Zweiundsechszigstes Kapitel. Über die Gnade und die Herrlichkeit in den Engeln. Überleitung.
„Erhebe Dich, Herr, über die Himmel: und die Erde erglänze in Deiner Herrlichkeit.“ (Ps. 56.) Nicht der Herr erhebt sich über alle Himmel; aber Er giebt uns über alle Natur hinaus die Gnade, daß wir an seinem Himmel teilnehmen und daß von dieser Teilnahme her der Glanz fließe über alle sichtbare Kreatur. Der Dreieinige ist seiner Natur nach ewig erhaben über alle andere Natur; und eben deshalb kann keine Natur aus sich heraus ihre Schwäche überwinden und an seiner Kraft und Güte ohne weitere Vermittlung teilnehmen. Was sagt alle Kreatur? Und wenn sie im höchsten Engel in ihrer Gesamtheit glänzen würde, sie würde dem vernünftigen Geschöpfe nur zurufen können: „Laß dich erheben von Gott über alle Himmel, über alles Sichtbare: und dann möge strahlen in Deiner Herrlichkeit auch unsere Schwäche.“ „Meine Seele ist in meinen Händen,“ die sich falten in flehentlichem Gebete zu Gott. Und wie hat der Psalmist diese Erhebung in sich empfunden oder vielmehr übernatürlich erleuchtet geschaut? „Einen Fallstrick hatten sie gelegt meinen Füßen: und meine Seele haben sie gekrümmt. Eine Grube haben sie gegraben vor meinem Angesichte: und sie sind hineingefallen.“ Die Kreaturen, wenn sie allein für sich von Gott getrennt betrachtet werden, bringen unseren Geist in die größten Verlegenheiten. Da ist die eine Natur gegen die andere; ein Gut gegen das andere; eine Wahrheit gegen die andere. Wo hört die gesetzmäßige Macht der einen auf und fängt die der anderen an? Wo ist der Faden, der das beschränkte Gut in jedem Dinge abgrenzt, daß es nur so lange gebraucht und erstrebt werde, als es für den Geist wirklich ein Gut ist? Wer kann immer im einzelnen Falle das Wahre vom Falschen unterscheiden? Mache es wie der Psalmist! Das ist der Gang der übernatürlichen Erleuchtung. Laß dein Herz nicht ängstlich werden, wenn das eine Gut fehlt und des anderen du überdrüssig bist. „Öffne deinen Mund: und ziehe Lebensodem ein.“ „Mein Herz ist bereit, o Gott, bereit ist mein Herz: ich will singen und Loblieder aussprechen;“ so mußt du immer sprechen. Es muß bei jeder Gelegenheit betont werden, daß Gott nicht nötig hatte, zuerst die „Natur“ zu erheben, weder indem Er ihr selber etwa ein entsprechendes Etwas positiv einprägte; noch auch nicht, indem Er in Sich diese Erhebung in seinem Vornehmen nämlich oder in seinem Entschlüsse vollzog. Jede solche Erklärung ist gegen die Güte Gottes und gegen den Adel der vernünftigen Kreatur. Sie ist gegen die Güte Gottes; denn danach hätte Gott der Natur nicht jenes Gute gegeben, welches Er vervollkommnen würde durch die Gnade; der Natur als solcher würde etwas fehlen; sie wäre an sich nicht fähig, unmittelbar die Gnade zu empfangen. Eine folche Vermittlung ist wie auch immer aufgefaßt, ebenso gegen die Ehre und den Adel der Kreatur. Denn es würde dadurch zur kreatürlichen Natur etwas treten, was ihr fremd wäre; und erst vermittelst dessen, eines ihr fremden Elementes nämlich, das weder Gnade noch Natur ist, wäre sie fähig, die Gnade zu erhalten: die Natur würde, da jegliches Fremde den Charakter des Gewaltsamen trägt, erst dem Zwange unterliegen, ehe die Gnade die höchste Freiheit zu ihr brächte. Nein; es ist so wie Thomas hier sagt: „Alles, was in der Natur Sein hat, verlangt nach Gott, liebt von Natur Gott mehr wie sich selbst;“ oder: ,, Diese Liebe selber, diese Liebe von Natur her wird vervollkommnet durch die Gnade.