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Werke Johannes Chrysostomus (344-407) In Matthaeum homiliae I-XC Kommentar zum Evangelium des hl. Matthäus (BKV)
Zweiundfünfzigste Homilie. Kap. XV, V.21-31.

5.

Deshalb hat Gott die Übung dieser Tugenden nicht dem Verstand allein überlassen, sondern sie großenteils auch als Naturgesetz dem Menschen eingepflanzt. Derart ist das Erbarmen, das Väter und Mütter für ihre Kinder haben, und die Kinder für ihre Eltern. Ja, nicht bloß bei den Menschen finden wir dies, sondern sogar bei sämtlichen vernunftlosen Tieren. Solcher Art ist die Liebe zwischen Brüdern, Verwandten und Angehörigen, und zwischen den Menschen überhaupt. Wir besitzen eben von Natur aus eine gewisse Neigung zur Barmherzigkeit. Daher kommt es, dass wir entrüstet sind, wenn jemandem Unrecht geschieht; daher unser Abscheu, wenn jemand umgebracht wird; daher unsere Tränen beim Anblick von Betrübten. Gott will ausdrücklich, dass dem so sei; darum hat er in die Natur mächtige Antriebe dazu gelegt, um anzudeuten, wieviel ihm daran gelegen ist. Das wollen wir also beherzigen und wollen uns selbst, unsere Kinder und Angehörige in die Schule der Mildtätigkeit führen. Das soll ja der Mensch vor S. d751 allen Dingen lernen; denn das gerade heißt Mensch sein. Etwas Großes ist es um den Menschen, und geachtet ist der Mann, der barmherzig ist. Wer diese Eigenschaft nicht besitzt, hat aufgehört, Mensch zu sein. Durch sie wird man weise. Wundert es dich, dass barmherzig sein: Mensch sein heißt? Es heißt sogar: Gott sein. Denn es steht geschrieben: „Seid barmherzig wie euer Vater“1 . Lernen wir also aus all diesen Gründen, barmherzig sein, hauptsächlich aber deshalb, weil auch wir selbst gar sehr der Barmherzigkeit bedürfen. Und seien wir überzeugt, dass wir die ganze Zeit umsonst gelebt haben, wenn wir keine Barmherzigkeit üben. Ich meine jedoch eine Barmherzigkeit, die frei ist von Habsucht. Denn wenn schon derjenige nicht barmherzig ist, der von seinem Eigentum, niemand etwas mitteilt, wie kann es der sein, der andere um das ihrige bringt, wenn er auch noch soviel weggäbe? Gilt es schon als Lieblosigkeit, wenn einer sein Eigentum allein genießt, wieviel mehr erst, wenn er sich Fremdes aneignet? Wenn die gestraft werden, welche niemand ein Unrecht zufügen, bloß weil sie anderen nichts mitteilen, um so mehr diejenigen, welche anderen ihr Eigentum nehmen.

Sage ja nicht, dass es ein anderer ist, der Unrecht erleidet, und ein anderer, dem das Almosen gegeben wird. Das ist ja gerade das Strafbare. Denn gerade derjenige sollte das Almosen empfangen, dem Unrecht geschehen ist; nun aber tust du den einen weh, und tust wohl denen, welchen du nicht weh getan hast, da du doch jenen eher wohl tun solltest, oder vielmehr ihnen vorher nichts zuleide tun. Nicht derjenige übt ja Nächstenliebe der erst schlägt und dann heilt, sondern wer diejenigen heilt, die von anderen geschlagen wurden. Heile also die Wunden, die von anderen, nicht die von dir geschlagen sind; ja schlage und wirf niemanden zu Boden2 ; richte im Gegenteil die Niedergeworfenen auf. Auch ist es gar nicht möglich, das von der Habsucht angestiftete Unheil durch ebenso großes Almosen wieder gut zu machen. Hat S. d752 man jemanden um einen Obolus3 betrogen, so genügt es nicht, einen Obolus Almosen zu geben, um das Geschwür zu entfernen, sondern dazu ist ein ganzes Talent4 notwendig. Darum muss auch ein Dieb, der ertappt wird, das Vierfache bezahlen5 ; und ein Räuber ist noch schlechter als ein Dieb. Wenn nun ein Dieb den vierfachen Wert des Gestohlenen ersetzen muss, so wird der Räuber das Zehnfache und noch viel mehr erstatten müssen. Ja, er mag noch froh sein, dass er auf diese Weise das Unrecht sühnen kann; und dazu wird es ihm nicht einmal als Almosen angerechnet und belohnt. Darum sprach Zachäus: „Wenn ich jemand in etwas überfordert habe, gebe ich es vierfach zurück, und dazu will ich die Hälfte meines Vermögens den Armen schenken“6 . Wenn man aber schon im Alten Bunde das Vierfache geben musste, wieviel mehr dann im Neuen Bunde der Gnade; und wenn schon der Dieb, um wieviel mehr der Räuber? Er fügt ja zu der Schädigung noch eine große Unbill hinzu. Wenn du daher auch das Hundertfache gibst, so gibst du immer noch nicht alles.

Siehst du also, dass ich nicht ohne Grund gesagt habe: Wenn du einen Obolus geraubt hast und erstattest ein Talent, so heilst du auch so kaum den Schaden? Und wenn du das schon kaum erreichst, wenn du soviel zurückgibst, womit willst du dich dann entschuldigen, wenn du auch das Gegenteil davon tust, ganze Vermögen raubst und nur wenig davon zurückgibst, und dann nicht einmal denen, die du geschädigt hast, sondern ganz anderen? Welche Nachsicht darfst du da erwarten? Welche Hoffnung auf Seligkeit bleibt dir da? Willst du sehen, wie böse du handelst, wenn du solche Almosen spendest? Höre, was die Schrift sagt: „Wer Opfer darbringt vom Gute der Armen, gleicht dem, welcher einen Sohn opfert vor dem Angesichte seines eigenen Vaters“7 . Wir wollen also nicht hinweggehen S. d753 ohne uns diese Drohung ins Herz einzuprägen; ja schreiben wir sie an die Wände, auf die Hände, ins Gewissen, überallhin, damit wenigstens diese Furcht in unseren Herzen wurzle und unsere Hände von solch täglichem Morden abhalte. Denn der Raub, der den Armen ganz allmählich umbringt, ist noch schlimmer als Mord. Um uns also von dieser Seuche zu befreien, wollen wir das Gesagte wohl beherzigen, sowohl für uns als auch anderen gegenüber. Dann werden wir geneigter sein zur Mildtätigkeit, werden den lauteren Lohn dafür erhalten und die ewigen Güter erlangen durch die Gnade und Güte unseres Herrn Jesus Christus, dem die Ehre und die Macht sei mit dem Vater und dem Heiligen Geiste jetzt und immer und in alle Ewigkeit. Amen!


  1. Lk 6,36 ↩

  2. das tut man nur beim Spielen ↩

  3. die kleinste Geldmünze ↩

  4. die größte Geldeinheit ↩

  5. Ex 22,1 ↩

  6. Lk 19,8 ↩

  7. Eccl.34,24 ↩

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