Erster Artikel. Die Sammlung ist zukömmlicherweise am dritten Tage geschehen.
a) Das scheint nicht. Denn: I. In den beiden ersten Tagen wurde etwas „gemacht“; fiat, steht da. Also mußte auch passenderweise am dritten Tage das Wort „werde“, „es werde gemacht“, fiat gebraucht werden. II. Die Erde war auf allen Seiten von Wasser umgeben. Es gab also, da sie infolge dessen „unsichtbar“ war, gar keinen Ort, wo die Wasser sich hätten sammeln können. III. Die Wasser haben nicht alle miteinander Zusammenhang. Also sind sie nicht in einen Ort gesammelt worden. IV. Die Wasser fließen von selbst und laufen ins Meer. Dafür be dürfte es also keines göttlichen Gebotes. V. Unzukömmlicherweise auch wird am dritten Tage die Erde so benannt, da schon „im Anfange“ sie als Erde bezeichnet wurde. Auf der anderen Seite steht die Autorität der Schrift.
b) Augustinus (I. c.) nimmt hier in allem keine zeitliche Aufeinanderfolge an. Unter dem Namen „Wasser und Erde“ begreift er den formlosen Körperstoff. Die Vollendung aber in der Geistnatur ging der Vollendung des Körperstoffes nicht der Zeit nach vorher; sondern der Ordnung gemäß, welche in der natürlichen Auffassung herrscht. Zuerst nämlich fasse ich auf, daß die bestimmende einwirkende Ursache existiert, ehe ich das von ihr Bestimmte und Gewirkte als existierend auffasse. So also war am ersten Tage das Erschaffen des Lichtes, d. h. die Vollendung der Geistnatur. Und wie die Geistnatur den Vorrang hat vor der körperlichen, so die der höheren Körper vor jener der niedrigeren; denn die ersteren wirken durch die Bewegung auf letztere ein. Demgemäß wird am zweiten Tage das Firmament; wodurch die Vollendung des formlosen Stoffes da oben bezeichnet wird, jedoch auch immer nur so, daß das Formlose, was werden kann, nicht der Zeit nach eher war, sondern bloß der Natur nach; wie etwas zuerst als vermögend, um etwas zu werden, gedacht wird, ehe es als geworden bezeichnet werden kann. Dann vollzieht sich am dritten Tage die Einprägung der Form in den irdischen formlosen Stoff, also die Vollendung des letzteren; es wurde ihm nämlich die Wesensform des Wassers gegeben, nach der diesem eine so gestaltete Bewegung zukommt, das Fließen also, und desgleichen die Wesensform der Erde, vermöge deren sie eben so gesehen wird, wie sie jetzt ist. Dies alles aber geschieht nach Augustin nur in der Aufeinanderfolge oder im Unterschiede der Ideen voneinander; nicht in zeitlicher Aufeinanderfolge. Nach den anderen Heiligen jedoch ging die Formlosigkeit des Stoffes seiner Formung oder Vollendung auch der Zeit nach vorher und eine Vollendung folgte der anderen. Jedoch wird die Formlosigkeit nicht als Mangel an aller und jeder Form aufgefaßt, sondern als Mangel jener Schönheit und jenes gebührenden Unterschiedes des einen vom anderen wie ein solcher jetzt wahrgenommen wird. Demgemäß also drückt die Schrift drei solcher Formlosigkeiten aus, von denen keine aber jene absolute Formlosigkeit Augustins ist; sondern immer wird mit einer jeden eine gewisse, wenn auch rohe und allgemeine Form verbunden. Die Formlosigkeit des Himmels wird ausgedrückt durch die Bezeichnung „Finsternis“; denn vom Himmel aus entspringt das Licht. Die Formlosigkeit des Wassers als dessen, was zwischen Himmel und Erde dazwischen liegt, bezeichnet der Name „Abgrund“, wodurch eine gewisse Unermeßlichkeit und Unbegrenztheit der Wasser ausgedrückt werden soll, wie Augustin sagt. (22. contra Faustum 11.) Die Formlosigkeit der Erde berührt Moses, wenn er sie „unsichtbar, wüste und leer“ nennt. Somit hat sich die Vollendung des ersten Körpers am ersten Tage vollzogen; und weil der Bewegung des Himmels die Zeit folgt, diese aber andererseits die Zahl der Bewegungen des maßgebenden hervorragendsten Körpers am Himmel ist, so ist durch diese Vollendung der Hauptunterschied in der Zeit ausgedrückt: Der Unterschied von Tag und Nacht. Am zweiten Tage aber ist das Wasser geformt worden, indem es vermittelst des Firmamentes eine gewisse Ordnung und einen Unterschied in seinen Teilen erhielt; dabei wird jedoch unter dem Wasser alles Übrige mitverstanden zwischen Erde und Himmel. Am dritten Tage aber ist der letzte Körper, die Erde, geformt worden dadurch, daß sie von Wassern entblößt ward; und so war der Unterschied im Tiefsten hergestellt, der Unterschied zwischen Erde und Wasser. Zukömmlich also ist die Ausdrucksweise, deren sich Moses für den dritten Tag bedient. Früher hatte er gesagt: „Die Erde war unsichtbar“ (nur durch eine Form nämlich wird etwas sichtbar, das an sich Ungeformte ist kein Gegenstand des Auges); und jetzt: „Es erscheine das Trockene.“
