Sechster Artikel. Nur im vernünftigen Geiste des Menschen ist das Bild Gottes.
a) Dagegen sagt: I. Paulus (1. Kor. 11.): „Der Mann ist das Bild Gottes.“ Der Mann aber ist nicht vernünftiger Geist allein. II. Gen. 1, 27. heißt es: „Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde, nach dem Bilde Gottes schuf Er ihn; Mann und Weib erschuf Er sie.“ Der Unterschied zwischen Mann und Weib aber ist gemäß dem Körper. Also mit Rücksicht auf den Körper trägt der Mensch das Bild Gottes. III. Das Bild stellt vorzugsweise eine Figur dar. Die Figur aber gehört zum Körper. IV. Augustin (12. sup. Gen. ad litt. 7. et 24.) nimmt eine dreifache Art Schauen an, nämlich ein körperliches, ein geistiges oder in der Einbildungskraft befindliches und ein vernünftiges. Ist also gemäß dem letzteren eine Dreiheit in uns, so auch gemäß dem ersteren. Auf der anderen Seite heißt es Ephes. 4, 23.: „Erneuert euch in euerem vernünftigen Geiste und ziehet den neuen Menschen an.“ Also vollzieht sich unsere Erneuerung im vernünftigen Geiste. Koloss. 3, 10 aber wird gesagt: „Ziehet den neuen Menschen an, der da erneuert wird in der Anerkenntnis Gottes gemäß dem Bilde dessen, der ihn geschaffen;“ wo also die Erneuerung, welcher gemäß der neue Mensch angezogen wird, auf das Bild Gottes sich bezieht. Also ist das Bild Gottes im vernünftigen Geiste allein.
b) Ich antworte; in den anderen sichtbaren Kreaturen ist eine irgend welche Ähnlichkeit mit Gott und wird in ihnen demgemäß eine Spur Gottes gefunden; im Menschen allein besteht ein Bild Gottes. Nur aber wegen seiner Vernunft ragt der Mensch hervor über die anderen sichtbaren Kreaturen. Also nur im vernünftigen Geiste findet sich das Bild Gottes; in den anderen Teilen des Menschen ist eine Spur Gottes. Der Grund davon ist offenbar, wenn der Unterschied zwischen Spur und Bild erwogen wird. Denn das Bild stellt dar gemäß der Ähnlichkeit in der Gattung; die Spur aber als bloße Wirkung, die zwar ihrer Ursache ähnlich ist, aber nicht hinanreicht bis zur Ähnlichkeit in der Gattung. Jene Eindrücke nämlich, welche von den Bewegungen der Tiere hinterlassen werden, heißen Spuren; und ähnlich ist die Asche eine Spur des Feuers und die Verwüstung des Landes eine Spur des feindlichen Heeres. Sowohl also mit Rücksicht auf die göttliche Natur kann ein Unterschied berücksichtigt werden in der Art und Weise wie die vernünftigen und wie die vernunftlosen Kreaturen Gott ähnlich sind, als auch mit Rücksicht auf die Dreietnigkeit der Personen. Denn was die Ähnlichkeit mit der göttlichen Natur betrifft, so scheinen die vernünftigen Kreaturen hinanzureichen bis zur Ähnlichkeit in der besonderen Seinsweise Gottes, insofern sie nicht nur darin Gott nachahmen, daß Er ist und daß Er lebt, sondern auch darin, daß Er vernünftig erkennt. Die vernunftlose Kreatur aber erkennt nicht vernünftig; nur in den Verhältnissen ihrer Natur erscheint eine Spur der hervorbringenden Kraft Gottes. Und ähnlich findet sich im vernünftigen Geiste, in welchem das Wort gemäß der Vernunft, die Liebe gemäß dem Willen ausgeht, das Bild der Dreiheit der Personen, wonach das „Wort“ vom Sprechenden ausgeht und die „Liebe“ vom Worte und vom Sprechenden. In den anderen Kreaturen aber ist keine solche Ähnlichkeit Gottes, die gewissermaßen das Gattungssein selber darstellt; jedoch eine Spur davon findet sich in ihnen. Denn daß die Kreatur ein begrenztes und in seiner Existenzweise ganz bestimmtes Sein hat, deutet darauf hin, daß es von einem Princip kommt. Seine Wesensform aber weist auf das Wort des Hervorbringenden hin, wie die Form des Hauses auf die Idee des Künstlers. Die Beziehung endlich der Wirkung zum Guten, zum Zwecke ist ein Zeichen der hervorbringenden Liebe; wie der Gebrauch, dem ein Haus dient, den Willen des Künstlers beweist. So ist also im vernünftigen Geiste des Menschen das Bild, in den anderen Teilen eine Spur Gottes.
