Vierter Artikel. Das Wesen der Seligkeit besteht in der Thätigkeit der Vernunft, nicht des willens.
a) Das Gegenteil scheint wahr. Denn: I. Augustinus sagt (10. de Civ. Dei 10.): „Die Seligkeit besteht im Frieden,“ weshalb der Psalm 147 erklärt: „Der da zu Deinen Grenzen den Frieden macht.“ Der Friede aber gehört zum Willen. II. Die Seligkeit ist das höchste Gut. Jedes Gut aber ist Gegenstand des Willens. III. Dem Erstbewegenden entspricht der letzte Endzweck; wie der letzte Endzweck der Gesamtheit eines Heeres der Sieg ist, den der Heerführer beabsichtigt als Erstbewegender. Der Wille aber ist der erste Beweger zur Thätigkeit hin. Also besteht in seiner Thätigkeit die Seligkeit. IV. Die Seligkeit muß die erhabenste und edelste Thätigkeit sein. Die Liebe Gottes, also eine Thätigkeit des Willens, ist aber erhabener wie die Kenntnis Gottes nach 1. Kor. 13. Also die Seligkeit ist wesentlich eine Thätigkeit des Willens. V. Augustinus sagt (13. de Trin. 5.): „Selig ist, wer Alles hat, was er will, und nichts Schlechtes will … und dem Seligen nähert sich, der recht will, was auch immer er will; denn jene Güter machen selig, von denen der Mensch schon etwas hat, nämlich das Verlangen danach, den guten Willen.“ Auf der anderen Seite sagt der Herr bei Joh. 17.: „Das ist das ewige Leben, daß sie Dich erkennen, den einen wahren Gott.“ Das ewige Leben aber ist der letzte Endzweck. Also besteht die Seligkeit in der Erkenntnis Gottes, nämlich in der Thätigkeit der Vernunft.
b) Ich antworte; zur Seligkeit gehören zwei Elemente: 1. Das Sein der Seligkeit; 2. die ihr an sich folgende Eigentümlichkeit, nämlich das mit ihr verbundene Ergötzen. Wird also nach dem gefragt, was die Seligkeit dem Wesen nach sei, so kann sie unmöglich in einer Thätigkeit des Willens bestehen. Offenbar nämlich ist die Seligkeit nichts Anderes als die Erreichung des letzten Endzweckes. Die Erreichung des letzten Endzweckes aber kann unmöglich in der Thätigkeit selber des Willens bestehen. Denn der Wille richtet sich kraft des Verlangens nach dem abwesenden Endzwecke; kraft des Ergötzens nach dem bereits besessenen Endzwecke, in welchem er ruht. Das Verlangen nun nach dem Zwecke ist nicht dessen Erreichung, sondern eine Bewegung dahin. Und das Ergötzen setzt den Besitz voraus. Also muß es eine andere Thätigkeit als die des Willens sein, durch welche der Zweck gegenwärtig oder ein besessener wird. Das wird ganz offenbar, wenn wir an die sinnlich wahrnehmbaren Endzwecke denken. Denn wäre das Gewinnen von Geld der Thätigkeit desWillens überlassen, so würde der Geldgierige gleich von Beginn Geld besitzen, sobald er nämlich solches haben wollte. Im Beginne aber ist es für ihn abwesend. Er besitzt es erst, wenn er es mit der Hand festhält oder durch ähnliche Mittel; und auf Grund dessen ergötzt er sich bereits am Besitze des Geldes. So also geht es auch mit dem kraft der Vernunft wahrnehmbaren Endzwecke. Denn anfangs wollen wir solchen Zweck erreichen. Wir erreichen ihn nun dadurch, daß er vermittelst der Thätigkeit der Vernunft uns gegenwärtig und somit erfaßt und festgehalten wird; und endlich ruht der Wille mit Ergötzen aus im bereits erreichten Endzwecke. Danach ist auch die Seligkeit ihrem Wesen nach in der Thätigkeit der Vernunft. Dem Willen aber gehört es zu, auszuruhen in der Ergötzlichkeit, welche der Seligkeit folgt; wie Augustin sagt (10. Conf. 23.): „Seligkeit ist Freude an der Wahrheit;“ denn diese Freude selber ist die Vollendung der Seligkeit.
c) I. Der Friede ist nicht das Wesen der Seligkeit, sondern er geht einerseits voraus und andererseits folgt er. Er geht voraus, insofern Alles, was für die Seligkeit hindernd und verwirrend sein konnte, bereits vorher entfernt worden. Er folgt, insoweit der Mensch, im Besitze des letzten Endzweckes, all sein Verlangen befriedigt sieht. II. Der erste und unmittelbare Gegenstand des Willens ist nicht seine eigene Thätigkeit; wie auch der Gegenstand des Sehens nicht das Sehen selber ist, sondern das Sichtbare. Daraus also selber daß die Seligkeit dem Willen zugehört als sein erster Gegenstand, folgt, daß sie nicht in seiner eigenen Thätigkeit bestehe. III. Den Endzweck erfaßt die Vernunft früher als der Wille; der erste Anstoß für die Bewegung zum Zwecke hin fängt jedoch vom Willen an. Also wird dem Willen geschuldet, was an letzter Stelle der Erreichung des Zweckes folgt, nämlich das Ergötzen oder der Genuß. IV. Die Liebe geht dem Erkennen vorher, sobald es heißt: etwas bewegen oder den Anstoß geben. Die Erkenntnis geht jedoch der Liebe vorher, sobald die Erreichung oder Erfassung berücksichtigt wird; denn nur „insofern etwas erkannt ist, wird es geliebt“, sagt Augustin. (10. de Trin. I.) Also erreichen und erfassen wir den vernünftig wahrnehmbaren Endzweck zuerst durch die Thätigkeit der Vernunft; wie wir auch den sinnlich wahrnehmbaren Endzweck zuerst erreichen durch sinnliche Thätigkeit, durch Sehen, Hören, Fühlen. V. Jener, der Alles besitzt, was er will, ist deshalb selig, weil er hat, was er will; daß er es jedoch besitzt, dies ist nicht der Willensthätigkeit geschuldet, sondern der Vernunftthätigkeit. Nichts aber in übler Weise wollen ist für die Seligkeit erfordert, wie eine gebührende Vorbereitung für selbe. Und der gute Wille wird zu den Gütern gerechnet, welche selig machen, soweit er eine Hinneigung ist zur Seligkeit; wie auch die Bewegung zu einem Endpunkte hin der nämlichen Art ist wie der Endpunkt und die Veränderung von einer Eigenschaft zu der anderen zur Seinsart „Eigenschaft“ gerechnet wird.
