Erster Artikel. In den Engeln besteht ein Wille.
a) Dem scheint entgegenzutreten: I. Aristoteles (III. de anima): „Der Wille ist innerhalb der Kraft, welche von einem auf das andere schließt.“ Eine solche Kraft besteht aber nicht in den Engeln, sondern etwas Höheres. Also haben sie keinen Willen. II. Wollen heißt Begehren. Begehren jedoch ist nur in einem unvollkommenen Wesen, welches das noch nicht hat, was es begehrt. Zumal in den seligen Engeln aber ist nichts Unvollkommenes. III. „Der Wille ist“ nach Aristoteles (III. de anima) „etwas Bewegendes, was da selber wieder bewegt ist;“ nämlich vom Verlangten oder Erstrebten. Die Engel sind unbeweglich. Auf der anderen Seite fagt Augustin (10. de Trin. c. 11. et 12.): „Das Bild der Dreieinigkeit findet sich im Geiste gemäß dem Gedächtnisse, dem Verständnisse und dem Willen.“ Dieses Bild findet sich jedoch auch im Engelgeiste. Also ist im Engel ein Wille.
b) Ich antworte, es sei durchaus notwendig, in den Engeln einen Willen anzunehmen. Alles nämlich, was vom Willen Gottes ausgeht, hat je in seiner Weise eine Hinneigung zum Guten. Denn manche Dinge haben eine solche Hinneigung zum Guten kraft ihrer natürlichen Beziehung ohne irgend welche Kenntnis, wie die Pflanzen und leblosen Dinge; und eine solche Neigung wird als natürliches Verlangen bezeichnet. Andere Dinge neigen zum Guten, zur Vollendung hin; und besitzen davon irgend welche Kenntnis. Jedoch kennen sie nicht, was die Natur des Guten an sich ist; sondern nur beschränktes Gute ist ihrer Kenntnis gegenwärtig, wie der Sinn das Süße kennt und das Weiße und derartiges. Endlich bestehen noch weitere Wesen, welchen die Natur selbst des Guten bekannt ist; und das sind solche Wesen, welche Vernunft haben. Diese besitzen eine in sich vollendete Hinneigung zum Guten; — nicht nämlich so, daß sie auf ein anderes Sein angewiesen sind, von dem allein sie zum Guten hingelenkt würden wie jene, welche ganz der Erkenntnis ermangeln; und auch nicht in der Weise, daß sie nur ein beschränktes Gut erstrebten, wie die nur mit Sinnen ausgestatteten Wesen. Vielmehr haben sie in sich eine Neigung zum allgemeinen Gute selber; und diese Neigung wird Wille genannt. Da nun also die Engel Vernunft haben, kraft deren sie die allgemeine Natur des Guten an sich kennen, so besitzen sie offenbar auch Willen.
c) I. In anderer Weise überragt unsere Kraft zu schließen, auch Verstand genannt, die Sinne; und in anderer Weise überragt die reine Vernunft diesen unseren Verstand. Im ersten Falle ist der Erkenntnisgegenstand verschieden; denn die Sinne erkennen nur das Besondere und Beschränkte, der Verstand aber das Allgemeine. Und demgemäß ist auch die Neigung, welche den Sinnen entspricht, verschieden von der Neigung, welche dem Verstande entspricht. Jene geht naturgemäß rein auf das Besondere, diese auf das Allgemeine; jene auf beschränkte Güter, diese auf das Gut an sich. Die Vernunft aber und der Verstand, soweit er rein als Kraft zu schließen aufgefaßt wird, sind verschieden in der Art und Weise zu erkennen. Denn jene erkennt durch einfaches Anschauen, diese schließt von dem einen auf das andere. Beide jedoch gelangen, wenn auch auf verschiedenem Wege, zur Kenntnis des Allgemeinen. Der gleiche Gegenstand somit wird der Vernunft als der einfach schauenden vorgestellt wie dem Verstände als einer vom einen aufs andere schließenden Kraft. In den Engeln also ist kein höher geartetes Begehrungsvermögen wie der Wille in uns. II. Das Wort „Begehren“ ist allerdings genommen von dem, was man noch nicht hat. Jedoch bezeichnet es nicht nur das, sondern noch vieles Andere, wie das ja häufig bei solchen Ausdrücken der Fall ist. (Vgl. oben Kap. 13.) So ist auch der Name irascibilis, Streit-, Abwehrvermögen, vom Streite, d. h. von der Verteidigung gegen die Angriffe auf die eigene Natur genommen; bezeichnet aber auch Hoffnung, Kühnheit u. dgl. III. Erkennen und Wollen werden Bewegungen genannt, weil die entsprechenden Vermögen in Thätigkeit sind; dies ist aber nicht die Thätigkeit eines unvollendeten, erst werdenden Seins, sondern gerade die eines in seinem Sein vollendeten, weil bereits bethätigten Vermögens.
