1.
Als Gott unsere menschliche Natur annahm, war es durchaus notwendig, daß er diese Vereinigung mit ihr bis in alle Eigentümlichkeiten derselben durchführte. Denn wie die Kleiderreiniger nicht den einen Teil der S. 55 Flecken beseitigen, den anderen aber nicht, sondern das Kleid vom Anfang bis zum Ende von allen Unsauberkeiten reinigen, damit das ganze Gewand nach der Waschung wieder sauber und schön sei, so mußte auch, weil nun einmal das menschliche Leben sowohl in seinem Anfang als auch in seinem Ende und in allem, was dazwischen liegt, durch die Sünde befleckt war, die reinigende Macht Gottes sich auf alles erstrecken und nicht bloß den einen Teil durch Reinigung heilen, den anderen aber ungeheilt lassen. Weil nun das menschliche Leben von zwei Grenzen eingeschlossen wird, d. h. vom Anfang und vom Ende, so finden wir jene reinigende Macht an jeder der beiden Grenzen tätig, indem sie mit dem Anfang beginnt, bis zum Ende sich erstreckt, aber auch noch alles durchschreitet, was dazwischen liegt.
Da aber der Eintritt in das Leben für alle Menschen ein und derselbe ist, von woher nun mußte der zu uns Kommende ins Leben eintreten? Vom Himmel aus ― werden alle antworten, welche die Art und Weise der menschlichen Geburt als schmählich und gemein verabscheuen. Allein der Mensch war nicht im Himmel, und im überirdischen Leben kennt man auch nicht die Krankheit der Sünde. Als er sich aber mit der Menschheit vereinigte, vollzog er die Vereinigung, um der Menschheit zu helfen. Wie kann man sich also der Erwartung hingeben, von dort aus, wo doch die Sünde keinen Platz hatte, und wo das Leben nicht nach Art der Menschen geführt wurde, würde Gott seine Verbindung mit dem Menschen anknüpfen, oder, richtiger gesagt, nicht mit einem wahren Menschen, sondern mit einem Schein- oder Nachbild eines Menschen? Wie hätte aber dann die Wiederherstellung unserer menschlichen Natur stattfinden können, wenn zwar der irdische Mensch erkrankt gewesen, aber ein himmlisches Lebewesen in die Verbindung mit Gott eingegangen wäre? Ist es doch unmöglich, daß der Kranke genese, wenn nicht gerade jener Körperteil von ihm in Kur genommen wird, der leidet. Wenn nun der Kranke auf Erden weilte, die göttliche Macht aber im Hinblick auf die ihr geziemende Zurückhaltung sich nicht mit dem Kranken befaßt hätte, so wäre daraus für den Menschen kein Gewinn erwachsen, wenngleich die S. 56 Bemühung der göttlichen Macht um andere Geschöpfe noch so groß gewesen wäre, die aber nicht in Verwandtschaft mit unserer Natur stehen. Die Frage aber, ob für Gott geziemend oder nicht geziemend, ist für alle seine Werke in gleicher Weise dahin zu beantworten, daß einzig und allein das Böse für ihn als ungeziemend und unstatthaft zu betrachten ist.