Neunter Artikel. Als Handlung des einzelnen Menschen ist keine menschliche Handlung indifferent mit Rücksicht auf „gut“ und „böse“.
a) Das Gegenteil scheinen folgende Gründe zu erhärten: I. Es giebt indifferente Akte, soweit sie in ihrem Wesen betrachtet werden. Kein solches allgemeine Wesen wird aber gefunden, das da nicht in einem Einzeldinge wäre oder doch sein könnte. Also kann es indifferente Akte auch als dem einzelnen Menschen angehörige geben. II. „Zustände oder Gewohnheiten werden verursacht durch einzelne entsprechende Handlungen,“ heißt es bei Aristoteles (2 Ethic. 1.). Es giebt aber solche Zustände, welche weder gut noch schlecht sind; wie Aristoteles (4 Ethic. 1.) von der schwächlichen Sanftmut und von den Verschwendernsagt, sie seien nicht schlecht; wiewohl man von ihnen nicht sagen kann, sie seien gut, da sie sich doch entfernen von der Tugend. III. Das moralisch Gute ist der Tugend zugehörig, das moralisch Böse dem Laster. Es trifft sich aber, daß der Mensch Handlungen, welche ihrem allgemeinen Wesen nach an sich betrachtet weder gut noch schlecht sind, zu keinem besonderen Zwecke hinleitet, weder zur Tugend noch zum Laster. Also sind solche Handlungen an sich weder gut noch böse. Auf der anderen Seite sagt Gregor der Große (hom. 6. in Evg.): „Müßig ist ein Wort, welches entweder des Nutzens, dem Zwecke dienlich zu sein, oder der gerechten Notwendigkeit, oder der frommen Erbauung entbehrt.“ Ein müßiges Wort aber ist nach Matth. 12. ein Übel; denn die Menschen müssen davon am Tage des Gerichts Rechenschaft geben. Wenn es nun der gerechten Notwendigkeit oder frommen Nutzens nicht entbehrt, ist ein solches Wort etwas Gutes. Also jegliches Wort ist entweder gut oder schlecht; und dasselbe gilt natürlich von jeder Handlung. Also giebt es, soweit der Einzelne in Betracht kommt, nichts Indifferentes.
b) Ich antworte, es könne wohl eine Handlung an sich in ihrem Wesen betrachtet indifferent, d. h. weder gut noch böse sein; und doch ist sie als dem Einzelnen angehörig gut oder schlecht. Denn der moralische Akt hat seine Güte nicht nur vom Gegenstande her, sondern auch von den Umständen als dazu tretenden Eigenschaften; wie ja auch der einzelne Mensch als einzelner Manches hat, was dem Menschen seinem allgemeinen menschlichen Wesen gemäß nicht zukömmt. Es ist nämlich notwendig, daß jeglicher Akt einer einzelnen Person einen irgend welchen Umstand besitzt, durch welchen er den Charakter des Guten oder Bösen erhält, mag auch dieser „Umstand“ zum mindesten von seiten der auf den Zweck gerichteten Absicht herkommen. Denn da es der Vernunft zugehört, zu ordnen, so ist die Handlung selber, welche von der erwägenden Vernunft ausgeht, der Vernunft zuwider und deshalb schlecht, wenn sie nicht zum gebührenden Zwecke hingeordnet ist. Ist sie aber zum gebührenden Zwecke hingeordnet und entspricht sie so der Ordnung der Vernunft, so ist sie gut. Daß sie aber zum gebührenden Zwecke hingelenkt werde oder nicht, das ist unumgänglich erfordert. Jeglicher Akt also des Menschen, der von der erwägenden Vernunft ausgeht, ist als dem Einzelnen zugehörig betrachtet entweder gut oder schlecht. Geht aber eine Handlung nicht von der erwägenden Vernunft aus, sondern von einer gewissen Form in der Einbildungskraft (wie wenn jemand am Barte zupft, Hand oder Fuß bewegt), so hat eine solche Handlung nicht den Charakter des Moralischen; es ist keine „menschliche“ Handlung, da sie diesen Charakter nur von der Vernunft her hat. Und demnach ist sie indifferent, so jedoch, daß sie außerhalb des Bereiches der moralischen Thätigkeit steht.
c) I. Eine Thätigkeit oder ein Akt kann in mehrfacher Weise indifferent, d. h. weder gut noch schlecht sein: einmal in der Weise, daß von seinem Wesen aus ihm es gebührt, indifferent zu sein; und dies meint der Einwurf. Jedoch ist so kein Akt thatsächlich indifferent; denn jeder Gegenstand der menschlichen Thätigkeit ist so beschaffen, daß er vermittelst der Zweckrichtung oder eines Umstandes zum Guten oder zum Bösen hinbezogen werden kann. Ferner kann ein Akt indifferent genannt werden, weil er in seinem Wesen nichts hat, daß er vielmehr gut oder böse wäre und umgekehrt, so daß er durch etwas Anderes, Hinzutretendes erst gut oder böse wird; wie z. B. der Mensch es in seinem Wesen nicht hat, daß er schwarz oder weiß ist.Denn das Weißsein oder Schwarzsein kann von anderswoher zum Menschen hinzutreten als von den Principien der Wesensgattung. II. Aristoteles spricht vom Übel, insofern etwas dem Mitmenschen schädlich ist. Der Verschwender schadet nur sich selber. Wir aber sprechen hier vom Übel, als von dem der geraden Vernunft Zuwiderlaufenden. III. Jeder von der erwägenden Vernunft beabsichtigte Zweck gehört zum Guten irgend einer Tugend oder irgend eines Lasters. Denn wenn jemand selbst für die Erhaltung seines Körpers in geregelter Weise sorgt, so ist dies etwas Gutes für den, der seinen Körper dem Guten der Tugend dienen läßt.
