Sechster Artikel. Der Wille, welcher der irrtümlichen Vernunft folgt.
a) Ein solcher Wille scheint gut zu sein. Denn: I. Wie der Wille, der von der irrenden Vernunft abweicht, auf das gerichtet ist, was die Vernunft als ein Übel erachtet; so der mit der irrenden Vernunft übereinstimmende Wille auf das, was die Vernunft für ein Gut ansieht. Jenes Wollen aber ist schlecht; also ist dieses gut. II. Der mit dem ewigen Gesetze und dem göttlichen Gebote übereinstimmende Wille ist gut. Dieses Gesetz aber wird durch die Vernunft vorgelegt und verpflichtet demgemäß. Irrt also die Vernunft und der Wille folgt ihr, so ist letzterer doch gut. III. Der Wille, welcher mit der irrtümlichen Vernunft nicht übereinstimmt, ist schlecht. Wäre also der Wille, welcher mit der irrtümlichen Vernunft übereinstimmt, auch schlecht, so würde der betreffende Mensch mit Notwendigkeit sündigen und perplex sein. Auf der anderen Seite war der Wille jener, welche die Apostel töteten, schlecht; jedoch gleichförmig mit ihrer irrtümlichen Vernunft nach Joh. 16.: „Es kommt die Stunde, da jeder, der euch tötet, glauben wird, Gott zu gehorchen.“ Also war der Wille schlecht, obwohl er der irrenden Vernunft irrte.
b) Ich antworte, die berührte Frage ist die nämliche wie die, „ob das irrtümliche Gewissen entschuldigt.“ Die Antwort hängt von dem ab, was über die Unkenntnis Kap. 6, Art 8 gesagt worden. Da nämlich ein Akt insofern den Charakter eines moralischen trägt als er freiwillig ist, so hebt jene Unkenntnis, welche den Charakter des Freiwilligen entfernt, auch den des moralisch Guten und Bösen auf; nicht aber jene, welche nicht Ursache des „Unfreiwilligen“ ist. Eine Unkenntnis nun, welche irgendwie, ob direkt oder indirekt, gewollt ist, hebt nicht das Unfreiwillige auf; — und zwar spreche ich von einer direkt gewollten Unkenntnis, wenn sich auf dieselbe der Willensakt selber richtet; von einer indirekten, wenn Nachlässigkeit im Spiele ist, wenn also jemand vernachlässigt, das zu wissen, was zu wissen er gehalten ist. Irrt demgemäß das Gewissen oder die Vernunft, sei es direkt oder indirekt, in freigewollter Weise oder auf Grund von Nachlässigkeit, also in demnämlich, was gekannt sein müßte; dann ist diese Unkenntnis kein Entschuldigungsgrund für den schlechten Willen, der einer so irrenden Vernunft folgt. Entspringt aber der Irrtum aus der Unkenntnis eines Umstandes, ohne daß dieselbe irgendwie gewollt worden oder durch Nachlässigkeit veranlaßt sei, dann entschuldigt er; und der dementsprechende Wille ist nicht schlecht. So z. B. wenn die im Irrtume befindliche Vernunft vorschreibt, der betreffende Mensch solle mit der Frau eines Anderen sich unzüchtig benehmen, dann ist der dieser irrenden Vernunft folgende Wille schlecht: denn dieser Irrtum kommt aus der Unkenntnis des göttlichen Gesetzes, das zu wissen jeder gehalten ist. Wenn aber die Vernunft darin irrt, daß sie meint, die betreffende Frau sei die wirkliche Frau des Mannes und wenn sie dann vorschreibt, der Mann müsse auf ihr Verlangen die eheliche Pflicht leisten, so ist der Wille des Mannes, der dieser irrtümlichen Vernunft folgt, nicht schlecht; da eine solche Unkenntnis die Ursache ist vom Unfreiwilligen.
c) I. Da nach Dionysius, um etwas Gutes herzustellen, nichts in der verursachenden Kraft fehlen darf, für ein Übel aber im Gegenteil jeglicher Mangel genügt und nicht alle Mängel zusammen in den Ursachen vorhanden sein müssen; so genügt dafür daß etwas Sünde sei, ein einziger Fehler, sei es daß der Gegenstand in sich ein Übel sei, oder daß er als ein Übel aufgefaßt werde. Damit aber ein Gut bestehe, muß sowohl die Sache selber gut sein als auch die Auffassung es als ein Gut vorstellen. II. Das ewige Gesetz ist dem Irrtume nicht unterworfen; aber die menschliche Vernunft kann irren. Daher ist der mit der Vernunft gleichförmige Wille nicht immer recht und gerade; und nicht immer dem göttlichen Gesetze entsprechend. III. Wie in der Logik, wenn eine falsche Voraussetzung gemacht worden, vieles Unzukömmliche die Folge ist, so folgen im Moralischen einer Unzukömmlichleit notwendig viele andere. Sucht z. B. jemand eitlen Ruhm, so mag er, was er schuldig ist zu vollbringen, thun oder nicht; er sündigt in jedem Falle; — er sündigt aber nicht mit Notwendigkeit, weil er die böse Absicht von sich thun kann. So auch, wenn der Mensch in einem Irrtume der Vernunft oder des Gewissens sich findet, der aus Unkenntnis hervorgeht, soweit diese nicht entschuldigt; — ist es notwendig, daß ein Übel im Willen folge. Der betreffende Mensch ist durchaus nicht in unüberwindlicher Verlegenheit, er ist nicht perplexus; denn er kann den Irrtum vermeiden, sei es durch erhöhte Sorgfalt im Nachdenken sei es durch Änderung des Willens, der die Unkenntnis geradezu will.
