Erster Artikel. Die Rückkehr aller Sünden, wenn man in eine Todsünde gefallen ist.
a) Die nachgelassenen Sünden kommen wieder, wenn man eine Todsünde begeht. Denn: I. „Daß die nachgelassenen Sünden zurückkehren, wo keine brüderliche Liebe ist, dies lehrt offen der Heiland bei jenem Knechte, von dem dienachgelassene Schuld wieder abverlangt wird, weil er seinem Mitknechte die Schuld nicht nachlassen wollte,“ sagt Augustin (1. de bapt. cont. Don. 12.). Die brüderliche Liebe aber wird entfernt durch jede Todsünde. II. Zu Luk. 11. (Revertar) sagt Beda (in Luc. c. 48.): „Fürchten muß man diese Worte, nicht erklären; damit nicht die Schuld, die wir für getilgt in uns ansahen, durch unsere Sorglosigkeit wieder auflebe und uns, weil wir zu träge sind, erdrücke.“ Also kommt die Schuld zurück. III. Ezech. 18. heißt es: „Wenn sich der gerechte abwendet von seiner Gerechtigkeit und Missethat thut, so werde ich nicht mehr gedenken all der Gerechtigkeiten, die er gethan.“ Unter diesen Gerechtigkeiten aber findet sich auch die vorhergehende Reue, die ja als Tugend ein Teil der Gerechtigkeit ist. Also leben alle durch die Reue getilgten Sünden dann wieder auf. IV. Die Gnade „bedeckt die vorhergehenden Sünden“ (Ps. 31.). Die Todsünde entfernt die Gnade. Also stehen die Sünden wieder auf. Aus der anderen Seite heißt es Röm. 11.: „Ohne Reue sind die Gaben und die Berufung Gottes.“ Die Sünden aber sind durch die Gabe Gottes einmal getilgt. Also kehren sie nicht zurück, als ob es Gott gereute, sie verziehen zu haben. Augustin sagt (1. Resp. Prosp. obj. 2.): „Wer von Christo sich entfemt und entfremdet der Gnade sein Leben endet; was erwartet diesen anders wie das ewige Verderben? Aber es wird ihm nicht angerechnet, was vergeben ist; er wird nicht verdammt wegen der Erbsünde.“
b) Ich antworte, die Abkehr von Gott begleite jede Todsünde und demzufolge auch die Schuld der ewigen Verdammnis. Und danach heißt es Jak. 2.: „Wer in Einem beleidigt, ist schuldig aller Gebote.“ Wird jedoch die Zuwendung betrachtet, so sind die Sünden verschieden und bisweilen einander entgegengesetzt. Also offenbar bewirkt die folgende Todsünde nicht nach dieser Seite hin, daß die vorhergehenden getilgten zurückkehren; so daß z. B., wenn jemand, der früher verschwenderisch war und später dem Geize sich ergeben hat, nun der Zustand der Verschwendung zurückkehrte; und so der Gegensatz seinen Gegensatz zurückgeleitete. Jedoch von der Seite der Abkehr von Gott her bringt die folgende zurück, was früher da war vor dem Nachlasse der vorhergehenden Todsünden; denn durch die folgende Sünde wird der Mensch der Gnade beraubt, und schuldig der ewigen Strafe. Weil aber diese Abkehr von Gott gewissermaßen verursacht ist durch die Zuwendung zu einem vergänglichen Gute, so entsteht da auf seiten der Abkehr eine Verschiedenheit im Verhältnisse zu den verschiedenen Arten von Zuwendung, so daß di Verschuldung und die Makel eine andere ist, je nachdem sie entsteht aus einem anderen Akte der Todsünde. Und danach wird gefragt, ob diese Makel und Verschuldung, soweit sie verursacht wurde aus den verschiedenen Akten früher nachgelassener Sünden, durch die folgende Todsünde zurückkehren. Manche nun sagen, sie kehre schlechthin und ohne weiteres wieder. Das aber kann nicht sein. Denn das Werk Gottes, wonach die früheren Sünden nachgelassen wurden, kann nicht vereitelt werden durch das Werk des Menschen; nach Röm. 3.: „Hat denn ihre Ungläubigkeit die Treue Gottes eitel gemacht?'