“ Es ist wie der heilige Lehrer früher sagte: „Dem vernünftigen Menschen ist es natürlich, Gott zum letzten Zwecke in der seligen Anschauung zu haben;“ einen anderen letzten Zweck giebt es für die Natur der Vernunft nicht, sie hat und kann gar nicht haben einen natürlichen letzten Endzweck. Warum? Weil die Vernunft eben selber dies sieht; weil sie sieht, daß alles um sie her beschränkt ist, sie aber nach dem Allgemeinen verlangt und ihr Wille nach allem Guten ohne Schranken strebt; weil die Substanz, auch des höchsten Engels, beschränkt ist und somit nicht das Verlangen nach allem Guten befriedigen kann. Sieht deshalb die Vernunft, in welchem einzelnen Sein ihr letzter Zweck ist? Nein; denn jede Natur, mit der sie in Verbindung steht, und von der eine Idee ihr die wesentliche Ähnlichkeit entgegenstrahlt; jedes Gut also auch, welches ihr Wille wollen kann, ist beschränkt. Das Endlose bringt sie, die vernünftige Natur, in sich selber mit; sie selber fügt es zum Beschränkten hinzu. Aber dieses Endlose ist eben nur Vermögen; nur ein „Empfangen können“. Somit leugnet die Natur der Vernunft und sie leugnet es immer dringlicher, je fchärfer sie schaut, je tiefer sie dringt, je mehr ihre Natur selber vernünftig ist; sie leugnet, daß sie ihren letzten Endzweck, das Allgut, die Allwahrheit von sich aus auch nur erkennen kann in irgendwie bestimmter Weise als Allgut, als Allwahrheit. Sie leugnet zudem, daß, da der Wille dem Erkennen entfpricht, sie aus sich irgend einen einzelnen Akt hervorbringen kann, der zum leitenden und den Akt durchaus durchdringenden Endzwecke das Allgut hätte. Sie leugnet endlich sogar, daß sie ihr Nichts thatsächlich und ausreichend erkennen und sich von selbem abwenden kann. Denn keine Substanz, selbst nicht die rein geistige, erkennt unmittelbar kraft ihrer Substanz; keine ist ihr Erkennen; eine jede erkennt erst vermittelst des wirklichen Erkennens, wozu als Principien immer auch die zur Substanz hinzugefügten Ideen oder doch das zur Substanz hinzugefügte wirkliche Sein gehören. Diese Ideen aber richten sich so auf eine Natur, strahlen sie so ab, daß sie nicht auf die andere sich richten; und das wirkliche Sein eines jeden Geschöpfes ist begrenzt und endlich, wenn auch die Substanz dem Vermögen nach unendlich ist, somit ist da im Wirken immer wohl ein gewisses, besonderes Nichts erkennbar, aber das allgemeine Nichts der Kreatur tritt niemals klar hervor. Die Engel und mit ihnen die Seelen enthalten es eben in ihrer Natur, daß sie auf ein „All“ positiv Bezug haben können; aber von sich aus leugnen sie es, es könne mit natürlichen Mitteln danach gestrebt oder gar thatsächlich damit erreicht werden. Sie leugnen somit kraft ihrer ganzen Natur, daß sie von sich aus ein einziges Werk zuwege bringen können, dessen Zweck positiv das Allgut, das sonach verdienstvoll wäre. Worauf warten sie? Fordern können sie nichts; und zwar weder auf Grund ihrer Vernunft, denn diese erkennt den letzten Endzweck als ein besonderes Sein nicht; — noch auf Grund ihres Willens, denn dieser kann den Endzweck so ohne weiteres nicht wollen und somit nichts auf ihn hinleiten; — noch endlich auf Grund ihrer Natur; denn diese leugnet eben aus allen Kräften und als tiefste Quelle, daß in ihr ein unbeschränktes wirkliches Sein ist, daß sie. mit dem Wirllichsein identisch wäre und daß ihr somit Unbeschränktes geschuldet würde. „Stehe auf, meine Herrlichkeit; stehe auf, Psalter und Zither: auf stehen will ich vor dem Morgen.