Vorrede.
S. 5 Ephraem der Syrer, der Heilige genannt, über dessen Leben und Bedeutung wir in der vorliegenden kleinen Schrift einige Aufschlüsse erhalten, lebte und wirkte zu einer Zeit, wo die christliche Kirche zum ersten Male ihr Haupt frei und unangefochten erheben durfte und Staatsreligion wurde. Der römische Kaiser war Christ geworden, der Beherrscher des Erdkreises stand selbst als Beschützer, als Vorkämpfer des christlichen Glaubens da: so waren für die Kirche die Fesseln der äussern Knechtschaft gefallen, der Kampf gegen das Heidenthum war siegreich durchgefochten. — Da aber begann auch schon der Irrglaube sein Haupt mächtig zu erheben. So lange die Wahrheit noch nicht anerkannt, so lange der rechte Glaube noch unterdrückt war, so lange konnte auch der Irrthum, der sich schon früh in allen möglichen Formen in die christliche Lehre eingeschlichen, nicht frei und stark hervortreten. Jetzt war der Wahrheit die Bahn gebrochen; auch der Irrthum wollte sich geltend machen. Zahllose Secten gebar das erste Jahrhundert der christlichen Freiheit (das vierte unserer Zeitrechnung) und gerade in einem S. 6 Lande, das mit ein Anrecht hatte, sich die Wiege des Christenthums zu nennen, in Syrien.
In diesem Lande und zu dieser Zeit lebte Ephraem, ein Mann, dessen höchstes Streben, dessen ganzes Glück es war, seinem Heilande treu zu leben, auch im Kleinsten ihm zu folgen, von früher Zeit an ein Diener des wahren Glaubens; hatte er doch seine Erziehung von einem Manne genossen, der selbst ein „wahrer Hirt seiner Heerde“ war, von dem Bischofe Jacob von Nisibis, einem der berühmtesten Glaubenshelden der orthodoxen syrischen Kirche.
Ephraem, so ganz in der reinen Lehre erzogen, fühlte den Beruf gegen den Irrglauben seiner Zeit, gegen jene Seelen auftreten zu müssen, und er hatte die geistige Kraft dazu; im reichlichen Maasse war sie ihm von Gott verliehen. Er belehrete die Irrenden, oder, achteten sie seiner Lehren nicht, bekämpfte er sie mit den Waffen seines scharfen Geistes. Seinen ganzen Reichthum von Schriften können wir betrachten, als aus diesem Kampfe für das Reich Gottes hervorgegangen; daher auch jene doppelte Weise des Auftretens gegen die Irrthümer in den Werken zu erkennen. Sie sind entweder belehrender oder polemischer Natur: zu jenen gehören ausschliesslich die Commentare, (mithin die ganze Prosa, die Ephraem hinterlassen), und manche von den Hymnen; zu diesen die Hymnen gegen die falschen Lehren „gegen die Scrutatoren“ und „die Juden“ (s. d. Anhang).
Die Sprache der Poesie wie der Prosa ist die vollendetste, die wir in Denkmälern syrischer Litteratur S. 7 finden; in der Poesie die Sprache der Begeisterung, in der Prosa die der ruhigen Weisheit.
Fassen wir also die Bedeutung der Werke Ephraem's für uns in's Auge, so ist sie eine zwiefache, einmal für die Theologie, dann aber für die orientalische Philologie. Jene wird sich aus den Werken das klarste Bild von dem Standpunkte der syrisch-christlichen Theologie zu Ephraem's Zeit, das klarste Bild von dem Geiste construiren können, der damals in den einzelnen Parteien der syrischen Kirche gelebt; diese aber muss an ihm den Meister der syrischen Sprache bewundern.
So verdienen denn Ephraem's Werke unter den Denkmälern der syrischen Litteratur gewiss vorzüglich der Beachtung und Bearbeitung, und giebt uns Gott ferner Kraft, so wollen wir rüstig für ihn arbeiten.1 — Als Einleitung zu diesem Werke übergeben wir den geehrten Lesern „das Leben Ephraem's“ eine Uebersetzung der syrischen Biographie Ephraem's, wie sie sich Opp. Ephr. Ed. Quir. tom. III. p. 1 sqq. findet (Auszüge des Textes sind in Assem. bibl. or. P. I. tom. I. p. 26 sqq. und Uhlemann syr. Gramm. a. E. enthalten), ferner die Uebersetzung der kleineren syr. Biographie (aus Assem. ibid. p. 52). Ausserdem haben wir versucht, die Zeit des Lebens Ephraem's nach Angaben, wie sie sich hier und da zerstreut fanden, möglichst S. 8 genau zu bestimmen. Ein Anhang endlich giebt das Verzeichniss der noch im Urtext vorhandenen Werke Ephraem's an. — In dieser Gestalt legen wir den geehrten Lesern die kleine Schrift vor und bitten insbesondere die Kenner diesen schwachen Versuch, einen grossen Mann der christlichen Kirche mehr aus dem Dunkel hervorzuziehn, milde und nachsichtig zu beurtheilen! —
Berlin, den 2. December 1852.
-
Was die schwierige Bearbeitung des poetischen Textes betrifft, so hat der verdienstvolle Hr. Oberkirchenrath Hahn schon früher in einer Ausgabe von 19 Hymnen Ephraem's den Weg derselben vorgezeichnet. ↩