Sechster Artikel. Die Reihenfolge der Chöre.
a) Die Reihenfolge scheint nicht in passender Weise geordnet zu sein. Denn: I. Die Vorsteher sind immer die ersten. Die „Herrschaften“, „Ge walten“, „Fürstentümer“ aber bezeichnen ein Vorstehen. Also müssen sie die höchsten Engelchöre sein. II. Je näher ein Engelchor Gott, desto höher ist er. Der Chor der „Throne“ aber scheint Gott am nächsten zu sein. Denn nichts ist dem Sitzenden so nahe wie sein Sitz. Also ist der höchste Chor der der „Throne“. III. Wissen ist früher wie Lieben gleichwie die Vernunft der Natur nach ein höheres Vermögen ist wie der Wille. Also ist der Chor der Cherubim höher wie der der Seraphim. IV. Gregor (I. c.) stellt die Fürstentümer vor die Gewalten. Also sind die ersteren nicht unmittelbar vor den Erzengeln, wie Dionysius will. Auf der anderen Seite setzt Dionysius (7. de ccoel. hier.) die Seraphim als die ersten, die Cherubim als die mittleren, die Throne als die letzten in die höchste Hierarchie; in ähnlicher Weise die Herrschaften, die Kräfte, die Gewalten in die mittlere; und die Fürstentümer, Erzengel und Engel in die letzte Hierarchie.
b) Ich antworte, Gregor der Große und Dionysius bezeichnen in gleicher Weise die Reihenfolge die Engelchöre; nur weichen sie, wie bereits in IV gesagt, bei den Fürstentümern und Kräften voneinander ab. Denn Dionysius stellt die Kräfte zwischen die Herrschaften und Gewalten, die Fürstentümer aber unter die Gewalten; während Gregor den Fürstentümern zwischen den Herrschaften und Gewalten ihren Platz anweist, die Kräfte aber zwischen die Gewalten und Erzengel setzt. Und beiderseitiges Aufzählen kann eine Stütze im Apostel beanspruchen, welcher Ephes. 1, 20. in aufsteigender Ordnung nennt: „Gott setzte Ihn zu seiner Rechten im Himmel über jegliches Fürstentum und jede Gewalt und Kraft und Herrschaft;“ wie Dionysius sie aufzählt. Koloss. 1, 16. aber zählt Paulus die Engelchöre in absteigender Ordnung auf: „Seien es die Throne oder die Herrschaften oder die Fürstentümer oder die Gewalten. Alles ist durch Ihn geschaffen;“ wie Gregor aufzählt. Zuerst sehen wir nun den Grund an, welchen Dionysius für seine Reihenfolge hat. Hier ist zuvörderst zu erwägen, was bereits Art. 2 gesagt worden, daß die erste Hierarchie die Gründe der Dinge in Gott selber anschaut, sowie sie da, in Gott, enthalten sind. Die zweite sieht diese selben Gründe, soweit sie in den geschaffenen allgemeinen Ursachen enthalten sind. Die dritte aber sieht wieder dieselben Gründe, soweit sie bereits zu besonderen einzelnen Wirkungen die Bestimmung in sich tragen. Weil Gott selbst nun der Endzweck ist für die Dienstleistungen der Engel sowie für die ganze Kreatur, so gehört es der ersten Hierarchie an, den Zweck zu betrachten; — der zweiten, die allgemeinen Regeln aufzustellen für alles Thätigsein; — der dritten, die Anwendung des Zweckes und der Regeln auf die besonderen Wirkungen hin zu leiten; was nichts Anderes ist wie die Ausführung. Denn diese drei Momente finden sich in jeder Thätigkeit. Und deshalb setzte Dionysius, der aus den Namen auf die Eigentümlichkeiten der Engelchöre schloß, in die erste Hierarchie die Seraphim, Cherubim und die Throne; denn diese Namen werden beigelegt wegen der unmittelbaren Beziehung auf Gott. Jene Chöre aber setzte er in die zweite Hierarchie, deren Namen eine gewisse allgemeine, d. h. allen gemeinsame Leitung ausdrücken: nämlich die Herrschaften, Kräfte und Gewalten. Die letzten Chöre endlich, deren Namen auf die Ausführung im einzelnen hinweisen, setzte er in die dritte Hierarchie. Nun können mit