c) I. Der Mensch wird „Bild Gottes“ genannt; nicht weil er seinem Wesen nach das Bild Gottes sei, sondern weil seiner Vernunft das Bild Gottes eingeprägt ist, wie das Bild des Kaisers dem Metall der Münze. Also braucht man nicht in jedem Teile des Menschen das Bild Gottes zu suchen. II. Augustin (12. de Trin. 5.) berichtet, einige hätten danach im Menschen ein Bild des Dreieinigen angenommen, weil mehrere Personen ein solches Bild trügen. Sie sagten, „der Mann zeige an sich auf die Person des Vaters; und ferner auf die Person des Sohnes, insoweit als er von einem anderen Manne so ausging, daß gezeugt wurde; der heilige Geist aber sei durch das Weib vertreten, welche so vom Manne ausgeht, daß sie selber nicht Sohn sei oder Tochter.“ Aber das ist auf den ersten Blick bereits absurd. Denn 1. wäre der heilige Geist dann Princip für den Sohn, wie das Weib Princip ist für die Nachkommenschaft, die vom Manne geboren wird; — 2. wäre ein einzelner Mensch das Bild nur einer Person; — 3. hätte die Schrift vom Bilde Gottes erst sprechen müssen, nachdem bereits die Nachkommenschaft erzeugt worden war. Also ist vielmehr zu sagen, die heilige Schrift wollte durch die angeführte Stelle ausdrücken, daß sowohl der Mann wie die Frau das Bild Gottes trage und zwar gemäß dem vernünftigen Geiste, wo ja kein Geschlechtsunterschied ist. Deshalb sagt der Apostel Koloss. 3. nach den Worten: „gemäß dem Bilde dessen, der ihn geschaffen“: „Wo weder Mann noch Frau ist.“ III. Die Figur des menschlichen Körpers ist eine Spur und ein Abglanz des Bildes Gottes, welches in der Seele sich findet. (Vgl. 83. Qq. qu. 51.) IV. Sowohl im körperlichen Schauen wie in dem der Einbildungskraft findet sich gewissermaßen eine Dreiheit, wie Augustin sagt. (11. de Trin. 2.) Denn im körperlichen Schauen ist zuerst die Gestalt des außen befindlichen Körpers; dann das Schauen selber, welches sich vermittelst der Einprägung einer gewissen Ähnlichkeit seitens der besagten Gestalt vollzieht; und schließlich die Absicht des Willens, welcher das Auge zum Akte des Sehens bestimmt und es an dem gesehenen Dinge festhält. Ähnlich ist im Schauen der Einbildungskraft zuerst das Bild, welches im Gedächtnisse festgehalten wird; dann das Schauen selber; und endlich der Wille, der beides verbindet. Beiderlei Dreiheit aber ist eine höchst mangelhafte Darstellung der göttlichen Dreiheit. Denn die Gestalt des äußerlichen Körpers ist außerhalb der Natur der Seele. Und das Bild im Gedächtnisse ist zwar innerhalb der Seele, aber kommt ihr von außen her zu. Und so fehlt bei beiden die gleiche Natur und die Gleichheit in der Ewigkeit der göttlichen Personen. Das körperliche Schauen aber geht nicht von der außen befindlichen Gestalt allein aus, sondern zu gleicher Zeit vom Sinne des Schauenden; und ähnlich geht das Schauen der Einbildungskraft nicht allein von dem Bilde im Gedächtnisse aus, sondern zu gleicher Zeit von der Einbildungskraft. Und so wird nicht in hinreichender Weise das Ausgehen des Sohnes vom Vater allein gezeigt. Die Absicht des Willens, die beide Momente verbindet, geht zumal weder vom Auge und dessen Gegenstande noch von der Phantasie und deren Bild aus. Also ist das Ausgehen des heiligen Geistes höchst mangelhaft dargestellt.
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