^ Andere also sagen, Gott lasse die Sünden jenen nicht wahrhaft und für immer nach, von denen Er weiß, sie würden wieder sündigen; nur das macht Er durch die Gnade, daß sie für eine Zeit lang gerecht seien. Dasaber kann wiederum nicht sein. Denn wenn durch die Gnade und die Sakramente der Gnade nur bedingungsweise und zwar unter einer Bedingung, die auf die Zukunft zeigt, und nicht schlechthin oder absolut die Sünden nachgelassen würden, so wäre die Gnade keine hinreichende Ursache für den Nachlaß der Sünden; was ein Irrtum ist, welcher der Gnade in das Angesicht schlägt. Also in keiner Weise kehren die Makel und Verschuldungen der vergebenen Sünden zurück, soweit sie aus den sündigen Akten verursacht wurden. Es trifft sich aber, daß der folgende Sündenakt der Kraft nach in sich enthält die Verschuldung und Makel des früheren; insoweit ein Mensch, der das zweite Mal sündigt, eben darum schwerer zu sündigen scheint als er früher gesündigt hatte, nach Röm. 2.: „Nach deiner Verstockung und deinem unbußfertigen Herzen häufest du dir an wie einen Schatz den Zorn am Tage des Zornes.“ Denn dadurch wird die Güte Gottes verachtet, welche erwattet, daß man bereue. Und diese Verachtung ist um so größer, wenn nach dem Nachlasse der früheren Sünde das zweite Mal man sündigt; weil größer ist die Wohlthat, die Sünde nachzulassen, wie den Sünder zu ertragen. In dieser Weise also kehren gewissermaßen die Makeln und Verschuldungen der bereits durch die Buße nachgelassenen Sünden zurück durch eine neue; nicht insoweit die Makel verursacht wurde aus jenen nachgelassenen Sünden, sondern insoweit sie verursacht wird einzig durch die letztbegangene Sünde, welche erschwert wird infolge der bereits begangenen. In der nachfolgenden Sünde ist die Bosheit der früheren der Kraft nach enthalten; unter diesem Gesichtspunkte, nicht schlechthin, kehren die Sünden zurück.
c) I. Augustin versteht dies vom Verschulden der ewigen Strafe, welche durch die neue Sünde ebenso verdient wird wie durch die früheren; wenn auch nicht aus dem ganz gleichen Grunde. Deshalb fügt Augustin hinzu: „Er wird (wenn auch nicht die Erbsünde der Grund der Verdammnis ist Resp. Rrosp. oben) wegen der letzten Todsünden mit dem nämlichen ewigen Tode bestraft werden, welcher von ihm verdient war wegen der nachgelassenen.“ II. Der Akt der Sünde wird wiederholt, meint Beda, und kehrt aus diesem Grunde die frühere Schuld zurück; nicht wegen der nachgelassenen Sündenakte. III. Die früheren Gerechtigkeiten verdienten den Himmel und hinderten die Sünde; und mit Rücksicht darauf werden sie vergessen. Nicht als ob wenn jener schwer sündigt, dem die Schuld geschenkt worden, er nun schuldig wäre, wie wenn er die alte Schuld noch hätte; auch nicht die Buße, durch welche die frühere Sünde getilgt worden, wird vergessen mit Rücksicht auf den Nachlaß der Schuld; denn letzterer ist in höherem Grade das Werk Gottes wie das des Menschen. IV. Die Gnade tilgt schlechthin den Sündenflecken und die Verschuldung der ewigen Strafe. Sie bedeckt aber die vorhergehenden Sündenakte, daß nicht derentwegen Gott den Menschen der Gnade beraubt und schuldig hält der ewigen Strafe. Was aber die Gnade einmal macht, das bleibt für immer.
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