Erster Artikel. Die Engel waren in ihrer Erschaffung nicht selig durch die selige Anschauung.
a) Das Gegenteil scheint wahr zu sein. Denn: I. Im lib. de eccles. dogmatibus wird gesagt (c. 59.): „Die Engel, welche beharren in jener Seligkeit, in welcher sie geschaffen sind, besitzen das Gute, welches sie haben, nicht kraft ihrer Natur.“ Also sind die Engel geschaffen in der übernatürlichen Seligkeit. II. Die Engelnatur ist erhabener als die körperliche. Die körperliche Kreatur aber war gleich im Anfange ihrer Erschaffung geformt und vollendet. Es hat da nicht der Zeit nach die Formlosigkeit bestanden vor der Vollendung in der Form; sondern nur der Natur und der vernünftigen Äuffassung nach, wonach etwas zuerst möglich und dann wirklich ist; wie Augustin (I. sup. Gen. ad Iitt. c. 15.) sagt. Also auch die Engelnatur schuf Gott nicht als eine formlose und unvollendete. Dieselbe hat aber ihre Vollendung durch die Seligkeit, vermöge deren sie Gottes genießt. III. Nach Augustin (4. de Gen. ad litt. 34.) wurde alles, was im Sechstagewerk als geworden geschildert wird, zugleich hervorgebracht. Also mußten alle diese sechs Tage gleich im Beginne der Erschaffung gebildet sein. In diesen sechs Tagen aber war nach seiner Auffassung der „Morgen“ die Engelkenntnis, gemäß welcher sie die Dinge im „Worte“ schauten. Also gleich im Beginne waren sie selig; denn sie sind dies eben durch die Anschauung des Wortes und der Dinge im Worte. Auf der anderen Seite gehört zur Seligkeit die Beharrlichkeit im Guten. Die Engel erhielten aber nicht von Anfang an die Beharrlichkeit im Guten; denn Einige fielen. Also.
b) Ich antworte; daß unter dem Namen der Seligkeit die letzte Vollendung der vernünftigen Kreatur verstanden wird. Und daher kommt es, daß dieselbe von Natur aus verlangt wird, weil jede Kreatur nach ihrer eigenen letzten Vollendung von Natur aus verlangt. Nun giebt es eine Vollendung der vernünftigen Kreatur, die von derselben erreicht werden kann kraft ihrer Natur; und diese wird nur in einem gewissen Sinne Seligkeit oder Glück genannt. Deshalb sagt Aristoteles (10 Ethic. 5.), die letzte Glückseligkeit des Menschen sei die Betrachtung hier auf Erden des Höchsten und Vollendetsten im Bereiche der Erkennbarkeit, nämlich Gottes. Über diese Seligkeit hinaus aber besteht jene andere Seligkeit, welche wir für die Zukunft erwarten, vermittelst deren Gott geschaut wird, „wie Er ist;“ was allerdings über die Natur einer jeden geschaffenen Vernunft hinausgeht. (Vgl. Kap. 12, Art. 4.) Man muß also folgendermaßen sagen; gemäß der erstgenannten Seligkeit, welche der Engel kraft seiner Natur erreichen kann, wurde er als selig geschaffen. Denn eine solche Seligkeit erreicht der Engel nicht mit Hilfe des Schließens von einem zum anderen, bis er zum Höchsterkennbaren in diesem Bereiche kommt; wie der Mensch. Die Kenntnis, welche der Engel infolge seiner natürlichen Kräfte haben kann; die besitzt er auch von Anfang an wegen des Adels seiner Natur. Die letzte Seligkeit aber, welche die Kräfte der Natur überragt, hatten die Engel nicht im Beginne ihrer Erschaffung; denn diese Seligkeit ist nicht ein Teil oder ein Bedingnis der Natur, wohl aber ihr Endzweck. Was jedoch Endzweck ist, das durften sie nicht von Anfang an haben.
c) I. Die damit gemeinte Seligkeit ist die natürliche, im Stande der Unschuld. II. Die körperliche Kreatur konnte nicht von Anfang an jene Vollendung haben, zu welcher sie durch ihre Thätigkeit gelangt. Deshalb war das Sprossen der Pflanzen nach Augustin (V. super Gen. ad litt. 4. et 25.; et lib. 8. l. c. cap. 3.) aus der Erde nicht gleich im Anfange unter den ersten geschaffenen Werken; sondern zuerst war die bloße entsprechende Kraft der Erde gegeben worden. Und ähnlich hatte die Engelkreatur zuerst, im Anfange nämlich der Erschaffung alles, was zur Vollkommenheit ihrer Natur gehörte, um gemäß derselben wirken zu können; nicht aber hatte sie jene Vollendung, zu welcher sie durch ihr Wirken gelangen sollte. III. Eine doppelte Kenntnis vom göttlichen Worte hat der Engel: einmal gemäß seiner Natur, wodurch er das „Wort“ erkennt kraft der Ähnlichkeit desselben, wie eine solche in seiner, des Engels, Natur als einer von Gott geschaffenen leuchtet; — dann gemäß der Herrlichkeit, durch welche er das göttliche Wort schaut vermittelst seiner, des „Wortes“, Natur. Und gemäß der beiderseitigen Kenntnis schaut der Engel die Dinge im „Worte“; gemäß der einen unvollkommen, gemäß der anderen vollkommen. Die erstere hatten die Engel vom Beginne ihrer Erschaffung an, die andere nicht. Diese erlangten sie durch ihre Zuwendung zum Guten und diese heißt so recht eigentlich das „Morgenwissen“.
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