Dritter Artikel. Die Engel können kraft ihrer Natur Gott erkennen.
a) Dagegen sagt: I. Dionysius: „Gott steht mit seiner unbegreifbaren Kraft über allen himmlischen Geistern .... und ist über aller Substanz und unerreichbarf ür jede Kenntnis.“ II. Gott ist unendlich weit entfernt von der Engelvernunft. Also kann mit seinen natürlichen Kräften der Engel Ihn nicht erkennen. III. 1. Kor. 13, 12. heißt es: „Wir schauen jetzt wie im Spiegel und in einem Rätsel; dann aber von Angesicht zu Angesicht.“ Also besteht eine doppelte Kenntnis Gottes: Einmal wird Gott durch sein eigenes Wesenerkannt; — und das kann (Kap. 12, Art. 4) keine Kreatur kraft ihrer Natur. Dann wird Gott wie im Spiegel geschaut; — und das kommt dem Engel nicht zu, weil sie ihre Kenntnis nicht aus den sichtbaren Dingen schöpfen, wie Dionysius sagt (7. de div. nom.). Also. Auf der anderen Seite stehen die Engel höher im Erkennen wie die Menschen. Diese aber können Gott erkennen vermittelst ihrer natürlichen Kräfte, wie es Röm. 1, 19. heißt.
b) Ich antworte; die Engel erkennen Gott kraft ihrer Natur. Es giebt nämlich eine dreifache Art und Weise, etwas zu erkennen: Einmal so, daß das Wesen des Gekannten im Erkennenden gegenwärtig ist, wie wenn das Licht im Auge gesehen würde. So erkennt der Engel wohl sich selbst, nicht aber Gott, der kraft seines Wesens nur von den Seligen gesehen wird; also nicht durch natürliche Kräfte. Dann in der Weise, daß der erkannte Gegenstand vermittelst einer Ähnlichkeit im erkennenden Vermögen ist; wie der Stein außen gesehen wird durch die Ähnlichkeit von ihm im Auge. Ahnlich erkennt der Engel kraft seiner Natur Gott, insoweit nämlich eine irgend welche Ähnlichkeit von Gott in ihm gewirkt worden und insoweit er selber in seiner Substanz als Kreatur Gott ähnlich ist. Endlich wird etwas erkannt in der Weise, daß die Ähnlichkeit mit dem erkannten Gegenstande nicht von diesem unmittelbar kommt; sondern von irgend einer Sache, in welcher diese Ähnlichkeit sich findet, wie wir einen Menschen im Spiegel sehen. So erkennt der Mensch Gott durch die Ähnlichkeit nämlich mit Gott, welche die sichtbaren Kreaturen besitzen und die sie uns wie ein Spiegel vorstellen. Danach ist Röm. 1, 20. zu verstehen, daß wir das „Unsichtbare Gottes in dem sehen, was durch die Kreaturen erkannt wird“. Der Engel ist also seiner ganzen Natur nach ein Bild Gottes, nicht gleich uns bloß nach einer vernünftigen Fähigkeit; und so erkennt er Gott kraft seines, des Engels, Wesens. Er sieht aber nicht das göttliche Wesen, weil keine geschaffene Ähnlichkeit genügend ist, um das Wesen Gottes auszudrücken. Deshalb ist auch die Kenntnis des Engels rücksichtlich Gottes vielmehr ähnlich der „im Spiegel“; denn auch die Natur des Engels ist gewissermaßen ein Spiegel, in dem eine Ähnlichkeit mit Gott erscheint. Damit erledigen sich die Einwürfe. Denn: I. Dionysius spricht vom vollen „Begreifen Gottes“, was über jegliche geschöpsliche Vernunft hinausgeht. II. Die Entfernung Gottes vom Engel ist unendlich; und deshalb ist die Kenntnis, welche Gott von Sich selber hat, unendlich weit entfernt von der Kenntnis, welche der Engel über Ihn besitzt. Nicht aber folgt, daß der Engel kraft seiner Natur Gott überhaupt nicht erkennen könnte. III. Die Kenntnis Gottes von seiten des Engels steht in der Mitte zwischen den beiden genannten; ist aber mehr ähnlich der „im Spiegel“.