Rücksicht auf den Zweck wiederum drei Momente in Betracht gezogen werden. Denn 1. betrachtet jemand den Zweck; 2. erlangt, er durch sein Betrachten eine vollkommene Kenntnis des Zweckes; und 3. festigt er seine Absicht in dem Zwecke; und zwar fügt das zweite zum ersten etwas hinzu und das dritte zu beiden. Und weil nun Gott der Zweck des All ist, wie der Heerführer der Zweck des Heeres, so kann man eine gewisse Ähnlichkeit in den menschlichen Dingen finden. Denn es giebt deren, welche den Vorzug haben, daß sie persönlich mit Vertraulichkeit dem Könige sich nahen dürfen; andere kennen sogar noch dazu die Geheimnisse des Königs; und endlich sind wieder andere immer mit ihm zusammen und mit ihm für Alles verbunden. Gemäß dieser Ähnlichkeit verstehen wir besser die Ordnung in der ersten Hierarchie. Denn die Throne gelangen dazu, daß sie Gott in vertraulicher Weise in sich selber aufnehmen, insofern sie ohne weitere Zwischenwesen unmittelbar die Gründe der Dinge in Ihm erkennen; die Cherubim erkennen in hervorragender Weise die Geheimnisse Gottes; und die Seraphim haben das voraus, was vor Allem das Höchste ist, sie sind mit Gott selber in reinster Liebe vereint. So wird also von dem, was der ganzen ersten Hierarchie gemeinsam ist, nämlich von dem unmittelbaren Erkennen der Gründe der Dinge in Gott, der letzte Chor der ersten Hierarchie benannt, die Throne; sowie von dem, was gemeinsam ist allen himmlischen Geistern, der letzte Chor aller, der Chor der Engel benannt wird. Zur Leitung aber gehören ganz der Natur einer jeden Leitung nach drei Momente: 1. muß unterschieden werden das, was zu thun ist; und das ist eigen den Herrschaften;— 2. muß die Kraft oder Fähigkeit gegeben werden, das Angezeigte wirklich zu thun; und das ist eigen den Kräften; — 3. muß angeordnet werden, wie nun und in welcher Weise nach den gegebenen Umständen, was einmal befohlen und geregelt ist, gethan werden soll, damit es einige ausführen; und das ist Sache der Gewalten. Die Ausführung selbst der Dienstleistungen der Engel besteht in ber Ankündigung göttlicher Werke. In der Ausführung einer jeden Thätigkeit nun sind einige, die anfangen und welche die anderen gewissermaßen führen; wie beim Gesänge etwa die Vorsänger; — und dies ist den Fürstentümern eigen. Andere thun einfach das betreffende Werk; — und das sind die Engel. Wieder andere stehen in der Mitte zwischen beiden; — nämlich die Erzengel, wie Art. 5 ad IV gesagt worden. Diese Aufeinanderfolge scheint nun vernunftgemäß zu sein. Denn immer steht das Höchste auf einer niedrigeren Seinsstufe dem nahe, was das Letzte ist auf der höheren Stufe; und hat mit selbigem eine gewisse Verwandtschaft; — wie die niedrigsten Tiere z. B. wenig von den Pflanzen sich entfernen. Nun steht am höchsten im Sein die Dreiheit der göttlichen Personen, welche mit dem heiligen Geiste abschließt, der da ist die vom Vater und Sohn ausgehende Liebe. Damit hat nun Verwandtschaft der erste Chor der höchsten Hierarchie, der vom Entzündetsein in der Liebe seinen Namen trägt. Der letzte Chor in der höchsten Hierarchie ist der der Throne, die da infolge ihrer gemeinsamen Eigentümlichkeit eine gewisse Verwandtschaft haben mit den Herrschaften. Denn Throne werden sie nach Gregor genannt, „weil durch sie Gott richtet.