Dritter Artikel. Das Verhältnis der Erschaffung der Engel zum Entstehen der körperlichen Welt mit Rücksicht auf die Zeit.
a) Es scheint, die Engel seien vor der körperlichen Welt geschaffen. Denn: I. Hieronymus sagt (supsr epist. ad Titum c. 1.: quam promisit ille): „Sechstausend Jahre unserer Zeit sind noch nicht verflossen; und wie viele Jahrhunderte, wie viele Zeiten sind vorübergegangen, in denen die Engel, die Throne, die Herrschaften und die anderen Rangstufen Gott gedient haben.“ Ebenso Damascenus (2. de orth. fide c. 3.): „Manche meinen, daß vor allem Entstehen und Vergehen hier auf Erden die Engel geschaffen worden sind, wie Gregorius theologus behauptet. Und zuerst nun dachte Gott aus die Engelkräfte und die himmlischen Gewalten und sein Ausdenken war auch das Werk selber.“ II. Die Engelnatur steht in der Mitte zwischen Gott und der körper lichen Welt. Gott aber ist von Ewigkeit; die Körperwelt in der Zeit. Also ist die Engelnatur vor der Körperwelt gemacht und nach der Ewigkeit Gottes. III. Die Engelnatur ist weiter entfernt von der körperlichen wie ein Körper vom anderen. In der Körperwelt aber wurde ein Glied nach dem anderen gemacht. Also ward der Engel vor allem Körperlichen. Auf der anderen Seite heißt es Gen. 1.: „Im Anfange schuf Gott Himmel und Erde.“ Das wäre aber unrichtig, wenn Er etwas vorher gemacht hätte.
b) Ich antworte, in diesem Punkte gehen die heiligen Lehrer auseinander. Wahrscheinlicher aber ist, daß Gott die Engel- und die Körperwelt zugleich gemacht hat. Die Engel sind ein Teil des All. Denn sie bilden nicht an und für sich etwas Einiges oder ein Ganzes; sondern sie sowohl wie die Körperwelt formen ein einziges Weltall. Das geht hervor aus der harmonischen Beziehung der einen Kreatur zur anderen. Denn die Harmonie der Dinge untereinander ist das Gesamtgut des Universum, woran jede Kreatur Anteil hat. Kein Teil aber ist vollkommen, wenn er von seinem Ganzen getrennt ist. Es ist also nicht wahrscheinlich, daß Gott die Engelnatur als für sich allein bestehende vor dem übrigen hervorbrachte; denn „Gottes Werke sind vollkommen“. (Deut. 32, 4.) Jedoch ist die gegenteilige Meinung nicht als eine irrtümliche zu betrachten; zumal wegen der Autorität Gregors von Nazianz, „dessen Ansehen“ nach Hieronymus „in der christlichen Heilslehre so groß ist, daß noch niemand in seinen Schriften etwas als irrtümlich verleumden konnte; gleichwie auch dies nicht geschehen konnte den Schriften des Athanasius gegenüber“,
c) I. Hieronymus spricht nach der Meinung der griechischen Kirchenlehrer, die alle übereinstimmend sagen, die Engel seien vor der Welt erschaffen. II. Gott ist kein Teil des Ganzen; sondern hat in Sich von vornherein alle Vollendung, die dem Ganzen nur immer zukommen kann. Der Engel aber ist ein Teil des All. Dieser Grund also trifft nicht zu. III. Alle körperlichen Kreaturen bilden eine Einheit im Stoffe, indem sie alle an der einen Natur des Stoffes teilnehmen. Die Engel aber haben keinen Stoff. Sonach ist mit der Erschaffung des Stoffes gewissermaßen alles Stoffliche, Wechselvolle und Bewegliche geschaffen; mit der Erschaffung der Engel aber wäre nicht zugleich das Universum geschaffen. IV. Auf das Entgegengestellte erwidern die Anhänger der anderen Meinung: dies „in principio“ bedeute „im Worte“; oder es bedeute „im Beginne der (irdischen) Zeit“; nicht aber, „bevor nichts geworden war;“ oder „es war vorher noch nicht Körperliches geschaffen“.
