Vierter Artikel. Nur Gott ist es eigen, überall zu sein
a) Dagegen wird geltend gemacht: I. Die allgemeine Idee oder der allgemeine Gattungsbegriff ist überall und immer. Ebenso verhält es sich mit dem Urstoff, der in allen Körpern ist. Gott aber ist weder ein Gattungsbegriff noch der Urstoff. Also nicht Er allein ist überall. II. Die Zahl ist in den gezählten Dingen. Die ganze Schöpfung aber ist begründet auf der Zahl, wie dies aus Sap. II. hervorgeht. Also eine gewisse Zahl ist im ganzen Universum und sonach überall. . III. Das Weltall ist ein gewisses Ganze, ein vollendeter Körper; wie Aristoteles sagt (I. de caelo et mundo). Aber das Weltall ist überall; denn außerhalb seiner giebt es keinen Ort. Also nicht Gott allein ist überall. IV. Wenn es einen unendlichen Körper gäbe, so wäre dieser überall; denn es gäbe außer ihm keinen Ort. Also ist es nicht gerade ein nur Gott eigener Vorzug, überall zu sein. V. „Die Seele ist ganz in jedem Teile des Körpers und im ganzen Körper,“ sagt Augustin (6 de Trin. cap. 5.). Wäre also die Welt ein einziges lebendes Wesen, so wäre die Seele überall. VI. Augustin sagt wiederum: „Wo die Seele sieht, da fühlt sie; wo sie fühlt, da lebt sie; wo sie lebt, da ist sie.“ (3. ep. ad Volusianum.) Die Seele aber sieht gewissermaßen überallhin; den ganzen Himmel sieht sie nach und nach. Also ist sie überall. Auf der anderen Seite heißt es bei Ambrosius (I. de Spir. s. cap. 7): „Wer soll es wagen, den heiligen Geist eine Kreatur zu nennen, welcher in allem, überall und immer ist;“ was doch nur der Gottheit eignet.
b) Ich antworte, daß das „überall sein“ ohne weitere Voraussetzung, aIso primo, und auf Grund des inneren Wesens, also per se, nur Gott zukommt. Ich sage: „ohne weitere Voraussetzung“ als Ganzes; denn was überall wäre, weil seine verschiedenen Teile verschiedene Orte einnehmen, das wäre überall unter der Voraussetzung, daß seine Teile an den verschiedenen Stellen sind; also nicht als Ganzes zuerst, sondern zuvörderst auf Grund seiner Teile. So etwa würde die weiße Farbe nicht „zuerst“ primo, ohne weitere Voraussetzung dem Menschen zukommen, der nur weiße Zähne hat; sondern man würde diesem Menschen die „Weiße“ zuschreiben auf Grund seiner Zähne. per se, nämlich wegen seines Wesens überall sein, bezeichnet, daß unter allen Umständen dies statthat. Würde z. B. gesagt, das Gerstenkorn sei überall, wenn nichts anderes stofflich existiert, so wäre dieses „überall“ per accidens, nämlich unter der Bedingung, daß nichts anderes vorhanden ist, kein anderer Ort also existiert; es wäre das Gerstenkorn nicht kraft seines Wesens „überall“. So nun also, prima et per se, kommt es nur Gott zu, überall zu sein. Denn möchte infolge dessen was existieren würde, auch noch so viel Raum entstehen; in all diesem Raum müßte doch Gott sein; denn nur kraft seiner, Gottes, Gewalt kann etwas existieren. Und Er wäre auch in diesen Räumen nicht auf Grund von Teilen, sondern als Ganzes, nach seinem ganzen Sein, kraft seines Wesens. Danach erledigen sich leicht die Einwürfe. I. Das „Allgemeine“ und der „Urstoff“ sind wohl überall; sie haben aber nicht überall dasselbe wirkliche Sein. Da existieren sie als Möglichkeit, dort unter dieser oder jener Erkenntnis- oder Seinsform in der Wirklichkeit. In der erkennenden Vernunft ist das Allgemeine thatsächlich; außen bloß der Möglichkeit nach. Bald ist der Urstoff dem wirklichen Sein nach Pflanze, bald Tier etc. II. Die Zahl ist nur zufällig im Orte, nicht auf Grund ihres Wesens; also höchstens per accidens überall, nicht per se. Zudem ist sie nicht ganz in jedem der gezählten Dinge, sondern nur gemäß einem Teile; also auch nicht primo. III. Das ganze Weltall wäre überall weder primo, denn es wäre auf Grund seiner Teile; noch per se, denn würde Anderes geschaffen und wären deshalb andere Orte, so bestände es dort nicht. IV. Die nämliche Antwort; denn es wäre ein solcher Körper überall auf Grund seiner Teile, also nicht priimo. V. In diesem Falle würde eine solche Seele wohl überall primo sein; aber nicht per se. Es wäre eben zufällig, daß sie in einem derartigen Körper sich findet. Es folgt dies nicht aus der Natur der Seele heraus; und würde ein anderer Körper geschaffen, so fsiele ihr „Überallsein“ fort. VI. Daß die Seele irgendwo sieht, dieses „irgendwo“ kann in doppelter Weise verstanden werden. Zuvörderst kann es gelten von seiten des gesehenen Gegenstandes; und so ist es wahr, daß, wenn sie den Himmel sieht, sie etwas, was am Himmel ist, sieht und etwas, was am Himmel ist, fühlt. Daraus folgt aber nicht, daß sie selber am Himmel lebe oder sei; denn leben und sein bezeichnen keinen Akt, der auf Äußeres hingeht, der also in etwas Äußerlichem seinen Gegenstand hat. Dann kann das „irgendwo“ gelten vom Akte des Sehenden, insoweit derselbe von diesem ausgeht; — und so ist es wahr, daß die Seele nur da sieht und fühlt, wo sie lebt und wo sie ist. Denn die Fähigkeiten sinb eben da, wo die sie tragende Substanz ist; diese ist aber nicht überall.