c) I. Nach Augustin (2. sup. Gen. c. 20.) gebraucht für den dritten Tag die Schrift deshalb nicht das Wort „machen“, weil gezeigt werden soll, die höheren Wesensformen, wie die geistigen Substanzen und die der Himmelskörper, seien im Sein vollendet und dauernd; während die Wesensformen hier unten unvollkommen, nämlich vielmehr ein Werden sind wie ein Gemachtsein. Durch die Sammlung der Wasser und die Erscheinung des Trockenen werde die Einprägung solcher dem Werden und Vergehen zugänglicher Formen gekennzeichnet. Nach den anderen Heiligen aber ist das Werk des dritten Tages vollendet worden nur gemäß der Bewegung von Ort zu Ort; und deshalb gebrauchte die Schrift nicht das Wort „machen“, das da gewissermaßen ein Vollendetsein ausdrückt. II. Nach Augustin war die Erde nicht der Zeit nach vorher mit Wassern bedeckt; sondern nur der Natur der Dinge nach. Der Zeit nach wurden die Wasser gleich von Beginn an in solcher Sammlung und Verteilung hervorgebracht. Die anderen antworten in dreifacher Weise (Aug. 1. sup. Gen. c. 12.): Basilius (4. in Hexaëm.) sagt, die Wasser seien da, wo sie sich gesammelt, zu einer größeren Höhe erhoben worden; denn das Meer, also eben die hauptsächliche Sammlung der Wasser, ist höher als die Erde. Dann wird gesagt, das Wasser, welches die Erde bedeckte, sei nicht so dicht gewesen; sondern etwa wie ein Nebel und sei durch die Sammlung dichter geworden. Ferner wird geantwortet, daß die Erde hohle Räume gewähren konnte, in denen die fließenden Wasser Aufnahme finden konnten. Die erste Antwort scheint der Wahrscheinlichkeit mehr zu entsprechen. III. Alle Wasser haben einen Zielpunkt ihres Fließens, nämlich das Meer, wohin sie in offenbaren oder in verborgenen Strömungen fließen; und deshalb wird gesagt, die Wasser seien in einen Ort gesammelt worden. Oder es wird so verstanden: Nicht in einem einzigen bestimmten Ort; sondern in einen Ort überhaupt im Verhältnisse zum trockenen Erdboden. So wie nämlich nun das Trockene einen Ort hat, so soll getrennt vom Trockenen das Wasser einen Platz haben. Denn daß dieser Orte an und für sich mehrere waren, wird ausgedrückt durch die Worte: „Die Sammlung der Wasser nannte Er Meere.“ IV. Der Befehl Gottes verleiht eben den Körpern ihre naturgemäße Bewegung, so daß von ihnen gesagt wird, sie „machten“ mit den ihnen natürlichen Bewegungen „sein Wort“. Oder es kann gesagt werden, es sei den Wassern wohl natürlich, die Erde zu umgeben von überallher, wie die Luft allseitig um Wasser und Erde ist. Aber die Notwendigkeit des Zweckes, damit nämlich verschiedene Pflanzen und Tiere auf Erden seien, erforderte, daß ein Teil der Erde vom Wasser entblößt sei. Die alten Philosophen schreiben dies der Thätigkeit der Sonne zu, die heilige Schrift aber der göttlichen Gewalt; nicht nur hier, sondern auch Job 38, 10.: „Ich habe das Meer mit meinen Grenzen umgeben“ und Jerem. 3, 22.: „Mich also wollet ihr nicht fürchten,“ sagt der Herr, „der ich den Sand gemacht habe als Grenze des Meeres.“ V. Nach Augustin (2. sup. Gen. ad lit. cap. 2.) ist zuerst unter „Erde“ verstanden der formlose Stoff; jetzt aber am dnitten Tage unsere Erde. Basilius aber sagt (I. c.): „Zuerst wurde die Erde erwähnt in ihrer Natur; jetzt in ihrer charakteristischen Eigentümlichkeit der Trockenheit.“ Rabbi Moses endlich schreibt (lib. 2. Proph. c. 30.): Wo in der Genesis steht: „Er hat genannt,“ ist die Anwendung eines Namens zu verstehen, der von Natur etwas Anderes bedeutet; nun aber wegen einer gewissen Ähnlichkeit mit der Natur, welche der Name bedeutet, von Gott auf den betreffenden Gegenstand übertragen wurde. So geschah es mit dem „Licht“, das da Tag genannt wurde, wonach nun auch ein Zeitraum von vierundzwanzig Stunden als Tag bezeichnet wird. Ähnlich nannte Er das Firmament Himmel, weil der Himmel auch zuerst geschaffen wurde, wie das Firmament das erste war in der Scheidung der Dinge. Und nun wird das Trockene „Erde“ genannt, um es zu unterscheiden vom Wasser; wenn es auch immer „Erde“ heißt, mag es bedeckt sein mit Wasser oder nicht. „Nennen“ also in solcher Weise bedeutet, Gott habe dem Dinge eine Natur oder eine Eigenheit gegeben, nach der es so genannt werden kann.
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