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Aber die Veränderlichkeit unseres Körpers, sagt man, bedeutet einen Zustand des Leidens; und wer immer einen solchen Körper hat, befindet sich auch in einem Leidenszustand, die Gottheit aber ist leidenslos; eine Gottes unwürdige Annahme ist es daher, wenn man meint, der von Natur aus Leidenslose habe sich in eine Verbindung mit dem Leiden eingelassen. ― Doch auch gegen diesen Einwurf können wir uns des nämlichen Vernunftgrundes bedienen, nämlich des Umstandes, daß man Leiden bald im eigentlichen Sinne nimmt, bald im uneigentlichen. Was sich nun des freien Willens bemächtigt, um ihn vom Guten zum Bösen zu verführen, all das bringt ein wahres und eigentliches Leiden mit sich; alles in unserer Natur aber, was nach bestimmten Gesetzen seinen regelmäßigen Verlauf nimmt, das dürfte man eher ein Tätigsein nennen als ein Leiden oder Dulden; dazu gehört z. B. die Geburt, das Wachstum, die Erhaltung des Subjekts durch die Nahrung, welche aufgenommen, aber auch wieder ausgeschieden wird, ebenso die Vereinigung der Elemente zum Aufbau des Ganzen, desgleichen der Zerfall des Leibes in S. 37 seine Bestandteile und die darauf folgende Rückkehr derselben in verwandte Stoffe. Womit läßt nun das Geheimnis unseres Glaubens die Gottheit in Verbindung treten? Etwa mit dem wahren und eigentlichen Leiden, oder aber nur mit der naturgemäßen Entwicklung? Würde nämlich die Behauptung vertreten, die Gottheit sei sündhaft geworden, so müßte man ein solch alberne Verkündigung ablehnen, weil sie nichts Vernünftiges über Gott verbreiten würde. Wenn dagegen die Verkündigung dahin geht, er habe die menschliche Natur angenommen, deren Entstehen und Bestehen von ihm ausging, wo verstößt sie alsdann gegen den würdigen Begriff von Gott, da doch dadurch auch vom Glauben kein Leidenszustand in den Gottesbegriff hineingetragen wird? Denn auch vom Arzte sagen wir keineswegs, er verfalle in Krankheit, wenn er Kranke heilt, vielmehr bleibt der Arzt, selbst wenn er den kranken Körperteil berührt, frei von Krankheit.