Dritter Artikel. Die Seligkeit besteht ihrem Wesen nach nicht in der Thätigkeit des sinnlichen Teiles.
a) Dementgegen wird behauptet: I. Die vernünftige Thätigkeit ist die edelste im Menschen. Dieselbe hängt aber von der sinnlichen Thätigkeit ab; denn nach 3. de anima „können wir nicht vernünftig verstehen ohne die Phantasiebilder“. Also auch die Thätigkeit der Sinne gehört zum Wesen der Seligkeit. II. Nach Boëtius ist die Seligkeit „ein durch Ansammlung aller Güter Vollendeter Zustand“. Manche Güter aber erreichen wir vermittelst der Thätigkeit der Sinne. III. Die Seligkeit ist das vollendete Gut. Also muß dadurch der Mensch in allen seinen Kräften, auch in den sinnlichen, vollendet werden. Auf der anderen Seite haben wir die sinnliche Thätigkeit mit den Tieren gemeinsam; nicht aber die Seligkeit. Also besteht letztere nicht in der Thätigkeit der Sinne.
b) Ich antworte, es könne zur Seligkeit etwas gehören in dreifacher Weise: 1. so, daß es im Wesen der Seligkeit eingeschlossen ist; 2. so, daß es ihr voraufgeht; oder 3. ihr folgt. Zum Wesen der Seligkeit kann die Thätigkeit der Sinne nicht gehören. Denn dieses Wesen besteht darin, daß der Mensch mit dem ungeschaffenen Gute verbunden ist, welches ja als letzter Endzweck dasteht. Eine solche Verbindung aber kann nicht hergestellt werden durch die Thätigkeit der Sinne. Zudem ist bereits gezeigt worden, daß in den Gütern des Körpers, die allein der Sinn mit seiner Thätigkeit erreicht, die Seligkeit nicht besteht. Die Thätigkeit der Sinne kann jedoch der Seligkeit voraufgehen und ihr folgen. Sie kann voraufgehen, wenn es sich um die unvollendete Seligkeit handelt, die wir im gegenwärtigen Leben haben können; denn die vernünftige Thätigkeit hat zur Voraussetzung die Thätigkeit der Sinne. Letztere folgt dann in jener vollendeten Seligkeit, welche wir im Himmel erwarten. Denn „nach der Auferstehung wird“, wie Augustin (ep. ad Diosorum) sagt, „ein gewisser Glanz zurückstrahlen auf den Körper und die körperlichen Sinne, auf daß sie vollendet werden in ihren Thätigkeiten.“ Die Thätigkeit aber, durch welche die Vernunft mit Gott verbunden ist, wird dann nicht zur Voraussetzung haben die Thätigkeit der Sinne. 0) I. In diesem Leben hat die unvollkommene Seligkeit zur Vorausssetzung die Sinnesthätigkeit. II. Die vollendete Seligkeit, wie sie jetzt bereits die Engel haben, besitzt alle Güter kraft der Verbindung mit dem Urquell alles Guten; nicht als ob sie der einzelnen besonderen Güter bedürfte. In der unvollendeten Seligkeit hier auf Erden aber bedarf man der Ansammlung jenerGüter im einzelnen, die nötig sind, um die vollkommenste Thätigkeit dieses Lebens auszuüben. III. In der vollendeten Seligkeit wird der ganze Mensch vollendet dadurch, daß vom höheren Teile der Glanz widerstrahlt im niedrigeren. Hier aber im gegenwärtigen Leben wird die Vollendung des niederen Teiles vorausgesetzt für die Vollendung des höheren.
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