2.
Dies alles sagt aber Christus, um sowohl die S. d511 Kinder mannhaft zu machen, als die Väter milder zu stimmen, die jenen etwa zum Hindernis werden sollten. Wenn sie nämlich hörten, er besitze so große Macht und Autorität, dass er selbst ihre Kinder von ihnen trennen könne, falls sie etwa Unmögliches von ihnen verlangten, so durfte er wohl erwarten, dass sie davon abstehen würden. Deshalb übergeht er auch zunächst sie und wendet sich an jene, gibt aber den ersteren damit die Lehre, nichts Unerlaubtes von ihren Kindern zu verlangen, weil es ein aussichtsloses Unterfangen wäre. Damit sie aber darüber nicht unwillig würden und erzürnten, so beachte, wie er mit seiner Rede weiterfährt. Zu den Worten: „Wer nicht hasst Vater und Mutter“, fügt er noch hinzu: „und seine eigene Seele“. Was redest du mir, will er sagen, von den Eltern, den Brüdern, den Schwestern und der Frau? Nichts steht irgend jemand näher als die eigene Seele. Was redest du mir, will er sagen, von den Eltern, den Brüdern, den Schwestern und der Frau? Nichts steht irgend jemand näher als die eigene Seele. Wenn du aber nicht auch sie hassest, so wirst du trotzdem in allem das Gegenteil erfahren von dem, was du für sie wünschtest. Doch befahl der Herr auch sie nicht bloß so einfachhin zu hassen, sondern so, dass man sogar bereit ist, sie dem Krieg und dem Kampf zu überantworten, dem Tode und blutigem Morde. “Denn wer nicht sein Kreuz trägt und mir nachfolgt, kann nicht mein Jünger sein." Auch sagt er nicht einfach, man müsste auf den Tod gefasst sein, sondern sogar auf einen gewaltsamen Tod, und nicht bloß auf einen gewaltsamen, sondern selbst auf einen schimpflichen Tod. Der Herr sagt da noch kein Wort von seinem eigenen Leiden, damit die Jünger zunächst über diesen Punkt unterrichtet wären und dann um so leichter das aufnähmen, was er über das andere zu sagen hätte. Muß man sich also da nicht billig wundern, dass den Jüngern beim Anhören dieser Reden nicht gleichsam die Seele aus dem Leibe entfloh, da sie doch alles dessen, was betrübend und unheilvoll war, schon ganz sicher waren, das Gute und Angenehme aber nur erst erhoffen konnten? Woher kam es also, dass sie nicht ganz den Mut verloren? Von der großen Macht dessen, der redete, und der großen Liebe derer, die ihm zuhörten. Obwohl sie also viel schwerere und entsetzlichere Dinge zu hören bekamen als jene großen S. d512 Männer, wie Moses und Jeremias, so blieben sie doch gehorsam und widersprachen nicht.
V.39: “Wer seine Seele findet, wird sie verlieren, und wer seine Seele um meinetwillen verliert, wird sie finden.„
Siehst du, welches Verderben denen droht, die nicht in rechtmäßiger Weise1 lieben? Welcher Lohn diejenigen erwarten, die da2 hassen? Es war ja schwer, was er verlangte; er befahl ihnen, gegen die Eltern, die Kinder, die Natur, die Verwandten, die ganze Welt, ja gegen die eigene Seele sich zum Kampf zu rüsten. Deshalb stellt er ihnen aber auch den überaus großen Lohn vor Augen. Denn, sagt er, das alles wird euch nicht nur keinen Schaden bringen, sondern im Gegenteil überaus nützlich sein; nur das Gegenteil würde euch schaden. So macht es der Herr überall; er knüpft seine Reden an das an, wonach die Menschen ein besonderes Verlangen haben. Oder weshalb sollst du denn deine Seele nicht hassen? Weil du sie liebst? Gerade deshalb verachte sie, dann wirst du ihr am meisten nützen und wirst zeigen, dass du die wahre Liebe besitzest. Beachte auch die unaussprechliche Einsicht. Nicht bloß die Eltern hat er bei seiner Rede im Auge, nicht bloß die Kinder, sondern sogar das, was einem jeden näher steht als alles andere, die Seele, er will eben, dass die Jünger von seinen Worten vollkommen überzeugt wären, und das Bewusstsein hätten, dass sie auf diese Weise auch jenen am meisten nützten3 , da ja dies auch bei der Seele der Fall ist, die uns doch von allen Dingen am nächsten steht. Das alles trug also dazu bei, die Menschen zur Aufnahme derer geneigt zu machen, die für sie in geistiger Weise Sorge tragen sollten. Denn wer wollte nicht mit der größten Bereitwilligkeit Leute aufnehmen, die so edel und gut waren, dass sie gleich Löwen den ganzen Erdkreis durcheilten und, ihr eigenes Wohl vollständig vergessend, nur an die Rettung anderer dachten? Gleichwohl verheißt der Herr denen, die solche Gastfreundschaft üben, auch noch einen anderen Lohn, indem er zeigt, dass er in diesem Punkte mehr für die S. d513 Aufnehmenden als für die Aufgenommenen bedacht ist. So verheißt er den ersten Lohn mit den Worten:
V.40: “Wer euch aufnimmt, nimmt mich auf; und wer mich aufnimmt, nimmt den auf, der mich gesandt hat."
Was gäbe es da wohl Ehrenvolleres, als den Vater und den Sohn aufnehmen zu dürfen? Der Herr kündigt ihnen aber dazu noch einen anderen Lohn an:
V.41: “Denn", sagt er, "wer einen Propheten als einen Propheten aufnimmt, der wird den Lohn für den Propheten erhalten; und wer einen Gerechten als Gerechten aufnimmt, wird den Lohn des Gerechten empfangen.“
An einer früheren Stelle hat er diejenigen mit der Strafe bedroht, die die Aufnahme verweigern würden; hier gibt er auch das Maß der Belohnung an. Und damit du sehest, dass die Gastgeber ihm mehr am Herzen liegen, sagt er nicht einfachhin: „Wer einen Propheten aufnimmt“, oder: „Wer einen Gerechten aufnimmt“, sondern fügt hinzu: „Im Namen eines Propheten“ und „Im Namen eines Gerechten.“ Das heißt, wenn er ihn nicht aus weltlichen Beweggründen, noch aus sonst einer wichtigen Ursache aufnimmt, sondern weil er ein Prophet ist oder ein Gerechter, so wird er den Lohn eines Propheten oder Gerechten erlangen, sei es den Lohn, der demjenigen gebührt, der einen Propheten oder einen Gerechten aufnimmt, sei es der Lohn, der jenen selbst vorbehalten ist. Dasselbe sagt auch der hl. Paulus: „Euer Überfluss komme der Dürftigkeit jener zugute, damit auch deren Überfluss eurer Dürftigkeit zu Hilfe komme“4 . Damit sodann niemand die Armut als Vorwand gebrauche, sagt er:
V.42: „Oder wer immer einen dieser Geringen einen Becher kalten Wassers reicht, weil er mein Jünger ist, wahrlich, ich sage euch, er wird seinen Lohn nicht verlieren.“
Ja, wenn du auch nur einen Becher kalten Wassers reichst, der dich gar nichts kostet, so ist dir auch dafür dein Lohn gesichert. Denn für euch, die ihr meine Jünger aufnehmet, tue ich alles.