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Wann willst du also imstande sein, auf den hl. Paulus zu hören? Wann willst du deiner Fehltritte bewußt werden, wenn du immer und unaufhörlich von jenen Schauspielen trunken bist? Dass du hierher gekommen bist, ist gar nichts Bewundernswertes und Großes; oder vielmehr, es ist zum Verwundern. Denn hierher kommst du eben gewohnheits- und anstandshalber; dorthin gehst du dagegen voll Eifer, in Eile und mit dem S. d551größten Interesse. Das erkennt man an dem, was du beim Weggehen von dort nach Hause trägst. Den ganzen Schmutz, der dort über euch ausgeschüttet wurde durch Worte, durch Gesang, durch Gelächter, trägt da ein jeder von euch nach Hause; ja nicht bloß in sein Haus, sondern jeder auch in seine eigene Seele. Von dem, was keinen Abscheu verdient, wendest du dich ab; was dagegen Abscheu verdienst, das hassest du nicht, nein, du liebst es sogar. Da pflegen viele sich zu waschen, wenn sie von Gräbern zurückkommen; wenn sie dagegen von den Theatern heimkehren, seufzen die nicht und vergießen keine Ströme von Tränen. Und doch ist ein Toter nichts Unreines, wohl aber verursacht die Sünde einen solchen Makel, dass du diesen auch mit tausend Wasserbächen nicht abwaschen kannst, sondern nur mit Tränen und reuigem Bekenntnis. Doch ist keiner, der diesen Makel empfindet, weil wir eben das nicht fürchten, was wir fürchten sollten; deshalb erschrecken wir auch vor dem, wovor wir nicht zu erschrecken brauchten.
Was soll auch dieses Getöse, was soll dieser Lärm, das höllische Geschrei und die teuflichen Spuckgestalten? Da hat ein Jüngling langes Haar nach rückwärts hängen, macht sich selbst zum Weibe und bemüht sich durch Blick, Haltung, Kleider, kurz durch alles, den Eindruck eines zarten Mädchens hervorzurufen. Ein anderer, der schon im Greisenalter steht, läßt sich im Gegensatz zu diesem Jüngling die Haar scheren, gürtet sich die Lenden, legt früher noch als die Haare die Scham ab, und steht bereit, Backenstreiche zu empfangen und alles mögliche zu sagen und zu tun. Da stehen Weiber mit entblößtem Haupte, allen Schamgefühles bar; sie reden zum Volke und legen ihren ganzen Eifer in solche Schamlosigkeit, und teilen den Seelen ihrer Zuhörer ihre ganze eigene Frechheit und Zügellosigkeit mit. Ihr einziges Bestreben ist darauf gerichtet, alle Schamhaftigkeit mit der Wurzel auszurotten, die Natur zu schänden, die Lust des bösen Dämons zu befriedigen. Da sind schamlose Worte, noch schamlosere Kleidungen und ebensolche Frisuren; der Gang, das Gewand, die Stimme, Gliederverrenkungen, Augenverdrehungen, S. d552Pfeifen , Flöten, Dramen, Vorträge überhaupt alles ist da voll Wollust. Wie willst du also noch keusch bleiben, sag mir, wenn der Teufel dir diesen ungemischten Trank der Unzucht kredenzt, dir so viele Becher der Schamlosigkeit bereitet? Da gibt es ja Ehebrüche und Buhlerinnen, Hurenweiber und männliche Hetären, entmannte Jünglinge, alles, was gegen Gesetz und Natur ist, alles, was nur Schande und Schmach heißt. Also nicht lachen sollten die Zuschauer über derartige Dinge, sondern weinen und bitterlich seufzen.
Nun denn, fragst du, sollen wir das Theater schließen und soll ob deiner Predigt ein allgemeiner Umsturz folgen? O, es ist vielmehr jetzt alles auf den Kopf gestellt. Denn sag mir, woher kommen denn die Verführer der Ehen? Nicht etwa von diesem Theater? Woher diejenigen, die das Brautgemach entweihen? Nicht etwa von jener Bühne? Kommen nicht daher die Männer, die für ihre Frauen unerträglich geworden sind; kommen nicht daher die Frauen, die von ihren Männern verachtet werden? Kommen nicht von dort die meisten Ehebrecher? Wer also alles in Verwirrung bringt, ist derjenige, der ins Theater geht; er ist's, der diesen schrecklichen Tyrannen1 herbeiführt. Aber nein, sagst du, das ist vielmehr durch die Gesetze so angeordnet und sanktioniert worden. Also Weiber rauben, Knaben schänden, Familien ruinieren ist Sache derer, die im Senat sitzen!? Und wer, fragst du, ist je ob solchen Schauspiels zum Ehebrecher geworden? Ja, wer ist es nicht geworden? Wenn es jetzt erlaubt wäre, Namen anzuführen, so würde ich dir zeigen, wie viele Männer dieses Schauspielhaus von ihren Frauen getrennt, wie viele durch jene Dirnen in Fesseln geschlagen wurden, und wie sie die einen vom Ehebett selbst losrissen, die anderen gleich von Anfang an am Ehebund hinderten. Wie nun, sag mir, sollen wir jetzt alle Gesetze umstürzen? Ja, es heißt vielmehr die Gesetzlosigkeit umstürzen, wenn man diese Theater auflöst. Aus ihnen stammen alle jene, die die Städte verderben; das sind die Brutnester der Empörungen und Unruhen. Ja, diejenigen, die unter solchen Spielen aufwachsen, die ihre Stimme der Sinnenlust opfern, deren Beschäftigung es S. d553ist, Beifall zu schreien und jede Schändlichkeit zu tun, die sind es auch zumeist, die die Bevölkerung aufreizen und die in den Städten Unruhen verursachen. Ja, wenn einmal die Jugend sich dem Nichtstun ergeben hat, und unter solcher Schlechtigkeit aufwächst, dann wird sie schlimmer als alle wilden Tiere.
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der Unzucht ↩