“ Die Herrschaften nun empfangen die göttlichen Erleuchtungen zu dem Zwecke, daß sie ohne weitere andere Vermittlung die zweite Hierarchie erleuchten, der es zugehört, die allgemeinen Regeln und Gesetze festzuhalten für die Leitung der Verrichtungen im Dienste Gottes. Der Chor der Gewalten aber hat Verwandtschaft mit dem der Fürstentümer, welche die ersten sind bei der Ausführung der allgemeinen Regeln in den besonderen Wirkungen der göttlichen einwirkenden Kraft. Denn da es den Gewalten zugehört, den Untergebenen die gemachten Anordnungen aufzulegen, so wird diese Anordnung selber sogleich im Ausdrucke „Fürstentümer“ angezeigt, die da nämlich Vorsitzen in der Leitung und Regierung der einzelnen Völker und Königreiche; und das ist unter den besonderen Wirkungen Gottes die vorzüglichste, da das Beste eines Volkes mehr Gottes würdig ist wie das Beste einzelner Personen; wie danach es Daniel 10. heißt: „Der Fürst des Reiches der Perser hat mir widerstanden.“ Die Reihenfolge aber, wie sie Gregor annimmt, hat ebenfalls ihre Gründe für sich. Denn da die Herrschaften bestimmen und vorschreiben das, was zum göttlichen Dienste gehört, so werden die ihnen untergebenen Chöre danach unterschieden, wie jene sich verhalten, auf welche die Verrichtungen im Dienste Gottes gehen. Nun sagt Augustin (3. de Trin. c. 4.): „Die Körper werden in einer gewissen Ordnung geleitet, die niederen durch die höheren;und alle durch die geistigen Kreaturen; die bösen Geister aber durch die guten.“ Deshalb wird nun als der erste Chor nach den Herrschaften sogleich der der Fürstentümer bezeichnet, die da über die guten Geister den Vorsitz führen; dann kommt jener der Gewalten, welche die bösen Geister im Zaume halten, wie durch die irdischen Gewalten die Missethäter in ihrem Thun gehindert werden (Röm. 13.); und nach diesen kommt der Chor der Kräfte, welche Macht haben über die körperliche Natur im Vollbringen von Wundern; und endlich die Engel und Erzengel, welche den Menschen entweder Gewöhnliches künden, was der menschlichen Vernunft entspricht; oder Großes, was über die menschliche Natur hinausgeht.
c) I. In den Engeln besteht als erster Vorzug, daß sie Gott unterthan sind; und dann erst als eine Folge davon, daß sie das niedrigere Sein leiten. Deshalb sind jene Chöre, deren Namen die Leitung und Vorsteherschaft ausdrücken, nicht die ersten; sondern jene, welche nach dem höheren Grade des Zuwendens zu Gott benannt sind. II. Jene Nähe zu Gott hin, welche im Namen der Throne ausgedrückt ist, kommt auch den Seraphim und Cherubim zu; aber in noch höherem Grade. III. Die Kenntnis vollzieht sich gemäß dem, daß das Erkannte im Erkennenden ist; die Liebe besteht, insoweit der Liebende mit dem geliebten Gegenstande geeint ist. Die höheren Wesen nun sind in erhabenerer Weisein sich selbst wie in den niedrigeren; die niedrigeren aber erlangen ein erhabeneres Sein, wenn sie durch die Liebe mit den höheren verbunden sind. Deshalb ragt die Kenntnis, welche man vom Niedrigeren hat, hervor vor der Liebe zu selbem; und steht somit nach dieser Seite hin die Kenntnis an erster Stelle. Die Liebe aber zum Höheren und zudem zu Gott ragt hervor vor der betreffenden Kenntnis. IV. In der Sache ist Dionysius von Gregor wenig verschieden, wenn jemand genau zusehen will. Denn Gregor leitet den Namen „Fürstentümer“ davon ab, daß sie den guten Geistern vorstehen; und das kommt eben den „Kräften“ zu, insoweit im Namen „Kräfte“ jene Stärke eingeschlossen erscheint, welche den niedrigeren Geistern Wirksamkeit verleiht für die Ausführung der göttlichen Gebote. Und wiederum scheint Gregor mit seinen „Kräften“ dasselbe zu bezeichnen wie Dionysius mit den „Fürstentümern“. Denn das ist eben das Erste und Hervorragendste in den göttlichen Dienstleistungen, Wunder zu wirken; dadurch nämlich wird der Weg vorbereitet für die Ankündigungen der Engel und Erzengel.
