1.
VII. Rede1.
Trauerrede auf Cäsarius2, seinen Bruder; zu Lebzeiten der Eltern.
Ihr Freunde, Brüder, Väter, liebwerte Personen und Namen, ihr meint vielleicht, daß ich, dem Verstorbenen Tränen und Klagen weihend, voreilig das Wort ergreife oder eine lange, kunstvolle Rede, wie sie die meisten wünschen, halten werde. Zum Teil habt ihr euch angeschickt, mit mir zu trauern und zu weinen, in meinem Leid euer eigenes, sofern ihr solches erlitten S. 211 habt, zu beklagen und im Schmerze des Freundes das Leid zu ergründen; zum Teil aber wollt ihr euch Ohrenschmaus verschaffen und euch ergötzen in der Meinung, ein Unglück müsse uns Anlaß sein, uns hervorzutun. Einst war es allerdings so, als wir u. a. noch gar sehr am Irdischen hingen und als Redner uns auszeichnen wollten, als wir noch nicht zu dem wahren, idealen Worte aufblickten, noch nicht Gott, von dem alles kommt, alles gaben, um für alles Gott zu erhalten. Wollt ihr eine richtige Meinung über uns gewinnen, dann dürft ihr doch nicht solchen Argwohn hegen! Wir werden nicht über das Maß hinaus den Verstorbenen beklagen, da wir ja auch von anderen nicht wünschen, daß sie es so machen. Wir werden aber auch nicht über Maß und Gebühr Lob spenden, obwohl für den Gebildeten3 das Wort und für den, der in besonderer Liebe an meinem Worte hing, die schöne Rede mehr als sonst etwas eine teure, sehr passende Gabe ist ― ja nicht bloß eine Gabe, sondern geradezu die allernotwendigste Pflicht. Durch Tränen und Bewunderung genügen wir den Forderungen des Gesetzes. Dies widerspricht nämlich nicht unserer Weltanschauung; denn „das Andenken der Gerechten sei in Ehren4“ und ― so heißt es ― „um eines Toten willen vergieße Tränen und weine, da du Schlimmes erduldet hast5!“ Doch halten wir uns ebenso frei von übergroßem Schmerze wie von Gefühllosigkeit. Wir verweisen sodann auf die Schwäche der menschlichen Natur, erinnern an die Würde der Seele, trösten, wie es sich gebührt, die Trauernden und lenken den Schmerz vom Fleischlichen und Vergänglichen auf das Geistige und Ewige.
-
Die Rede ist gehalten Ende 368 oder Anfang 369. ― Sonderausgaben dieser Rede besorgten: E. Sommer (Paris 1860 u. ö.), Quentier (Paris 1880), F. Boulenger (Paris 1908). ↩
-
Cäsarius war unter Konstantius und Julian Arzt am Hofe zu Konstantinopel, unter Valens Finanzbeamter in Nicäa. Als er sich ins Privatleben zurückziehen wollte, wurde er vom Tode überrascht. ↩
-
λόγιος [logios]. ↩
-
Sprichw. 10, 7. ↩
-
Sir. 38, 16. ↩