Fünfter Artikel. Der Körper ist nicht notwendig zur Seligkeit.
a) Das Gegenteil scheint wahr zu sein. Denn: I. Die Vollkommenheit der Tugend und der Gnade, also die Seligkeit, hat zur Voraussetzung die Vollkommenheit der Natur. Die Seele aber hat ohne den Körper nicht die Vollkommenheit der Natur, da sie eben kraft der Natur ein Teil der menschlichen Natur ist und ein vom Ganzen getrennter Teil unvollkommen sein muß. Also kann die Seele ohne den Körper nicht selig sein. II. Die Seligkeit ist eine vollendete Thätigkeit. Eine solche folgt aber nur aus einem vollendeten Sein; denn jegliches Wesen wirkt, insofern es thatsächlich Sein hat. Da nun also die Seele, getrennt vom Leibe, als Teil kein vollendetes Sein hat, so kann sie auch nicht selig sein ohne den Leib. III. Die Seligkeit ist die Vollendung des Menschen. Die Seele aber ohne Leib ist nicht der Mensch. IV. Nach Aristoteles (10 Ethic. 7.) ist die Thätigkeit, worin die Seligkeit besteht, eine nicht gehinderte. Die Thätigkeit der vom Leibe getrennten Seele aber ist eine gehinderte. Denn, wie Augustin (12. sup. Gen. ad litt. 35.) schreibt, „wohnt der Seele ein gewisses natürliches Verlangen inne, den Körper zu leiten und durch dieses Verlangen wird die Seele gewissermaßen zurückgehalten, daß sie nicht mit ihrer ganzen Kraft sich in jenen höchsten Himmel (nämlich die Anschauung des göttlichen Wesens) begebe.“ V. Die Seligkeit ist das allseitig hinreichende Gut und befriedigt alles Verlangen. In der getrennten Seele aber bleibt das Verlangen nach der Vereinigung mit dem Körper unbefriedigt. Also ist sie in dieser Lage nicht voll selig. VI. Der Mensch in seiner Seligkeit ist den Engeln gleich. Die Seele aber ohne Körper steht nicht auf derselben Stufe wie der Engel nach Augustin a. a. O. Auf der anderen Seite steht geschrieben Apok. 14.: „Selig die Toten, welche im Herrn sterben.“
b) Ich antworte, daß man eine doppelte Seligkeit berücksichtigen muß: eine unvollendete, welche in diesem Leben besessen wird, und eine vollendete, welche in der Anschauung Gottes besteht. Zur ersteren gehört freilich offenbar der Körper; denn die Thätigkeit der Vernunft, in welcher die Seligkeit dieses Lebens besteht, vollzieht sich nicht ohne Phantasiebild und somit nicht ohne körperliches Organ. Einige jedoch meinten auch von der vollendeten Seligkeit, sie könne nicht bestehen ohne den Körper; so zwar daß die Seelen der Heiligen erst nach der Auferstehung der Leiber vollkommen selig sein würden. Das ist jedoch falsch sowohl auf Grund der Autorität der Schrift wie auf Grund der Vernunft. Denn 2. Kor. 5. heißt es: „So lange wir im Körper sind, pilgern wir fern von Gott;“ und auf diese Worte folgt der Grund des Pilgerns: „Denn wir wandeln im Glauben und nicht im Schauen.“ Daraus erhellt, daß, wer im Glauben wandelt und nicht im Schauen, wer also der Anschauung des göttlichen Wesens entbehrt, Gott, den Herrn, noch nicht sich selber gegenwärtig hat. Die Seligen der Heiligen aber, die von ihren Körpern getrennt sind, haben Gott sich selber gegenwärtig; weshalb Paulus fortfährt: „Wir wagen es aber und haben den guten Willen, daß wir wandeln fern vom Körper und hingegen Gott gegenwärtig seien.“ Also offenbar „wandeln“ die vom Körper getrennten Seelen der Heiligen „im Schauen“; und betrachten die Wesenheit Gottes, worin die wahre Seligkeit besteht. Das Nämliche geht aus rein vernünftiger Betrachtung hervor. Denn die Vernunft bedarf zu ihrer Thätigkeit des Körpers nur wegen der Phantasiegebilde, in welchen sie die vernünftig erkennbare Wahrheit anschaut. Offenbar aber kann das göttliche Wesen mit Hilfe von Phantasiegebilden nicht geschaut werden. (I. Kap. 12, Art. 2.) Da also in der Anschauung des göttlichen Wesens die vollkommene Seligkeit des Menschen besteht, so hängt letztere nicht vom Körper ab. Ohne den Körper somit kann die Seele selig sein. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, daß in doppelter Weise etwas zur Vollendung eines Dinges gehört: Einmal so, daß es in die Bildung der innersten Wesenheit als notwendiges Element eintritt; wie die Seele erfordert wird zur Vollendung des Menschen. Dann so, daß es eine Zierde für das Sein des betreffenden Dinges ist; wie die Schönheit des Körpers oder der Glanz des Genies zur Vollendung des Menschen gehört. In der erstgenannten Weise nun gehört der Körper nicht zur Vollendung des Menschen, wohl aber in der zweiten. Denn da die Thätigkeit von der Natur des thätigen Wesens abhängt, so wird dieselbe um so vollendeter sein in allem, was ihr eigens zukommt, je vollendeter die Art und Weise ist wie sie in ihrer Natur sich findet. Deshalb schreibt Augustin (12. de Gen. ad litt. 35.), nachdem er gefragt hatte, ob den Seelen der Verstorbenen, insoweit sie ohne ihre Leiber sind, jene höchst vollendete Seligkeit verliehen werden könne: „Nicht in der gleichen Weise vermögen sie zu schauen jene unveränderliche Substanz wie die heiligen Engel sie schauen, sei es daß dafür irgend welcher verborgener Grund existiert, sei es daß dies deshalb angenommen wird, weil in solchen Seelen immer ein gewisses natürliches Verlangen bleibt, den Körper zu leiten.“
