Neunundfünfsstigstes Kapitel. Über den Willen der Engel. Überleitung.
„Mir aber ist es ein Gut, Gott anzuhängen.“ (Ps. 72.) Das ist das einzig hohe Gut, welches von allem Sein mit ganzer Kraft gesucht wird. Diesem anzuhängen ist wahrhaft allbefriedigend. Von diesem getrennt zu sein ist das einzige wahrhafte Übel. Die Engel schließen in der Natur den Kreis, aus welchem ohne Unterlaß von allen Seinsstufen her es einerseits tönt: „Mir ist es gut, Gott anzuhängen,“ und zugleich andererseits: „Siehe da, die sich von Dir entfernen, werden zu Grunde gehen: die von Dir abfallen, sie sind bereits verloren.“ Worin besteht die Natur des Urstoffes oder überhaupt des Stoffes? Er möchte sein. Und ist er auch in so hohem Grade elend, daß er nichts in sich hat, wodurch er sein Verlangen ausdrücken kann, so trägt er doch von Natur die betreffende Beziehung; kommt er doch von dem, der alles Sein ist und nach keiner Seite hin nicht ist. Steht aber der Urstoff mit irgend einem Sein, mag es auch als das geringste erscheinen, ausgestattet da, dann offenbart sich durch ihn mit aller Macht dieses Verlangen nach Sein, nach Vollendung. Er benützt das eine Sein nur, um desto gewaltiger zu rufen: Nicht Stein zu sein, nicht Wasser, nicht Pflanze zu sein, ist mir gut; nein, „mir ist es gut, Gott anzuhängen.“ Was ist denn die Veränderung von einer Form zur anderen, von einem Zustande innerhalb derselben Form zum anderen; — was ist der alles Sein beherrschende Wechsel, der an sich keine Grenzen kennt, sondern als ob er in seiner vergänglichen Natur die Ewigkeit nachahmen wollte, nur deshalb zu einer Grenze zu kommen scheint, damit er wieder langsam zurückgehe und von vorn anfange; — was ist dieser Wechsel anders als das Suchen nach Gott, das Rufen: „Mir ist es ein Gut, Gott anzuhängen,“ nachdem ein geringeres Gut bereits verliehen worden war. Der Stoff an sich ist wie der Pfeil, den der allgewaltige Schütze abschnellt. Er hat aus seiner Natur für sich allein nur eine stumme Beziehung zum Ziele; er hat nichts in sich, um auch nur auszudrücken, er wolle, er könne das Ziel erreichen. Aber „in der Hand des Mächtigen“ stürmt er unaufhaltsam vorwärts. Je verborgener ihm selbst sein innerstes Sehnen war, desto gewaltiger offenbart es sich, wenn der Mächtige demselben entgegenkommt. So etwa beginnt der Stoff vorwärts zu stürmen, hat ihn einmal „die Hand des Mächtigen“ erfaßt. Wechsel ohne Rast; das Beste scheint ihm nicht gut genug; je höher er steigt, desto unruhiger wird er; alle Hindernisse schlägt er nieder; denn seine Natur in ihm wiederholt es beständig: „Mir ist es gut, Gott anzuhängen.“ Der Stoff wird Stein. Damit hat er ein Sein; und zugleich einen Zweck, der ihn vollenden soll. Und in der That; er folgt mit allem Eifer diesem Zwecke und sucht sein Gut. Hindert ihn nichts, so fällt der Stein fortwährend und genügt so seiner Natur; findet er ein Hindernis, so wird seine Natur selber anderweitig benützt und verwertet. Aber nicht in sich selber hat der Stein sein Gut; er sucht es außerhalb seines Seins. Sein Fallen und somit seine Natur bringt am Ende das Vergehen des betreffenden Seins von selbst mit sich. Höher wie der Stein steht die Pflanze. Sie fängt bereits an, selber ihr Gut zu sein; innerhalb ihrer selbst bleiben die Lebensbewegungen; ihre eigene Gattung geht wieder von ihr aus. Aber den Grund für ihre Thätigkeit kennt sie nicht im mindesten und ist somit weit entfernt, Meister derselben zu sein. Mit ihrer Natur ist zugleich der Keim des Vergehens gegeben; anderen Kräften ist sie überlassen, die ihr fremd, ihrem Sein entgegen sind und die sie demnach zu ihrem Besten und nicht zum Besten der Pflanze gebrauchen. Das Tier kennt sein Wohl. Der Löwe faßt auf die Beute, die sein Leben erhält; er hat die Mittel in sich, derselben habhaft zu werden. Es ist dies ein Schritt näher zum unbeschränkten Gute. Aber dieses unbeschränkte Gut selber kennt das Tier nicht. Es handelt nur nach dem Eindrucke des Augenblickes. Es kann nicht vergleichen ein Gut mit dem anderen; denn um vergleichen zu können, muß man das höchste Gut irgendwie kennen Dazu aber ist es notwendig, daß man das Wesen der Dinge auffasse, um da von einer ungemessenen Möglichkeit aus, die in nichts Einzelnem mehr beschränkt ist, zur Notwendigkeit einer ungemessenen Wirklichkeit emporzusteigen. Im Menschen findet der Stoff endlich sich selber, seine eigene stoffliche allgemeine Natur wieder und fängt da bereits an, es gleichsam mitzuverstehen, wie es „gut sei, Gott anzuhängen“. Da wird er nicht mehr in so hohem Grade nach außen gezogen; er kann