VIII.
Und wer mußte nicht wanken, nicht widerstreben, wenn er hörte: „Wer Haus und Heimath, Hab’ und Gut nicht verläßt, ist meiner nicht werth?“1 Allein sie wurden nicht nur nicht abgeschreckt, wiesen Das, was sie hörten, nicht nur nicht ab, sondern eilten herbei, stürzten sich in die Gefahren und beeiferten sich, diese Vorschriften zu erfüllen. Welchen der damaligen Zeitgenossen sollte es nicht abschrecken, wenn er den Ausspruch hörte, daß wir von jedem unnützen Worte werden Rechenschaft ablegen müssen; und: daß, wer ein Weib ansieht mit sinnlicher Begierde, mit Ihr einen Ehebruch begangen hat;2 und: daß, wer ohne Grund zürnet, der Hölle verfallt?3 Und doch eilten Alle berbei, und Viele thaten sogar mehr, als geboten war.4 Was zog sie also an? War es nicht offenbar die Kraft des Verkündeten? Wäre Das nicht so gewesen, sondern das Gegentheil, und wären die Apostel an der Stelle der Heiden, und diese an der Stelle jener gewesen: war es da leicht, die Widerstrebenden zu gewinnen und festzuhalten? Das läßt sich wohl nicht behaupten.
Daher leuchtet aus Allem hervor, daß da eine göttliche Kraft gewirkt hat; denn sage mir, wodurch sonst konnten sie die trägen, in Wollust zerfließenden Menschen für das harte und strenge Leben gewinnen? „Aber vielleicht war die Lehre darnach angethan?“ Schauen wir einmal, ob die Lehre etwas Anziehendes hatte. Ja diese allein genügte schon, die Ungläubigen zurückzuschrecken. Denn was lehrten S. 124 die Verkünder des Evangeliums? Daß man den Gekreuzigten anbeten und den von einem jüdischen Weibe Gebornen für Gott halten müsse. Wer würde ihnen wohl geglaubt baben, wenn nicht eine göttliche Kraft vorausgegangen wäre? Denn daß er gekreuzigt und begraben worden, hatten Alle gesehen; daß er aber auferstanden und gen Himmel gefahren, hatte ausser den Aposteln Niemand gesehen.
„Allein“, heißt es, „sie rissen die Menschen durch ihre Verheissungen hin und täuschten sie durch erhabene Worte.“ Gerade Das aber zeigt am meisten, daß unser Glaube keine Täuschung ist; denn hienieden brachte er alles Unangenehme mit sich, das Angenehme aber verhieß er erst nach der Auferstehung; somit, ich wiederhole es noch einmal, beweist eben Dieses, daß unsere Lehre göttlich ist. Denn warum sagte denn Keiner der Glaubenden: „Ich stimme nicht bei, ich kann Das nicht annehmen: die Leiden drohst du mir hier auf Erden, und das Gute verheissest du mir nach der Auferstehung? Woher kann ich denn erkennen, daß es eine Auferstehung geben wird? Wer von den Abgeschiedenen ist denn zurückgekommen? Wer von den Begrabenen ist denn auferstanden? Wer von ihnen hat denn gesagt, was nach dem Hinscheiden geschieht?“ Aber sie dachten an nichts Dergleichen und gaben selbst ihr Leben für den Gekreuzigten hin. Also gerade Das war ein Beweis einer großen Kraft, Menschen, welche nie etwas Solches gehört hatten, von so erhabenen Dingen zu überzeugen und sie zu vermögen, daß sie das Unangenehme wirklich ertrugen, das Gute aber erst abwarteten. Hätten die Apostel täuschen wollen, so würden sie würden das Gute als etwas hier zu Genießendes verheissen und das Schreckliche, sowohl das gegenwärtige als das zukünftige, mit Stillschweigen übergangen haben. Denn so machen es die Betrüger und Schmeichler: nichts Hartes, nichts Lästiges, nichts Beschwerliches stellen sie vor. Das ist dann Täuschung.
S. 125 „Aber“, heißt es, „die Thorheit des großen Haufens war Ursache, daß man ihren Worten Glauben schenkte.“ Was sagst du? Waren sie, solange sie unter den Heiden lebten, keine Thoren, und sind sie erst Thoren geworden, als sie zu uns übergingen? Nahmen ja doch die Apostel keine andern Menschen, und aus keiner andern Welt her, um sie zu belehren. In der heidnischen Religion konnten sie ruhig fortleben; die unsrige aber nahmen sie mit Gefahr an; hätten sie also für die Beibehaltung der heidnischen triftigere Gründe gehabt, so würden sie, nachdem sie so lange darin gelebt, dieselbe nicht verlassen baben, besonders da der Abfall nicht ohne Gefahr war. Weil sie aber aus der Natur der Sache erkannten, daß jene falsch und lächerlich sei, darum verließen sie, auch mit Todesgefahr, das Gewohnte und gingen zum Neuen über, da dessen Lehren naturgemäß sind, jene hingegen widernatürlich.
„Aber Diejenigen, welche von den Apostel überzeugt wurden,“ heißt es, „waren Sklaven, Weiber, Ammen, Wehmütter, Eunuchen.“ Für’s Erste ist es Allen bekannt, daß die Kirche nicht bloß aus Solchen bestand. Wäre aber Das auch der Fall gewesen, so würde auch Dieses wieder die wunderbare Kraft der Predigt besonders beweisen, da die unwissendste Menschenklasse durch die Fischer auf einmal zur Annahme solcher Lehren überredet werden konnte, welche Platon und seine Zeitgenossen nicht zu ergründen vermochten. Es wäre nicht so wunderbar gewesen, wenn sie nur gebildete Leute überzeugt hätten: dadurch aber, daß sie Sklaven, Ammen und Eunuchen zu einer solchen Reinheit des Wandels führten, daß sie mit den Engeln wetteiferten, lieferten sie den stärksten Beweis von der Mitwirkung des göttlichen Geistes. Denn hätten sie ihnen nur etwas Leichtes vorgeschrieben, so dürfte man wohl denken, ihre Überredungsgabe hätte zur Empfehlung des Gesagten beigetragen; da sie aber wichtige, erhabene und fast übermenschliche Lehren, die einen hohen Geist erfordern, vortrugen, so folgt daraus, daß die Überredenden um so weiser und voll der göttlichen S. 126 Gnade gewesen, je größer die Thorheit der Glaubenden war.
„Aber“, wendet man ein, „die Apostel überredeten sie durch die Größe der Verheissungen.“ Sage mir, wundert dich nicht gerade Das, wie sie doch Jene zu bereden vermochten, den Kampfpreis und die Belohnungen erst nach dem Tode zu erwarten? Ich einmal staune eben hierüber.
„Auch Das geschah“, heißt es, „aus Thorheit.“ Sage mir: welche Thorheit enthalten denn diese Lehren: daß die Seele unsterblich ist, daß ein unerbittliches Gericht nach diesem Leben auf uns wartet, daß wir vor Gott, der das Verborgene durchschaut, werden Rechenschaft ablegen müssen über Gedanken, Worte und Werke, daß wir sehen werden, wie die Bösen bestraft, die Guten hingegen belohnt werden? Darin liegt keine Thorheit, sondern die größte Weisheit.
