Erster Artikel. Das Wesen der Seele ist nicht ihr vermögen.
a) Die Natur oder das Wesen der Seele selber scheint ihr Vermögen zu sein. Denn: I. Augustin (9. de Trin. 4.) sagt: „Die Vernunft, die Kenntnis unddie Liebe sind in der Substanz oder im Wesen der Seele;“ und (10. I. c. 11.): „Das (geistige) Gedächtnis, das Verständnis, der Wille ist ein Leben, eine Seele, ein Wesen.“ II. Die Seele steht höher im Sein wie der Urstoff. Der Urstoff aber ist sein Vermögen. III. Die substantiale Form ist einfacher im Sein wie die später hinzutretende, zufällige. Denn jene hat kein Mehr oder Minder; diese aber ist stärker oder schwächer, wie jemand mehr oder minder weise sein kann, aber nicht mehr oder minder Mensch oder Pflanze. Die zufällige Form aber, also eine Eigenschaft oder ein Zustand ist ihre eigene Kraft. Also ist es auch die substantiale Wesensform. IV. Durch das sinnliche Vermögen empfinden wir; durch das Vernunftvermögen erkennen wir geistigerweise. „Wodurch aber in erster Linie wir empfinden und erkennen, das ist die Seele,“ sagt Aristoteles. (2. de anima.) Also sind diese Vermögen die Seele. V. Was nicht Wesen ist, das ist Eigenschaft oder Zustand; oder: Was nicht selbständig für sich etwas ist, das ist an und in etwas (Anderem). Die Vermögen der Seele also sind, falls sie nicht die Seele selber sind, in der Seele als Eigenschaften oder Kräfte. Das ist aber gegen Augustin (9. de Trin. 4.): Die (bezeichneten) Vermögen „sind nicht in der Seele als in ihrem Träger oder Subjekt, wie etwa die Farbe oder Figur im Körper oder wie jede andere Eigenschaft oder Quantität. Denn was nur in dieser Weise ist, kann nicht das in Kraft überragen, worin es ist. Der vernünftige Geist aber kann auch anderes lieben und erkennen“. VI. Eine einfache Form kann nicht Subjekt sein; denn sie ist nicht weiter bestimmbar. Die Seele aber ist in ihrem Sein eine einfache Form, da sie nicht aus Stoff und Form zusammengesetzt ist. Also kann in der Seele als dem Subjekte kein Vermögen sein. VII. Eine bloße zufällige, zum Wesen erst hinzutretende Eigenschaft kann nicht den Wesensunterschied begründen. „Sinnlich“ aber und „vernünftig“ sind Wesensunterschiede und werden hergenommen von den Sinnen und der Vernunft, die da Vermögen der Seele sind. Also sind die Sinneskräfte und die Vernunft nicht Vermögen, sondern das Wesen der Seele. Auf der anderen Seite sagt Dionysius (11. de coel. hier.): „Die himmlischen Geister haben in sich „Wesen“, „Kräfte oder Vermögen“ und „Thätigkeit“. Weit mehr also greift dieser Unterschied bei der Seele Platz.