“ Die Liebe Gottes allein, die alles geschaffen, flößt dem Geiste ihre Gnade ein; nicht weil sie muß, sondern weil sie es so liebt. Da ist der Geist in seiner Heimat, von wo alles, was er schon hat, ihm zugeflossen. Da kann es keine Ursache zur Verlegenheit und zu Trauer mehr geben. Eben weil der Herr aus reinster Liebe und auf keine Veranlassung von außen hin seine Gnade giebt, eben deshalb ist sie Gnade; und die Natur selber singt freudig darob ihre Loblieder. „Vor dem Morgen will ich aufstehen.“ Ehe es noch in unserer Vernunft tagt, da ist schon zuvorgekommen die Gnade Gottes. Hier liegt das Fundament für die richtige Erfassung des Übernatürlichen für die Widerlegung mancher falschen Ansichten! In sich selber, im Dreieinigen, will die göttliche Güte das All vollenden; hoch empor soll es gehoben werden bis zum Himmel der Himmel; von aller gegenseitigen Abhängigkeit und Knechtschaft soll es frei sein. Alles Sein, alles Wirken will Er beseligen. Und deshalb giebt der Herr seine Gnade bereits im Augenblicke der Erschaffung den Engeln, damit sie vermittelst derselben an Ihn glauben, auf Ihn hoffen, Ihn allein lieben und so kraft ihrer eigenen Mitwirkung, wie Er sie ihnen ermöglicht, verherrlicht werden. „Du warst vollkommen in Deinen Wegen von den Tagen Deiner Erschaffung an, bis die Missethat an Dir ist erfunden worden;“ heißt es Ezech. 18.: „Die Engel waren nicht in ihrer Erschaffung,“ sagt Basilius in Psalm 129, „unvollkommen wie die Kinder; sondern mit der Gnade waren sie, vermittelst deren sie das Gute thun und das Böse vermeiden konnten.“ „Zugleich hat Gott die Natur der Engel geschaffen und mit selbiger die Gnade,“ meint Augustin. (12. de Civ. Dei 9.) Jetzt wird erst die Tiefe jenes Ausdruckes im heiligen Thomas klar, wo er meint, die Engel erhielten es von Gott, daß sie das Einzelne als solches erkennten und auf Einzelnes ihre Handlungen richteten. Aus der tiefsten Tiefe der göttlichen Liebe schöpfen sie. Der einzelne Akt gerade als solcher ist ja nicht vollkommen und verdienstvoll, wenn er nicht unmittelbar auf das Allgut geht. Auf das Allgut aber positiv und unmittelbar gerichtet sein und dieses in heiliger Liebe zum Zwecke haben; das ist ebensoviel als mit der Gnade Gottes ausgestattet sein, welche dieses Gut als ein besonderes im Glauben zeigt und in der Hoffnung lieben läßt. Also die heiligen Engel führen das Ganze zur Vollendung vermittelst ihrer Einwirkung auf das Einzelne kraft der Gnade. Ihre Macht und ihr Licht ist geheiligt durch die göttliche in sich bestehende Liebe; und in diese Macht und in diese Gnade tauchen sie ihre Wirkungen. So umgiebt uns auch von der sichtbaren Natur her, auf welche die Leitung der Engel sich unmittelbar erstreckt, durchaus der Glanz der Barmherzigkeit und Wahrheit. Wir können vereint mit den Engeln singen: „Dich will ich preisen, o Herr, in den Völkern: und lobsingen Dir unter den Nationen. Denn großartig verherrlicht ist worden bis zu dem Himmel Deine Barmherzigkeit: und bis hinauf zu den Wolken Deine Wahrheit. Wahrlich: Erhebe unsere Seele über den Himmel hinaus, o Herr: und über die ganze Erde hin strahle Deine Herrlichkeit.“ (Ps. 56.)
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