5. Cap. Die Frage über die Echtheit der Evangelien überhaupt wird durch das Zeugnis der von den Aposteln gegründeten Kirchen entschieden, die wissen mussten, ob eine Schrift von einem Apostel herrühre oder nicht. Die Richtigkeit der betreffenden Tradition wird durch die ununterbrochene rechtmässige Succession der Bischöfe bezeugt. Auf diese Weise aber lässt sich ebensowohl die Apostolizität der drei anderen Evangelien und der Apokalypse als die desLukas-Evangeliums darthun.
In Summa, wenn es feststeht, dass das Frühere das echte sei, das aber, was von Anfang da war, das Früheste und eben das, was von den Aposteln herrührte, das Uranfängliche, so wird mit gleicher Sicherheit jedenfalls der Satz feststehen: was in den Kirchengemeinden der Apostel als heilig und unantastbar gegolten hat, sei dasselbe mit dem, was von den Aposteln gelehrt wurde. Sehen wir zu, welches die Milch war, die Paulus den Korinthern zum Trank darbot, welches die Regel, nach der S. 263 die Galater corrigiert wurden, wie die Philipper, Thessalonicher und Epheser lasen und was ganz in unserer Nähe die Römer sagen, denen Petrus und Paulus das Evangelium mit ihrem Blute unterschrieben hinterlassen haben. Wir haben auch Tochterkirchen des Johannes. Denn obgleich Marcion dessen Apokalypse verwirft, so steht doch die Reihenfolge der Bischöfe, die bis auf den Ursprung derselben zurückgeht, für Johannes als den Verfasser.1 In derselben Weise bewährt sich auch die edle Abstammung der übrigen Kirchen.
Ich behaupte also, bei den genannten, und nicht bloss bei den eigentlich apostolischen, sondern bei allen Kirchen, die damit durch Glaubensgemeinschaft verbunden sind, stehe dasjenige Evangelium vom ersten Augenblick seines Erscheinens an als das des Lukas da, welches wir als solches verteidigen, das Evangelium des Marcion hingegen sei den meisten gar nicht bekannt, von allen aber, die es kannten, verworfen worden. Er hat allerdings auch seine Kirchengemeinden, aber seine aparten, später entstandenen und gefälschten, und wenn man ihrem Ursprung nachgeht, so wird man finden, dass derselbe ein apostatischer, aber kein apostolischer sei, indem Marcion oder einer von seinem Schwarme ihr Gründer war. Auch die Wespen machen Honigwaben, auch die Marcioniten stiften Kirchengemeinden.
Dieselbe Autorität seitens der apostolischen Kirchen wird auch den übrigen Evangelien zu gute kommen, nämlich denen des Johannes und Matthäus, wenn auch das, was Markus herausgegeben, für das des Petrus angesehen wird, dessen Dolmetscher Markus war. Pflegt man doch auch den Bericht des Lukas dem Paulus zuzuschreiben. Es geht recht wohl an, dass man als den Lehrern zugehörig ansieht, was die Schüler veröffentlicht haben. Daher muss man auch hinsichtlich ihrer dem Marcion auf den Fersen sitzen, warum er sich mit Beiseitesetzung derselben lieber an Lukas hält, als hätten sie in den Kirchen nicht ebensogut wie das des Lukas von Anfang an existiert. Ja, es ist sogar glaublich, dass sie ganz von allem Anfang an existierten, weil sie, als von den Aposteln selbst geschrieben, noch früher da waren und weil sie mit den Kirchengemeinden zugleich entstanden. Was sollte man dazu sagen, wenn die Apostel nichts und ihre Schüler dafür desto mehr herausgaben, da die letztern doch ohne den Unterricht ihrer Lehrer nicht einmal Schüler hätten sein können. Wenn also feststeht, dass diese Evangelien in den Kirchen vorhanden waren, warum hat Marcion nicht auch nach ihnen gegriffen, um sie zu verbessern, wenn sie verfälscht waren, oder um sie anzuerkennen, wenn sie echt waren? Denn es ist selbstverständlich, wenn es Leute gab, die ein Evangelium verfälschten, so würden sie sich die Verfälschung der andern, deren Ansehen ihnen allgemein bekannt war, S. 264 noch mehr haben angelegen sein lassen. Darum sind sie eben Pseudo-Apostel, weil sie es fälschlich den Aposteln nachthaten.
In demselben Maasse also, wie Marcion das zu Verbessernde, wenn es wirklich verderbt war, verbessert haben würde, in demselben Maasse bestätigt er als Thatsache, dass das, was er nicht der Verbesserung für bedürftig gehalten hat, auch nicht verderbt war. Er hat also verbessert, was er als verderbt ansah. Aber auch das nicht einmal mit Recht, denn es war nicht verderbt. Denn wenn sich die Evangelien der Apostel unverkümmert forterhielten, das des Lukas aber, wie es sich bei uns findet, in bezug auf die Glaubensregel mit den andern so vollständig übereinstimmt, dass es sich mit ihnen zusammen in den Kirchengemeinden forterhält, so steht fest, dass auch das Evangelium des Lukas unverkümmert fortbestanden hat bis zu der sakrilegischen Handlung des Marcion. Dann erst, als er Hand daran legte, traten an ihm Abweichungen und Gegensätze gegen die Schriften der Apostel zu Tage. Ich möchte daher seinen Schülern den Rat geben, auch letztere noch, wenn auch etwas spät, nach der Form des ihrigen umzugestalten, damit es aussehe, als wenn sie sich mit den apostolischen Evangelien in Übereinstimmung befänden, — denn sie gestalten ja auch täglich das ihrige um, je nach dem sie von uns gerade widerlegt werden. Oder aber sie sollten sich eines Meisters schämen, der in beiden Beziehungen überführt ist, einmal das echte Evangelium wissentlich bei Seite geschoben, das andere Mal es in unverschämter Weise vernichtet zu haben.
Das ist so ungefähr das abgekürzte Verfahren, dessen wir uns bedienen, wenn wir für die Glaubwürdigkeit des Evangeliums gegen die Häretiker auftreten und aufrecht erhalten, einerseits dass die Zeitfolge gegen die Fälscher als die späteren präskribiere, andererseits dass die Autorität der Kirchengemeinden auf Seiten der Lehre der Apostel stehe. Denn das Echte muss notwendig dem Gefälschten vorangehen und von denen ausgehen, von welchen es gelehrt worden ist.
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Vergl. Apok c. 2 und 3. Von den Prozesseinreden c. 36. ↩
