Vierter Artikel. Über die Dauer der Seligkeit.
a) Die bereits besessene Seligkeit scheint verloren werden zu können. Denn: I. Die Seligkeit ist eine gewisse Vollendung. Jede Vollendung aber wohnt dem Vollendbaren inne gemäß der Art und Weise von dessen Sein. Da also der Mensch seiner Natur nach veränderlich ist, so scheint es, daß er auch in veränderlicher Weise an der Seligkeit Anteil habe und somit die besessene Seligkeit verlieren kann. II. Die Seligkeit besteht in einer Thätigkeit der Vernunft, die also dem Befinden des Willens unterliegt. Der Wille aber kann das eine ebenso gut wollen wie dessen Gegenteil. Also kann er aufhören, die Thätigkeit zu wollen, in welcher die Seligkeit besteht. III. Dem Beginne oder Princip entspricht das Ende oder der Zweck. Die Seligkeit des Menschen aber hat einen Beginn; denn er war nicht immer selig. Also hat sie auch ein Ende. Auf der anderen Seite heißt es Matth. 25. von den Gerechten: „Und es werden gehen diese in das ewige Leben;“ also in die ewige Seligkeit. Was aber ewig ist, vergeht nicht.
b) Ich antworte, die unvollendete Seligkeit, wie sie in diesem Leben erreichbar ist, könne verloren werden. Und zwar wird die Seligkeit des reinen Beschauens hier verloren durch Vergeßlichkeit, wie wenn infolge einer Krankheit die Wissenschaft vergeht; oder auch durch einzelne Beschäftigungen, welche ganz und gar abziehen von der beschaulichen Betrachtung. Die auf das thätige Leben gerichtete Glückseligkeit aber ist verlierbar: 1. dadurch, daß der menschliche Wille von der Tugend abfallen kann, in welcher die Glückseligkeit auf Erden hauptsächlich besteht. Bleibt aber selbst die Tugend erhalten, so können doch 2. äußerliche Beschäftigungen eine folche Glückseligkeit leicht insofern stören, als sie vielfach die Thätigkeit der Tugenden hindern, mögen sie auch nicht die Tugend selber ganz und gar fortnehmen; denn darin selbst bleibt die Thätigkeit der Tugend, daß der Mensch solche Widerwärtigkeiten geduldig und lobwürdig erträgt. Und eben deshalb, weil die Seligkeit, welche in diesem Leben gewährtwerden kann, verlierbar ist, was nicht der Natur der Seligkeit zu entsprechen scheint, schreibt Aristoteles (1 Ethic. 10.): „Es gäbe in diesem Leben einzelne, die selig seien, freilich nicht im eigentlichen Sinne, sondern wie dies für Menschen möglich ist.“ Wird jedoch die endgültige, vollendete Seligkeit berücksichtigt, welche man für die Zukunft, also nach diesem Leben erwartet, so fiel Origenes (1 Periarch c. 5) in den Irrtum einiger Platoniker und nahm an, der Mensch könne auch diese Seligkeit verlieren und, nachdem er sie besessen, wieder elend werden. Das aber ist falsch aus folgenden Gründen: 1. Zur Natur der Seligkeit im allgemeinen gehört es, da sie das vollendete und hinreichende Gut ist, daß sie das Verlangen des Menschen voll befriedigt und alles Übel ausschließt. Kraft seiner Natur aber verlangt der Mensch, das zu behalten, was er an Gutem einmal hat, und davon sichere Garantie zu besitzen, daß er es behalten werde; weil er im gegenteiligen Falle immer von der Furcht gepeinigt würde, es zu verlieren, oder Schmerz darüber hätte, daß ihm sicher einmal, was er an Gutem hat, genommen würde. Also wird erfordert zur wahren Seligkeit, daß der Mensch die zuverlässige Gewißheit habe, er werde sein Gut nie verlieren. Ist nun diese zuverlässige Überzeugung objektiv wahr, so folgt daraus, er werde die Seligkeit nie verlieren. Ist diese Überzeugung aber den Thatsachen nicht entsprechend, also falsch, so ist dies selber ein Übel, eine solch falsche Meinung zu haben. Denn „Falsches zu meinen ist für die Vernunft ein Übel (6 Ethic. 