Fünfter Artikel. Von Geburt an hat der Mensch seinen 5chutzengel.
a) Dementgegen scheint zu sein: I. Die Stelle des Apostels (Hebr. 1.): „um derentwillen, die das Erbe des Heiles erfassen.“ Denn erst in der Taufe fangen die Menschen an, „das Erbe des Heiles zu erfassen.“ Also erst von der Taufe an haben die Menschen einen Schutzengel. II. Die Schutzengel sollen wie Lehrer höherer Ordnung unsichtbarerweise die Menschen erleuchten. Die ebengeborenen Kinder aber haben nicht den Gebrauch der Vernunft; können also nicht lernen. III. Die Kinder im Leibe der Mutter haben ebensogut eine Zeit lang hindurch eine vernünftige Seele wie die geborenen Kinder. Ihnen wird aber kein Schutzengel beigegeben; wie auch die Diener der Kirche sie nicht heiligen mit den Sakramenten. Also ist die Geburt kein Grund für die Zuwendung eines Schutzengels. Auf der anderen Seite sagt Hieronymus (l. c.): „Von Geburt an haben etc.“
b) Ich antworte, darüber bestehe, wie Origenes (hom. 6. in Matth.) sagt, eine doppelte Meinung. Denn einige sind der Ansicht, erst von der Taufe an habe der Mensch einen Schutzengel; andere meinen, er habe ihn seit der Geburt. Und letztere Ansicht billigt Hieronymus mit Recht. Denn jene Wohlthaten, welche dem Menschen verliehen werden, weil er Christ ist, beginnen mit der Taufe; wie die heilige Kommunion und Ähnliches. Was aber die göttliche Vorsehung dem Menschen verlieh, weil er eine vernünftige Seele hat, das beginnt wirksam zu sein mit der Geburt; und dazu gehört der Schutz von seiten der Engel.
c) I. Der Schutz des heiligen Engels ist freilich ein wirksamer und erfolgreicher nur für jene, „welche das Erbe des Heiles ergreifen,“ soweit es auf die Erreichung der ewigen Seligkeit ankommt. Für die anderen hat aber derselbe wohl nicht diesen Erfolg; aber sie werden doch von manchen Übeln zurückgehalten. II. Die Erleuchtung durch die Lehre ist die letzte und hauptsächlicheWirkung dieses Schutzes. Nichtsdestoweniger fließen aus der Aufgabe der Schutzengel auch für die Kinder viele Wohlthaten; wie z. B. die Teufel abzuhalten, daß sie oder auch daß andere nicht der Seele und dem Leibe schaden. III. Wie die Frucht, die noch am Baume hängt, etwas vom Baume ist und nichts Selbständiges; so ist auch das Kind im Mutterleibe noch nicht selbständig, sondern etwas, ein Teil gleichsam der Mutter. Wahrscheinlich also ist es, daß der Schutzengel, welchen die Mutter hat, auch das Kind im Mutterleibe behüte. In der Geburt aber wird das Kind getrennt von der Mutter; und deshalb bekommt es damit einen eigenen Engel.
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