im Menschen schon teilnehmen an dem Verkehre mit jener „Weisheit, deren Gesellschaft nichts Bitteres in sich einschließt“. Aber doch! Auch der Mensch hat in seiner Natur noch mannigfachen Drang nach außen. Anstatt den Stoff zu beherrschen und so ihn zum Urgrunde zu geleiten, wird er von selbem in vielfältiger Weise beherrscht und nimmt sogar kraft seiner Natur selber am Vergehen teil. Bis hierher ist der Stoff ohne Aufenthalt vorgedrungen. Bis in die Vorhöfe Gottes ist er getreten, wo bereits Gott unmittelbar herrscht und bestimmt und keiner Kreatur sich dazu bedient; wo er selber beginnt, die Ruhe und der Trost dessen zu sein, der auf Ihn vertraut. Weiter kann der Stoff nicht als Teil einer Natur; aber er kann zu weiterer Vollendung noch von außen her bezogen werden. „Auf ihren Händen werden sie dich tragen: daß du deinen Fuß an keinen Stein stoßest.“ Die stofflichen Geschöpfe werden im Bereiche ihrer eigensten Natur behütet und vervollkommnet von geistigen Kräften, die gerade deshalb in ihrem Wesen stofflos sind, damit sie, weil Gott, dem Allgewaltigen, dem durchaus Stofflosem, nähergestellt, mächtiger auch auf alle stofflichen Dinge einwirken und dieselben je nach deren Natur und Eigen-schaften, wie sie Gott gegeben, sanft, wie auf Händen tragen, auf daß ihr Fuß an keinen Stein stoße. Da ist im Bereiche der Natur die höchste Stufe erreicht, von der es ertönt: Mihi Deo adhaerere bonum est. Der Stoff als Teil einer Natur kann nicht zur endlichen Vollendung kommen; er kann nicht Gott finden, um ewig mit demselben verbunden zu bleiben. Denn seine Natur bringt es mit sich, immer anders zu sein; er ist nimmer zufrieden. Soll im Bereiche des Geschöpflichen seine Vollendung erreicht werden, so muß sie durch die unmittelbare Einwirkung von seiten eines Seins kommen, das selber von den Banden des Stofflichen frei ist und somit nichts Anderes sein, keine andere Natur als die eigene vom eigenen Innern aus tragen kann. Es muß die Vollendung des Stofflichen durch die Einwirkung eines Seins geschehen, das nicht das Allgut selber ist, denn der Stoff kann das Allgut nicht in sich fassen; welches aber dem Allgute so nahe steht, daß nur die Beschränktheit seiner Substanz es von ihm trennt. Die unmittelbare Einwirkung der Engel im Bereiche der Natur vollendet den Stoff durchaus, indem sie denselben in die unmittelbarste Nähe Gottes bringt. Diese Einwirkung wird ja geleitet durch die Bestimmung Gottes im Willen des Engels; so daß das Einwirken Gott zum Urheber hat und doch einer geschaffenen Substanz angehöre. Dasselbe ist erhaben über Zeit und Ort; steht in nichts unter dem Stofflichen; es geschieht durch Erkennen und Wollen, durch die reinsten Kräfte, vermittelst der Substanz des Engels. Es ist dieses Einwirken an sich frei vom Willen aus, soweit Gott im Willen wirkt. Die Art und Weise desselben steht aber doch im Bande der Notwendigkeit; denn seiner Substanz nach ist der Engel an diesen oder jenen Ort gewiesen. So ruft nun alles nach Gott. Die Substanz des Engels ist rein von Gott; nicht teilweise das Ergebnis stofflicher Kräfte. Der Engel wirkt auf den Stoff; aber nur, um ihn mit Gott, seiner eigensten Vollendung, zu verbinden. Der Engel kann seiner Natur nach gar nicht beim Stoffe selber stehen bleiben. Der Stoff muß durch ihn und sein Einwirken notwendig weiter in der Vollendung; er muß seine Ruhe in Gott finden. Nichts mehr findet nun das Verlangen des Stoffes nach Sein als Hindernis auf dem Wege zum Allsein. Da ist kein Gegensatz, der aufhält; da steht kein Wasser dem Feuer gegenüber; kein Weiches steht da dem Harten entgegen. Es ist reine Stofflosigteit in der Natur des Engels selber; und deshalb kann auch das natürliche Verlangen des Stoffes am natürlichsten zum Ausdrucke kommen. Hier im Engel ist die natürliche Vollendung alles Stofflichen; weil seine Vernunft, sein Wille, seine ganze Substanz und somit sein Wirken mit Notwendigkeit, soweit der Bereich der Natur und der natürlichen Wechselwirkung reicht, selbst im gefallenen Engel noch mit Gott vereinigt ist. Hier, in der Substanz des Engels, findet alle rein stoffliche Natur insoweit ihre Heimat; alle Gegensätze der einen stofflichen Natur zur anderen werden da in der geistigen Natur der Engel versöhnt; sowie Schwarz und Weiß etwa zusammen von der Vernunft aufgefaßt und verstanden wird. Hier ruft der Engel und mit ihm alle stoffliche Natur ohne Unterlaß kraft der natürlichen Fähigkeiten: „Mir ist es ein Gut, Gott anzuhängen.“ Wo aber erblickt der Engel sein specielles Gut?
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