c) I. Die Seligkeit ist die Vollendung der Seele von seiten der Vernunft, kraft deren sie das Körperliche überragt; nicht von seiten ihrer Eigenschaft, die bestimmende natürliche Wesensform des Körpers zu sein. Jene natürliche Vollendung also bleibt, wonach ihr die Seligkeit geschuldet wird; nicht jene andere, wonach sie die Wesensform des Körpers ist. II. Die Seele verhält sich anders zum thatsächlichen Sein wie sonst irgend welche Teile eines Ganzen. Denn im allgemeinen ist allerdings, wie der Einwurf sagt, das Sein des Ganzen nicht gleichbedeutend mit dem Sein eines der Teile des Ganzen, so daß der Teil entweder durchaus zu sein aufhört, sobald das Ganze zerstört ist; wie die Teile des Tieres dem tierischen Sein nach zu sein aufhören, sobald das Tier aufgelöst ist; — oder daß die Teile, wenn sie bestehen bleiben, ein anderes thatsächliches Sein haben als das Ganze, wie der Teil einer Linie ein anderes Sein hat als die ganze Lzmie. Der menschlichen Seele aber bleibt das nämliche Sein des Zusammengesetzten, also des ganzen Menschen, nach der Auflösung des Körpers; und zwar hat dies deshalb statt, weil die Wesensform und der entsprechende Stoff ein und dasselbe Sein haben und dieses Sein ist wieder durchaus das nämliche wie das des Zusammengesetzten. Nun ruht die Seele selbständig in ihrem Sein, vgl. I. Kap. 75, Art. 1; an diesem Sein nimmt nur teil der Körper und vermittelst dessen der ganze Mensch. Also zieht sie, da das ganze menschliche Sein ihr gehört und von ihr ausfließt, nach der Trennung vom Leibe alles entsprechende Sein des einzelnen Menschen an sich, so daß der tote Leib durchaus nicht mehr Mensch ist. Also hat sie vollendetes Sein und somit vollendete Thätigkeit, wenn auch ihre Natur, soweit es auf die Gattung „Mensch“ ankommt, nicht vollendet ist. III. Die Seligkeit des Menschen vollendet sich gemäß der Vernunft. Da also die Vernunft nach dem Tode bestehen bleibt, so kann sie und kann somit der Mensch vollendet selig sein. So bleiben die dem Äthiopier ausgezogenen Zähne weiß auch nach dem Ausziehen, gemäß denen der Äthiopier „weiß“ genannt wird. IV. In doppelter Weise wird etwas vom anderen gehindert: Einmal auf Grund des Gegensatzes, wie die Kälte hindert den wirksamen Einfluß der Wärme; und ein solches Hindernis steht der Glückseligkeit schroff gegenüber. Dann auf Grund eines gewissen Mangels, weil nämlich die behinderte Sache nicht Alles hat, was zu ihrer allseitigen Vollendung erfordert wird; und ein solches Hindernis der Thätigkeit steht nicht entgegen der Glückseligkeit, sondern der allseitigen Vollendung derselben. Nach dieser letzten Weise nun wird von der Trennung des Leibes von der Seele gesagt, daß sie die Seele aufhalte, damit sie nicht mit voller Kraft sich in das Schauen der göttlichen Wesenheit versenke. Denn die Seele will an Gott sich dergestalt freuen, daß diese Freude auch auf den Körper überfließe, soweit dies möglich ist. Deshalb also ruht, so lange sie Gottes genießt ohne den Leib, ihr Verlangen auf diese Weise in Gott, daß sie zudem noch wollte, ihr Körper nehme an diesem Genusse teil. V. Das Verlangen der Seele ist durchaus und allseitig befriedigt von seiten des begehrten Gegenstandes her; denn sie besitzt, was für ihr Verlangen hinreichend ist. Nicht ganz und gar vollständig aber ist die Befriedigung von seiten des Verlangenden her; denn er besitzt jenes Gut nicht allseitig so, wie er es besitzen möchte. Ist also der Körper wieder mit der Seele verbunden, so wächst die Seligkeit durchaus nicht der beseligenden Kraft nach, sondern dehnt sich zugleich aus auf den Körper; wie das gleiche Licht, welches zuerst den leeren Saal erleuchtet und gezeigt hat, sich ausdehnt auf die Beleuchtung der Möbel, sobald diese in den Saal gebracht sind. VI. Daß „die vom Körper getrennten Seelen nicht so Gott sehen wie die heiligen Engel“, ist nicht zu verstehen von der Ungleichheit der Kraft; denn auch jetzt schauen einige heilige Seelen Gottes Wesen klarerwie die niederen Engel. Vielmehr wird dies von der Ungleichheit des Verhältnisses verstanden; denn selbst die niedrigsten Engel besitzen bereits alle Vollendung der Seligkeit, welche sie je haben sollten; dies kann von den getrennten Seelen nicht gesagt werden, deren Seligkeit sich noch auf den wiedervereinigten Körper erstrecken wird.
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