b) Ich antworte: Unmöglich sind die Vermögen der Seele deren Wesen, wie das einige angenommen haben; und zwar aus zwei Gründen: 1. Derselben Seinsart muß angehören: das Vermögen und dessen Thätigkeit. Denn jegliches Sein hat solches Vermögen wie es thätig ist; und wie sein Vermögen und seine Kraft ist, so ist es thätig. Ist deshalb die Thätigkeit nicht die Substanz oder das Wesen des thätigen Dinges; so ist dies ebensowenig das Vermögen oder die Kraft, thätig zu sein. In Gott allein aber ist die Thätigkeit, das Wirken Substanz; also auch in Ihm allein ist seine Kraft oder sein Vermögen sein Wesen oder seine Substanz. 2. Ferner ist die Seele ihrem Wesen nach Thatsächlichkeit; da sie bethätigt den Körper und ihn bestimmt für das thatsächliche Sein der bestimmten Seinsstufe der Gattung. Wäre also die Seele selber das unmittelbare Princip für die Thätigkeit; so würde, wer da lebt, wie er fortwährend wirklich lebt, so auch ohne Unterlaß die Lebensthätigleiten ausüben. Denn insoweit eine Form Thatsächlichkeit dem Wesen nach verleiht und thatsächlich ist, hat sie keine Beziehung zu einer weiteren mehr vollendeten Thatsächlichkeit, sondern bildet vielmehr den Schlußpunkt des Entstehens oder der Erzeugung. Ein Vermögen also für weitere Thatsächlichkeit kommt ihr nicht zu, insoweit sie gemäß ihrem Wesen Sein hat; sondern nur, insoweit mit ihr noch weitere Vermögen für das Thätigsein, also für weitere Thatsächlichkeit, verbunden sind, deren Träger sie ist. Und danach wird die Seele selbst, insofern sie ihre Vermögen trägt, die erste Thatsächlichkeit, actus primus genannt; weil diese Thatsächlichkeit Beziehung hat zur zweiten, dem actus secundus, der Thätigkeit der Vermögen. Wer also lebt, der übt nicht immer alle Lebensthätigteiten; denn das Vermögen für diese Thätigkeiten ist verschieden vom thatsächlichen Lebendigsein, d. h. vom Wesen, dessen unmittelbarer Ausfluß das Lebendigsein ist. Nichts aber kann im Zustande des Vermögens für etwas nach der nämlichen Seite hin sein, nach welcher es thatsächlich ist. Thatsächlich nun ist die Seele im Menschen als das Wesen des Menschen begründend. Also kann sie nicht ihrem Wesen nach ein Vermögen sein; sondern Wesen ist in ihr verschieden vom Vermögen.
c) 1. Augustin spricht da vom vernünftigen Geiste, insoweit dieser sich selbst erkennt und liebt. So also sind die Kenntnis und Liebe im Wesen der Seele; insofern das Wesen der Seele der Gegenstand dieser Kenntnis und Liebe ist, und das Erkannte und Geliebte im Erkennenden und Liebenden sich findet. Und ähnlich ist es zu verstehen, wenn er von dem einen Leben, dem einen Geist, der einen Wesenheit spricht. Andere aber erklären diese Redeweise anders. Sie verstehen sie vom Ganzen, was da aus der Gesamtheit der Fähigkeiten erwächst (totum potestativum) und in der Mitte steht zwischen dem Ganzen, was dem allgemeinen Begriffe entspricht, und dem Ganzen, welches in der Gesamtheit der Tele besteht (dem totum universale und dem totum integrale). Das erstere nämlich, welches dem allgemeinen Begriffe entspricht, ist jedem Teile gegenwärtig gemäß seinem ganzen Wesen und seiner ganzen Kraft und Bedeutung; wie das „sinnbegabt“ ganz seinen Teilen: „sinnbegabt-vernünftig“, also dem Menschen, und „sinnbegabt-unvernünftig“, dem Tiere, gegenwärtig ist; die „Art“ den untergeordneten allgemeinen Gattungen. Jenes Ganze aber, welches sich aus den materiellen, sinnlich wahrnehmbaren Teilen zusammensetzt, wird weder dem ganzen Wesen noch der ganzen Kraft nach von jedem der Teile ausgesagt, sondern, und selbst dann noch uneigentlich, von allen Teilen zusammen; wie wenn ich sage, daß die Mauern, das Dach und das Fundament das Haus sei. Das Ganze nun, welches die Gesamtheit der Kräfte oder Fähigkeiten ausdrückt, ist jedem dieser Teile gemäß seinem ganzen Wesen gegenwärtig; wie z. B. das Auge durch und durch und ganz menschlich ist; — aber es ist nicht jedem dieser Teile gegenwärtig gemäß seiner