3.
Sodann richtet der göttliche Heiland seine Worte an die Stadt, um auch auf diese Weise seine Zuhörer zu belehren. Er sagt:
V. 37: "Jerusalem, Jerusalem!"
Was soll die Wiederholung? Das ist ein Zeichen des Mitleides, ein Ausdruck der Klage und seiner großen Liebe. Wie zu einer Heißgeliebten, die den Liebhaber verschmäht und deshalb Rache zu fürchten hat, so redet er zur Stadt, um sich zu rechtfertigen, dass er mit Strafe gegen sie vorgehen muss. So tut er es auch in den Propheten, wo er sagt: "Ich sprach: Kehre zurück zu mir, und sie kehrte nicht zurück"1 . Nachdem also der Herr die Stadt in dieser Weise angeredet, zählt er ihre Schandtaten auf:
V. 37: "Du tötest die Propheten und steinigst diejenigen, welche an dich gesandt worden; wie oft wollte ich deine Kinder versammeln und ihr habt nicht gewollt."
Auch in diesen Worten rechtfertigt er seine Handlungsweise. Trotz deiner Untaten habe ich mein Wohlwollen dir nicht entzogen oder mich von dir gewandt; ich wollte dich dennoch, und nicht bloß ein oder zweimal, sondern oft an mich ziehen. "Wie oft wollte ich eure Kinder versammeln, wie eine Henne ihre Jungen sammelt, und ihr habt nicht gewollt.“ In diesen Worten legt er dar, dass sie sich infolge ihrer Sünden immer wieder zerstreuten. Das Bild aber kennzeichnet trefflich sein Liebeswerben. Die Henne hat nämlich eine äußerst zärtliche Liebe zu den Jungen. Darum befindet sich dasselbe Bild bei allen Propheten, z. B. im Gesange des Moses und in den Psalmen; es eignet sich aber wie kein zweites zum Ausdruck besonderer Pflege und Fürsorge. - "Aber ihr habt nicht gewollt", sagt er.
V.38: "Siehe, euer Haus wird euch verödet gelassen",
d. h. meines Schutzes entblößt. Er ist es also gewesen, der sie zuvor regierte, einigte und schützte, er ist es also auch, der sie jedesmal straft. Damit wird Ihnen eine Strafe in Aussicht gestellt, die sie immer außerordentlich fürchteten, nämlich, dass ihr ganzer Staat untergehen werde.
V.39: "Denn ich sage euch: Nimmer werdet ihr mich sehen von nun an, bis ihr sprecht: Hochgelobt, der da kommt im Namen des Herrn."
In diesen Worten drückt sich ebenfalls eine innige Liebe aus die sie durch Hinweis auf die Zukunft an sich fesseln, nicht bloß durch die Vergangenheit ermahnen will. Er spricht hier nämlich von dem bevorstehenden Tage seiner zweiten Ankunft. Wie also? Sollen sie ihn von jetzt an nicht mehr sehen? Nicht doch; die Worte: "von nun an" bezeichnen nicht allein den Augenblick, in dem er gerade sprach, sondern die ganze Zeit bis zu seinem Kreuzestode.
Weil sie ihm immer vorwarfen, er sei ein Gegner und Feind Gottes, sucht er sie dadurch zu bewegen, ihn zu lieben, dass er zeigt, wie er mit dem Vater eins ist, dass er derjenige sei, den die Propheten vorherverkündigten. Daher bedient er sich auch derselben Worte wie der Prophet. In diesem Worten nun spielt er auf seine Auferstehung und seine zweite Ankunft an; zugleich aber enthüllt er denen, die durchaus nicht an ihn glauben wollten, dass sie ihn dann gewiss anbeten würden. Inwiefern offenbart er dies? Durch zahlreiche Weissagungen: dass er Propheten senden wird; dass man dieselben umbringen wird, und zwar in den Synagogen; dass man sie fürchterlich misshandeln wird; dass ihr Haus verödet stehen wird; dass das entsetzlichste Elend, wie es zuvor nie dagewesen, über sie hereinbrechen wird. Alle diese Weissagungen mussten auch einen ganz Verbohrten und Hartnäckigen überzeugen, dass Jesus wiederkommen werde. Ich brauche bloß einen Juden zu fragen: Hat er Propheten und Weise gesandt? Hat man sie in den Synagogen ermordet? Steht ihr Haus nicht S. d1062 verödet? Sind nicht alle diese Strafgerichte über sie gekommen? Ganz gewiss wird es niemand in Abrede stellen. Wie nun alles das eingetreten ist, so wird auch das andere in Erfüllung gehen, und sie werden sich dann unbedingt vor ihm beugen. Nur wird es ihnen dann nicht mehr zur Rechtfertigung dienen, wie es denen auch nichts nützte, die erst ob der Zerstörung des Reiches in sich gingen.
Lasset uns darum das Gute tun, solange es noch Zeit ist. Gleichwie die späte Erkenntnis den Juden nichts nützte, so wird es auch uns nichts nützen, wenn wir zu spät unsere Schlechtigkeit bereuen. Der Steuermann kann nicht mehr helfen, wenn das Schiff durch seine Nachlässigkeit bereits unter den Wogen versinkt, noch der Arzt, wenn der Kranke schon stirbt; beide müssen vielmehr, bevor es zu spät ist, alles aufbieten, um nicht in Gefahr zu geraten und sich Schande zuzuziehen; später hat alles keinen Wert mehr. So sollen auch wir, solange wir krank liegen, Ärzte rufen, Geld aufwenden und allseits Sorge tragen, um uns von dem Übel zu befreien und wieder zu gesunden. Dieselbe Sorgfalt, die wir unseren kranken Sklaven zukommen lassen, wollen wir auch uns zuwenden, wenn unsere Seele krank ist. Stehen wir uns doch selbst näher als unsere Diener, unsere Seele gehört uns weit mehr als der Leib eines Knechtes. Trotzdem bin ich aber schon zufrieden, wenn wir der Seele wenigstens die gleiche Fürsorge angedeihen lassen. Wenn wir das aber jetzt vernachlässigen, werden wir nach dem Tode nichts zu unserer Entschuldigung vorbringen können.
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Jer. 3,7 ↩