2.), wie das Wahre ihr Gut ist“. Also wird dann der Mensch nicht wahrhaft selig sein, wenn ein Übel ihm innewohnt. 2. Das Nämliche geht hervor, wenn die Wesensnatur der Seligkeit im besonderen erwogen wird. Die vollendete Seligkeit des Menschen besteht nämlich im Schauen des göttlichen Wesens. Unmöglich aber kann jemand, der dieses Wesen schaut, es einmal nicht schauen wollen; denn jegliches Gut, dessen jemand, trotzdem er es besitzt, entbehren will, ist entweder unzureichend und man verlangt deshalb nach einem anderen, welches mehr befriedigen soll; — oder mit dem Genusse desselben ist irgend ein Nachteil verbunden, dessentwegen es nach und nach Ekel verursacht. Nun füllt aber das Anschauen des göttlichen Wesens die Seele mit allen Gütern an, da es mit dem Urquell alles Guten verbindet; weshalb auch Psalm 16. sagt: „Ich werde gesättigt werden, wenn Deine Herrlichkeit erscheinen“ und so Gegenstand meines Anschauens sein „wird“; und Sap. 7. heißt es: „Alle Güter kamen mir mit ihr,“ nämlich mit dem Anschauen der göttlichen Weisheit. Ähnlich ist mit diesem Anschauen keinerlei Nachteil verbunden. Denn eben von der Betrachtung der Weisheit wird Sap. 8. gesagt: „Das Wandeln mit ihr schließt keine Bitterkeit in sich und ihre Gesellschaft verursacht niemals Ekel.“ Auf Grund des eigenen Willens also möchte kein Seliger der Seligkeit entbehren. Aber auch deshalb kann die Seligkeit nicht verloren werden, weil etwa Gott sie entzöge. Denn ein solches Entziehen wäre jedenfalls eine Strafe. Strafen aber kann Gott nicht als gerechter Richter, wo keine Schuld vorliege; und eine Schuld auf sich laden kann wieder nicht jener, der Gottes Wesen schaut. Denn mit Notwendigkeit folgt aus dem Anschauen des göttlichen Wesens die Geradheit des Willens, wie Kap. 4, Art. 4 gezeigt worden. Endlich kann auch kein anderer einwirkender Grund die Seligkeit fortnehmen. Denn der mit Gott verbundene Geist wird über alles Andere erhoben und so ist nichts hoch oder stark genug, um ihn von der Seligkeitzu trennen. Vollständig unzulässig ist es also, zu sagen, daß im Verlaufe der Zeiten der Mensch von der Seligkeit zu deren Abschlüsse übergehe und umgekehrt; denn der Wechsel der Zeiten kann nur da Einfluß haben, wo etwas der Zeit und der Bewegung unterliegt.
c) I. Die Seligkeit ist die bis zum Gipfel gelangte Vollendung, welche vom Seligen allen Mangel ausschließt; und deshalb kommt sie dem, der sie hat, ohne Möglichkeit einer Änderung zu. Es bewirkt dies die göttliche Macht, welche den Menschen zur Teilnahme an der Ewigkeit erhebt, die da über alle Veränderung erhaben ist. II. Im Bereiche des Zweckdienlichen kann der Wille so das eine wollen, daß er auch das Gegenteil wollen kann. Zum letzten Zwecke aber hat derselbe kraft seiner Natur notwendige Beziehung; denn der Mensch kann gar nicht die Seligkeit nicht wollen. III. Die Seligkeit hat einen Anfang auf Grund der Seinsweise des sie Genießenden. Sie ist ohne Ende auf Grund jenes Gutes, dessen Teilnahme beseligt.
