Vorwort (1—3).
S. 49 Jeder treue Verwalter des Neuen Testamentes, in dem Christus selbst spricht, heiliger Vater Felicianus,1 richtet, um durch sein Beispiel andere leicht zum Glauben an seine Worte zu bringen, sein Hauptstreben auf gute Werke; und was er anderen als Pflicht auferlegt, tut er zuerst selbst. Denn alle Anstrengung im Lehramt bliebe ohne Erfolg, wenn er nicht einen unbescholtenen Lebenswandel führte.
Zwei Eigenschaften also müssen von den Lehrern der katholischen Kirche verlangt werden: frommes Leben und rechte Lehre. Ein tugendhaftes Leben nämlich gereicht dem weisen Lehrer zur Empfehlung, rechte Lehre den Heiligen zur Zierde. Ein heiliges Leben macht liebenswert, rechte Lehre lobenswert. Frommes Leben treibt stets zur Nachahmung an, reine Lehre schützt vor Verachtung. Frommer Wandel bietet Sicherheit gegen Verleumdung, rechte Lehre behauptet sich gegen Widerspruch.
Schon lange dachte ich an den Ruhm und die Heiligkeit deines Vorgängers, unseres gemeinsamen geistigen Nährvaters, des heiligen Bischofs Fulgentius; und so oft die Gestalt des herrlichen Lehrers vor meinen geistigen Augen stand, ergriff mich Schmerz bei dem Gedanken, daß die Völker Afrikas den Trost eines so bedeutenden Mannes entbehren müssen. Und wenn auch jener zum Genuß der himmlischen Freuden in die bessere Heimat ging, so seufze doch ich, der ich seine Weisheit so genau S. 50 kannte, unaufhörlich darüber, daß unserer Gegenwart ein ähnlicher Lehrer versagt ist.
Freilich fand ich eine gewisse Linderung in meiner schmerzvollen Erinnerung, wenn ich seine herrlichen Bücher oder Briefe oder seine Predigten an das Volk las oder andere sie vorlesen hörte. Schweigend bedachte ich bei mir, wie jene herrlichen Bücher von dem Geist und der Weisheit des Mannes Zeugnis ablegen; auch zweifelte ich nicht daran, daß seine Gerechtigkeit, sein biederes Wesen, sein liebevoller Verkehr mit seinen Bekannten, den du ja so gut kennst, der Einklang zwischen seiner Lehre und seinem Leben sehr vielen bekannt ist; aber andererseits fühlte ich, daß die meisten davon nichts wissen. Für die Zukunft aber fürchtete ich von Tag zu Tag mehr, sein Tugendleben werde in Vergessenheit geraten.
Nach langem Nachdenken also sagte ich mir: Siehe, die reine Lehre des seligen Fulgentius strahlt in hellem Glanz; denn seine Bücher werden von allen gelesen; er spricht gleichsam selbst, wenn ein Buch, das seinen Namen trägt, gelesen wird. Was aber soll geschehen, damit auch sein frommes Leben in gleicher Weise allen bekannt wird? Solange die noch am Leben sind, die ihn gekannt oder aus dem Munde zuverlässiger Zeugen von seinem Tugendleben vernommen haben, wird das jetzt lebende Geschlecht vollgültiges Zeugnis für ihn ablegen. Was aber wird die kommende Generation machen, was die weit entfernt, jenseits des Meeres wohnende Menge der Gläubigen? Wenn sie mit den Schriften bekannt werden, in denen der selige Bischof in seiner Abwesenheit spricht und im Tode noch lebt, werden sie gewiß seine Weisheit bewundern; wie aber sollen sie seine Heiligkeit kennen lernen? Wie also seine Lehre berühmt ist, so soll sein Leben noch berühmter werden. Laßt uns reden und unseren Brüdern erzählen, welches Leben dieser große Bischof geführt hat! Ich brauche nicht zu fürchten, daß ich den Priester, der in allen Kirchen der Welt sich S. 51 einen Ehrennamen erworben hat, durch meine zu geringe Beredsamkeit verkleinere. Welches Verdienst meine Erzählung auch haben mag, sie wird die Verdienste eines so bedeutenden Mannes weder zu vermehren noch zu vermindern imstande sein. Sie sei nur ein Beweis meiner Liebe, mit der ich ihm ja stets anzuhängen strebte, der mich mit seinen heilsamen Ermahnungen zur Anlegung des Mönchsgewandes bewogen hat in jenem kleinen Kloster, das er in seiner Verbannung um Christi willen auf Sardinien erbaut hat, in dem du bereits als Priester wohntest, in dem ich Tag und Nacht unter seinen Augen lebte und mich so oft die Ströme seiner himmlischen Beredsamkeit, lieblicher als Honig und Honigseim, erfrischten, und, wenn nicht die Dürre unseres trockenen Geistes es gehindert, das Erdreich unseres Herzens hundertfache Frucht getragen hätte. Aber ich Unwürdiger vermochte kaum einen geringen Anteil an dieser reichen Fülle zu erlangen. Im Vertrauen jedoch auf dein Gebet, ehrwürdiger Vater, habe ich mich der Mühe der vorliegenden Arbeit unterziehen wollen. In ihr werde ich in Kürze alles darlegen, was er uns mündlich erzählte, was wir selbst mit unseren Augen sahen und als seine Schüler wohl wissen, wie es geschah, ohne Furcht, der Fälschung bezichtigt zu werden, da dir, greiser Vater, ja alles bekannt ist. Denn ich sage nichts, was du nicht wüßtest, sondern meine schlichte Darstellung soll vielmehr durch dein Zeugnis ihre Bekräftigung erhalten. S. 52
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Felicianus ist uns bekannt als Teilnehmer an dem Konzil, das im Jahre 534 in Karthago gehalten wurde. Er beantragte dort, die Beziehungen zwischen dem von Fulgentius in Ruspe gegründeten Kloster und dem Bischof zu regeln. ↩