Zweiter Artikel. Adam schaute im Zustande der Unschuld die Engel nicht kraft deren Wesenheit.
a) Dagegen sagt: I. Gregor der Große (4. dial. c. 1.): „Im Paradiese pflegte der Mensch das Wort Gottes zu genießen und mit den Geistern der guten Engel in Herzensreinheit und in erhabener Anschauung zu verkehren.“ II. Unsere Seele sieht die Substanz der reinen Geister nicht, weil sie mit einem sterblichen Körper naturgemäß verbunden ist; weshalb ja auch die vom Leibe getrennte Seele solche stofflose Substanzen sehen kann. Die Seele aber ward im Paradiese vom Körper nicht belästigt, da derselbe unvergänglich war. III. Die eine stofflose Substanz erkennt die andere, weil sie sich selbst erkennt, (de causis 13.) Die Seele des ersten Menschen erkannte sich selbst. Also. Auf der anderen Seite hatte die Seele Adams dieselbe Natur wie die unsrige, welche keinesfalls vom Stoffe getrennt bestehende Substanzen erkennen kann.
b) Ich antworte, im Zustande der Seele sei doppelt zu unterscheiden: einmal gemäß der verschiedenartigen Seinsweise in der nämlichen menschlichen Natur; und so wird unterschieden der Zustand der vom Stoffe getrennten Seele vom Zustande der mit dem Körper verbundenen; — dann gemäß der Verderbtheit und Unverdorbenheit in der gleichen natürlichen Seinsweise; und so wird unterschieden der Zustand der Unschuld von dem der sündigen oder gefallenen menschlichen Natur. Denn die Seele war im Zustande der Unschuld in gleichem Maße dem Körper zugewiesen, um ihn zu leiten und zu vollenden wie jetzt. Deshalb heißt es in der Genesis, der erste Mensch sei geworden „zur belebenden Seele“; nämlich zur Seele, die dem Körper Leben, das sinnliche, gab. Nur war dieses Leben zum Unterschiede vom unsrigen unverdorben; insoweit der Körper durchaus der Seele unterthan war und in nichts ihn hinderte. Offenbar aber ist deßhalb (Kap. 84, Art. 7), weil die Seele dem Körper zugewiesen ist zu dessen Leitung und Vollendung, unserer Seele es eigen, nur dadurch daß sie sich zu den Phantasiebildern wendet, zu erkennen. Also kam diese Art und Weise zu erkennen auch dem ersten Menschen zu. Gemäß einer solchen Erkenntnisweise aber finden sich nach Dionysius (4. de div. nom.) Erkenntnisthätigkeiten in dreifacher Abstufung. Die erste ist die, daß die Seele von den äußeren Dingen zu sich selbst zurückkehrt und sich in sich selber sammelt. Aus der zweiten steigt die Seele empor, daß sie vereinigt sei mit den höheren in sich völlig bereits geeinten Kräften, d. h. mit den Engeln. Die dritte Stufe führt sie noch weiter bis zu Gott, zum Allgute. Gemäß der Thätigkeit auf der ersten Stufe ist die Kenntnis der Seele eine in sich vollendete. Denn die vernünftige Thätigkeit der Seele hat eine natürliche Beziehung zu dem, was außen ist (Kap. 64, Art. 6). Und so kann vermittelst der Kenntnis dieses Außenstehenden vollkommen erkannt werden unsere eigene vernünftige Thätigkeit, wie jede Thätigkeit vermittelst ihres Gegenstandes erkannt wird; und ebenso wird vollkommen erkannt die menschliche Vernunft, nämlich wie ein Vermögen durch die ihm, eigene Thätigkeit. Auf der zweiten Stufe findet sich keine vollkommene Kenntnis. Da nämlich der Engel nicht dadurch erkennt, daß er sich zu den Phantasiebildern wendet, sondern in weit erhabenerer Weise; so führt jene Art und Weise wie die Seele sich selbst erkennt, nicht genügend zur Kenntnis des Engels. Und noch weit weniger geleitet die dritte Abstufung zu einer vollkommenen Kenntnis. Denn selbst die Engel können dadurch daß sie sich selbst erkennen, nicht hinanreichen zur Erkenntnis der göttlichen Substanz, weil diese zu sehr hervorragt. So also konnte wohl die Seele des ersten Menschen nicht die Engel kraft deren Wesenheit erkennen; sie hatte jedoch eine höher geartete Kenntnis von ihnen, wie wir. Denn seine Kenntnis war eine gewissere und beharrlichere für die Erkenntnisgegenstände in seinem Innern; und wegen dieses Vorzuges sagt Gregor der Große, er hätte mit den seligen Geistern verkehrt.
c) I. Damit ist auf I. geantwortet. II. Die Belastung des Körpers hat hier nichts zu sagen. Es war vielmehr gemäß der ganzen Natur der Erkenntnis des ersten Menschendie rein geistige Substanz zu hoch für ihn. III. Die Selbstkenntnis des ersten Menschen konnte nicht bis dahin hinanreichen, um vermittelst ihrer die stofflosen Substanzen zu erkennen; denn auch eine jede dieser letzteren erkennt die andere vermittelst ihrer eigenen Seinsweise.
