Vierter Artikel. Der Unterschied zwischen den Hierarchien und Chören der Engel kommt von ihrer Natur.
a) Das scheint nicht. Denn: I. Schon der Name „Hierarchie“ heißt „heilige Herrschaft“; und Dionysius (3. de coel. hier.) setzt die „möglichste Gottähnlichkeit“ in die Definition. Die Heiligkeit und Gottähnlichkeit aber in den Engeln kommt von der Gnade. II. Seraphim bedeutet „Entzündende“. Das gehört aber zur Liebe, welche von der Gnade kommt wie aus Röm. 5, 5. hervorgeht. Diese Stelle nämlich geht nicht nur auf die heiligen Menschen, sondern nach Augustin (de Civ. 12, 9.) auch auf die heiligen Engel. III. Die himmlische Hierarchie ist das Muster und Modell für die kirchliche. Die Rangstufen in der Kirche aber beruhen auf der Gnade; nicht auf der Natur. Denn das wird nicht der Natur gedankt, daß einer Bischof ist und der andere ein Priester. Also ist dies auch bei den Engeln den Fall; nur allein von der Gnade kommt ihr Unterschied. Auf der anderen Seite sagt Petrus Lombardus (9. dist. Sent. 2.): „Als Engelordnung oder als Engelchor wird eine Menge der himmlischen Geister bezeichnet, die einander ähnlich sind sowohl in den Gnadengaben wie sie auch in der Teilnahme an den natürlichen Gaben übereinkommen.“ Also nicht nur nach Gnadengaben unterscheidet sich ein Chor vom anderen, sondern auch gemäß den natürlichen Gaben.
b) Ich antworte, daß die Ordnung, der gemäß die Vielheit, welche in einer Herrschaft inbegriffen ist, regiert wird, abhängt vom Zwecke. Der Zweck der Engel kann nun in doppelter Art genommen werden: einmal mit Rücksicht auf ihre natürlichen Kräfte, daß sie nämlich mit einer aus der Natur geschöpften Kenntnis und Liebe Gott erkennen und lieben; — und demgemäß werden die Chöre und Hierarchien der Engel unterschieden nach Maßgabe ihrer natürlichen Gaben. Dann wird der Zweck der Engel betrachtet mit Rücksicht auf das, was ihre natürlichen Kräfte übersteigt; insoweit sie Gott unverrückbar deshalb erkennen und lieben, weil sie sein Wesen schauen. Dazu können sie nur durch die Gnade gelangen; — und nach dieser Seite werden die Chöre und Hierarchien der Engel unterschieden gemäß den Gnadengaben; jedoch nur insoweit diese Gnadengaben das vollenden, wozu die Naturgaben bereits vorbereitet und disponiert hatten. Denn den Engeln sind die Gnadengaben verliehen je gemäß der Fähigkeit des Natürlichen in einem jeden. Letzteres aber findet bei den Menschen nicht statt, wie Kap. 62, Art. 2 und 3 gesagt worden. Also werden bei den Menschen die Rangstufen in der kirchlichen Hierarchie nur unterschieden auf Grund unverdienter Gnadengaben und nicht auf Grund der Natur.
c) Damit ist zugleich geantwortet auf die Einwürfe.
