Dritter Artikel. Die Ausdehnung der Wissenschaft Adams.
a) Es scheint, Adam wußte nicht Alles. Denn: I. Entweder hatte er die Wissenschaft von Allem vermittelst solcher Ideen, die er sich selber erworben; oder er hatte sie vermittelst solcher Ideen, die mit seiner Natur gegeben waren. Nicht das Erste: denn dergleichen Wissen wird durch die Erfahrung verursacht (l Metaph.); Adam aber war im Anfange ohne Erfahrung. Nicht das Zweite: denn er hatte mit uns dieselbe Natur; unsere Natur aber „ist wie eine leere Tafel im Anfange, auf der nichts geschrieben steht“. (3. de anima.) Sollten aber Ideen angenommenwerden, die von Gott ihm eigens eingegossen worden wären, so hätte sein Wissen nicht dieselbe Natur gehabt wie das unsrige, da wir es von den Dingen her erwerben. II. In den Einzelwesen ein und derselben Gattung besteht die nämliche Art und Weise, zur Vollendung zu gelangen. Andere Menschen aber haben nicht sogleich im Beginne die Wissenschaft von Allem, sondern erst nach und nach kommen sie zu selbiger. Also ist dies auch mit Adam der Fall gewesen. III. Im gegenwärtigen Leben soll seiner Seele nach der Mensch fortschreiten sowohl in der Erkenntnis wie in Verdiensten; denn deshalb ist die Seele mit dem Körper verbunden. Der Mensch aber wäre im Stande der Unschuld fortgeschritten in Verdiensten; also auch in Kenntnissen. Auf der anderen Seite legte Adam nach Gen. 2. den Tieren die Namen bei. Die Namen aber mußten den inneren Naturen entsprechen. Also wußte Adam die Naturen aller Tiere und aus dem gleichen Grunde alles Andere.
b) Ich antworte, daß in der natürlichen Ordnung das Vollkommene dem Unvollkommenen vorhergeht; denn was im Zustande des Vermögens ist, kann nur kraft der Einwirkung eines Seins, welches entsprechende Thätigkeit hat, zur Thätigkeit übergehen. Und weil die Dinge im Anfange eingerichtet worden sind, nicht nur daß sie in sich selbst seien, sondern auch daß sie Principien seien für die anderen späteren; deshalb sind die ersten Dinge in einem vollkommenen Zustande hervorgebracht worden, da in ihnen die Principien für die übrigen bestanden. Der Mensch aber ist Princip für den anderen Menschen; nicht nur vermittelst der Zeugung, sondern auch durch Unterricht und Leitung. Wie deshalb der erste Mensch rücksichtlich seines Körpers in vollkommenem Zustande geschaffen worden, damit er gleich zeugen könne; so ist er vollkommen geschaffen worden auch in der Seele, so daß er sogleich unterrichten und leiten konnte. Unterrichten kann aber nur jener, der Wissenschaft hat. Und deshalb ist der erste Mensch in solcher Weise hergestellt worden, daß er von Allem Wissenschaft hatte, worin der Mensch von Natur aus geeignet ist, unterrichtet zu werden. Das ist aber alles das, was dem Vermögen nach in den ersten an sich bekannten Principien enthalten ist; nämlich Alles, was ihrer Natur nach die Menschen wissen können. Zur Leitung des eigenen Lebens und desjenigen der anderen jedoch gehört nicht nur die Kenntnis dessen, was von Natur aus gewußt werden kann, sondern auch die Kenntnis dessen, was die natürliche Kenntnis überragt, und zwar deshalb nämlich, weil das Leben des Menschen hingeordnet ist zu einem übernatürlichen Zwecke; wie für uns es notwendig ist, um unser Leben gut einzurichten, daß wir das im Glauben Enthaltene kennen. Also von diesem Übernatürlichen hatte der erste Mensch so viel Kenntnis, wie nötig war für die Leitung des menschlichen Lebens gemäß dem damals bestehenden Zustande. Anderes aber, was auf natürliche Weise nicht erkannt werden kann und zur angemessenen Leitung des menschlichen Lebens nicht erfordert wird, erkannte der erste Mensch nicht; wie z. B. die Gedanken der Menschen, die zukünftigen zufälligen oder freien Handlungen und ebensowenig manches Einzelne, wie z. B. wie viele Haare der Mensch auf dem Kopfe hat, wie viele Steinchen im Flusse liegen.
c) I. Durch Ideen, welche von oben eingegossen waren, besaß der Mensch diese Wissenschaft. Und trotzdem war letztere nicht von einer anderen Gattung als die unsrige; wie auch die Augen, welche Christus dem Blindgeborenen gab, nicht von anderer Gattung waren wie jene, welche die Natur hervorgebracht. II. Adam war der erste Mensch; und deshalb mußte er gewisse Vollkommenheiten haben, die den anderen Menschen nicht zukommen. III. Adam hätte zwar in der Zahl der erkannten Gegenstände keine Fortschritte gemacht, wohl aber in der Weise des Wissens; denn was er vorher nur allein durch die Vernunft gewußt hätte, das würde er nachher zudem vermittelst der Erfahrung erkannt haben. Was dazu das Übernatürliche anbelangt, so hätte er auch Fortschritte gemacht in der Zahl des Erkannten vermittelst neuer Offenbarungen; gleichwie die Engel vermittelst neuer Erleuchtungen. Die Analogie mit den Verdiensten hinkt indessen. Denn für das Wissen ist der eine Mensch Princip für den anderen; nicht aber für das Verdienst.