ganzen Kraft, denn die Kraft des Auges ist nicht die des Ohres zum Beispiel. Und deshalb kann dieses Ganze auch von den einzelnen Teilen, d. h. Kräften ausgesagt werden, freilich nicht so allseitig nach Wesen und Kraft, wie das Ganze, welches dem Allgemeinen entspricht. So also meint Augustin, daß Gedächtnis, Verständnis, Wille das Wesen der Seele sei. II. Die einzige Tatsächlichkeit, zu welcher der Urstoff im Vermögen sich findet, ist die, welche im Gefolge der substantialen Form ist; und deshalb ist das Vermögen des Urstoffes sein Wesen. Sein Vermögen fällt zusammen mit seinem Wesen; er kann eben nur sein. III. Das Wirken gehört dem Zusammengesetzten, also dem Für-sich-bestehenden zu, sowie auch das Sein; denn dem gebührt zu wirken, was da ist. Das Zusammengesetzte aber hat kraft der substantialen Form das substantielle Sein; wirkt jedoch kraft des Vermögens, welches im Gefolge der substantialen Form sich findet. Ebenso also verhält sich die Form der wirksamen Eigenschaft oder des zum Wesen hinzutretenden wirksamen Vermögens im einwirkenden Sein, z. B. die Wärme zum Wesen des Feuers; wie sich verhält das Vermögen der Seele zur Seele, kraft deren es am Sein des Menschen teilnimmt. IV. Daß die zufällige Eigenschaftsform Princip der Thätigkeit ist; diesgerade hat es von der substantialen Wefensform. Und deshalb ist wohl letzteredas erste Princip, wodurch gewirkt wird, aber nicht das nächste. Danach sagtAristoteles: „wodurch in erster Linie, primo wir... das ist die Seele.“ V. Wird die zum Wesen hinzutretende Form, das Accidens, der Substanz oder dem Wesen selber einfach gegenübergestellt; so liegt da nichts in der Mitte. Denn es ist dann eben nichts Anderes als „in einem Subjekt“, also „in oder an einer Substanz“ und nicht „Substanz selber sein“. Danach sind also die Vermögen der Seele „Accidentien“ oder zur Substanz hinzutretende Formen. Wird jedoch eine solche Form gegenübergestellt als eine durchaus zufällige, ohne welche nämlich die Substanz bestehen kann, wie das Weiße beim Menschen, jener, welche wohl ebenfalls erst zur Substanz hinzutritt und somit diese voraussetzt, aber aus den Principien der substantialen Wesensform ohne weiteres folgt und ohne welche letztere nicht sein kann; — also das „Accidens“ dem „Proprium“ in den fünf Universalien; — so liegt zwischen einem solchen puren Accidens und der Substanz etwas in der Mitte: nämlich jene hinzutretende Form, welche aus der Natur der Substanz notwendig folgt. Und so sind die Vermögen der Seele in der Mitte zwischen dem rein Zufälligen und dem inneren Wesen; nämlich wie aus dem Wesen folgende naturnotwendige Formen oder Accidentien. Und so sagt Augustin, „daß Kenntnis und Liebe nicht in der Seele sind wie zum Subjekte hinzutretende Formen.“ Nicht als ob sie die Seele als eine erkennende und liebende nicht zum Subjekt oder zum Träger hätten; sondern weil sie zur Seele in Beziehung stehen als dem geliebten und erkannten Gegenstande. Denn wenn die Liebe zum Subjekt die Seele hätte, insoweit diese ein geliebter Gegenstand ist, so würde das Vermögen weiter reichen wie das Subjekt oder sein Träger, da ja auch Anderes durch die Seele geliebt wird. Aber Liebe und Kenntnis sind Eigenschaften der Seele als einer liebenden und erkennenden, d. h. als einer der Liebe und Kenntnis fähigen und dazu Vermögen besitzenden. VI. Die Seele ist wohl nicht aus Stoff und Form; sie ist aber noch mit Vermögen verbunden. Sie kann also noch etwas der Thatsächlichkeit nach sein, was sie durch ihr Wesen nicht ist; und deshalb kann sie Subjekt von hinzutretenden Formen, von Accidentien sein. Boëtius aber spricht da vonGott, dem actus purus. VII. „Sinnlich“ und „vernünftig“ werden als Wesensunterschiede von der betreffenden Seele selbst hergenommen. Die substantialen Formen nämlich an sich sind uns unbekannt; und deshalb nimmt man die uns bekannteren Eigenschaften oder Accidentien, um erstere, die Substantialform,auszudrücken.
