber, nach Aug. 2. Conf. 7.: „Deine Gnade ist es, kraft deren ich nicht begangen, was ich nicht begangen habe.“ Eine größere Wohlthat aber ist diese Unschuld, wie der Nachlaß selber der Sünden. Also wer zuerst sündigt nach der Unschuld, ist nicht minder schuldig wie der da sündigt nach der Buße. Und also kehren die Sünden nicht gerade insbesondere durch den Undank gemäß den erwähnten Sünden zurück, so daß dieser Vers nicht richtig ist: Fratres odit; apostata fit, spernitque fateri; Poenituisse piget; pristina culpa redit. Auf der anderen Seite schreibt Gregor (18. moral.; 4. dial. ult.): „Aus den Worten des Evangeliums ist es klar, daß, wenn wir das gegen uns Begangene nicht von Herzen verzeihen; was uns bereits zu unserer Freude durch die Buße nachgelassen worden war …“ Also läßt der brüderliche Haß — und dasselbe gilt von den anderen da genannten Sünden — als Zeichen des Undanks vorzugsweise die nachgelassenen Sünden zurückkehren.
b) Ich antworte, die verziehenen Sünden kehren zurück, insoweit die Makeln und Verschuldungen derselben auf Grund des Undanks der Kraft nach (virtnte) enthalten sind in der nachfolgenden Sünde. Der Undank nun, der darin sich zeigt, daß man etwas thut gegen den Wohlthäter, ist bei jeder Todsünde; denn bei jeder verachtet der Sünder Gott, der ihm aus reiner Güte die Sünde nachgelassen, und begeht einen schweren Undank. Wird aber der Undank so begangen, daß er sich nicht nur gegen die Wohlthat, resp. den Wohlthäter richtet, sondern auch gegen die besondere Form der Wohlthat, so entsteht jener im Titel des Artikels genannte Unterschied. Denn wird diese Form berücksichtigt auf seiten des Wohlthäters, so ist da 1. der Nachlaß der Sünden; und dagegen richtet sich präcis jener, der dem Bruderkeinen Nachlaß der begangenen Beleidigung gewährt. Wird diese Form berücksichtigt auf seiten des büßenden, so ist da eine doppelte Willensbewegung; 2. zu Gott hin kraft des in der Liebe geformten und vollendeten Glaubensaktes; und dagegen handelt jener, der vom Glauben abfällt; — oder 3. gegen die Sünde kraft des Bußaktes, wodurch verabscheut wird die Sünde, und dagegen richtet sich direkt, der es bereut, daß er bereut habe; — und 4. man unterwirft sich der Schlüsselgewalt durch das Bekenntnis, nach Ps. 31.: „Ich will bekennen gegen mich meine Missethat Gott dem Herrn und Du hast nachgelassen die Bosheit meiner Sünde;“ wogegen sich richtet jener, der nicht beichten will. Und in dieser Weise macht die Undankbarkeit es insbesondere, daß die früheren vergebenen Sünden zurückkehren.
c) I. Diese erwähnten Sünden sind nicht gerade schwerer wie die anderen; aber sie sind mehr entgegengesetzt der erhaltenen Wohlthat. II. Die läßlichen Sünden und auch die Erbsünde kehren in dieser Weise zurück; denn es wird die Wohlthat Gottes verachtet, kraft deren diese Sünden nachgelassen wurden. Durch die läßliche Sünde jedoch begeht jemand nicht gerade die Sünde des Undanks; denn der Mensch handelt da nicht gegen Gott, sondern sieht ab von Gott. Also durch läßliche Sünden kehren niemals die früheren Sünden zurück. III. Dem Umfange nach ist die Unschuld eine größere Wohlthat. Die Buße ist eine größere Wohlthat von seiten des Empfängers, der da des Nachlasses der Sünden durch die Buße unwürdig ist und sonach undankbarer ist, wenn er die Wohlthat Gottes verachtet.
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