Dritter Artikel. Gott ist überall kraft seines Wesens, kraft seiner Gegenwart, kraft seiner Macht.
a) Diese Art und Weise der Existenz Gottes in den Dingen scheint durchaus falsch angegeben. Denn: I. Was kraft seines Wesens in einem Dinge ist, das bildet das Wesen des betreffenden Dinges. Gott aber bildet keines Dinges Wesen. II. „Kraft seines Wesens“ in den Dingen sein, ist ebensoviel als diesen in nichts fehlen. „Kraft der Gegenwart“ in den Dingen sein, heißt ebenso nichts anderes als diesen in nichts fehlen. Also beide Arten des „in den Dingen sein“ bedeuten dasselbe. III. Gott ist das Princip aller Dinge ebensogut durch sein Wissen und Wollen wie durch seine Macht. Es wird aber nicht gesagt, Gott sei in den Dingen kraft seines Wissens und Wollens. Also darf auch nicht gesagt werden: „kraft seiner Macht.“ IV. Gleichwie die Gnade ein gewisser Zustand ist, der zur Substanz hinzutritt, um dieselbe zu vollenden; so giebt es noch viele solcher Zustände. Von Gott aber wird ausgesagt, Er sei in besonderer Weise in Einigen vermittelst der Gnade. Also müßte gemäß jedes anderen Zustandes, welcher den Menschen vollendet, auch eine neue Art Innewohnens von seiten Gottes existieren. Auf der anderen Seite heißt es bei Gregor dem Großen (Sup. Ezechielem Rom. 8.): „Gott ist in allen Dingen kraft der Gegenwart, der Macht, des Wesens; in besonderer Weise aber ist Er in einigen kraft der Gnade.“
b) Ich antworte, daß Gott 1. in allen Dingen ist als wirkende Ursache; sodann ist Er 2. noch als Gegenstand des Erkennens und der Liebe in den vernünftigen Kreaturen, welche die Gnade besitzen; wie dies noch Kapitel 12, Artikel 4 erörtert werden wird. Auf welche Weise Er aber nun in allen Kreaturen ist, das kann aus dem, was unter den Menschen geschieht, erschlossen werden. Denn vom Könige wird gesagt, er sei im ganzen Reiche, nämlich nicht persönlich, sondern kraft seiner Gewalt oder Macht. Unter denen aber, die vor ihm stehen, ist er kraft seiner Gegenwart; gleichwie jemand alle Gegenstande seines Zimmers vor seinem Blicke hat, wenn er auch nicht kraft seiner Substanz in jedem derselben ist. Kraft seiner Wesenheit oder Substanz ist aber jemand in demOrte, welcher seine Substanz einschließt. Es gab nun Manche, wie die Manichäer, welche behaupteten, das Geistige sei wohl Gott unterworfen, nicht aber das Stoffliche. Gegen diese wird behauptet: Gott sei überall kraft seiner Macht. Andere sagten, die Macht Gottes erstrecke sich wohl auf alles; aber die geringeren Körper, wie die hier auf Erden, seien nicht unter der weisen Providenz Gottes; aus deren Person Job (22.) sagt: „Gott umwandelt die Säulen des Himmels und hat keine Sorge um uns und um das, was uns angeht!“ Gegen diese wird behauptet, Gott ist überall durch seine Gegenwart. Wieder andere meinten, nicht alles sei von Gott unmittelbar geschaffen, sondern nur die höchsten Kreaturen kämen von Ihm selbst; diese aber hätten die niedrigen« geschaffen. Gegen diese wird behauptet: Gott ist überall kraft seines Wesens. So ist Er also in allen Dingen kraft seiner Macht; weil alle Ihm unterworfen sind. Er ist in allen kraft seiner Gegenwart, weil alle nackt und offen vor Ihm sind; Er ist in allen kraft seines Wesens, weil alle von Ihm das Sein haben. I. Der erste Einwurf beruht auf Verwechslung. Nicht kraft des Wesens der Dinge ist Gott in den Dingen, sondern kraft seines Wesens; weil Er kraft seines Wesens, was ja Sein ist, für alle die Ursache des Seins ist. II. Es kann etwas ganz und gut vor den Blicken einer Person sein, was nicht ihrer Macht unterliegt (wie z. B. Gott nicht die Sünde verursacht) und von ihr weit verschieden ist dem Wesen nach; deshalb werden die verschiedenen Art und Weisen unterschieden. III. Der Natur des Wissens und des Wollens entspricht es, daß das Gewußte im Wissenden ist und das Gewollte im Wollenden. Gemäß dem Wissen und Wollen sind also die Dinge mehr im Wissenden und Wollenden, als dieser, Gott, in den Dingen. Der Natur der Macht jedoch entspricht es, daß etwas anderes als was der Wirkende ist, gewirkt werde; somit wird der Wirkende gemäß der Macht auf etwas ihm Äußerliches gerichtet. Und so heißt es: Gott sei in den Dingen auf Grund seiner Macht. IV. Nur die Gnade bewirkt, daß Gott selber unmittelbar Gegenstand der Erkenntnis und der Liebe wird. Deshalb ist es nur der Gnade eigen, eine besondere Art Gegenwart Gottes in den vernünftigen Kreaturen zu begründen; abgesehen freilich von der hypostatischen Vereinigung der zweiten Person in Gott mit der Menschnatur.
