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1. Überdies geziemt es sich aber auch nicht, bei dem Denken an göttliche Dinge von Wein beschwert zu sein; denn, wie der Lustspieldichter sagt, „Nicht viel zu denken zwingt der Wein im Übermaß“,1 wenn nicht gar dazu, überhaupt nicht mehr bei gesunden Sinnen zu sein. Gegen Abend aber zur Zeit der Hauptmahlzeit darf man Wein zu sich nehmen, wenn wir nicht mehr mit Lesen beschäftigt sind, das nüchterne Sinne verlangt.
2. Zu dieser Zeit wird aber auch die Luft kühler als untertags, so daß man die abnehmende natürliche Wärme durch Zufuhr von Wärme von außen ergänzen muß; 2 aber auch dann darf man nur wenig Wein zu sich nehmen; denn man darf beim Trinken nicht bis zu „den Mischkrügen der Hybris“ 3 gehen.
3. Denen aber, die bereits über das kräftige Mannesalter hinaus gealtert sind, soll man ein etwas fröhlicheres Genießen des Weins gestatten, damit sie in S. a32 unschädlicher Weise das Alter, dessen Lebenswärme erkaltet und mit der Zeit gleichsam dahinschwindet, durch das Heilmittel des Weinstocks neubeleben; denn zumeist sind auch die Begierden der Älteren nicht mehr so überschäumend, daß ein Schiffbruch infolge der Trunkenheit zu befürchten wäre.
4. Denn wie an Ankern sind sie durch Vernunft und Zeit im Hafen festgelegt und können so den infolge der Trunkenheit hereinbrechenden Sturm der Begierden leichter aushalten; 4 sie dürfen deshalb beim Essen vielleicht auch etwas Scherz treiben. Aber auch für sie muß es eine Grenze im Trinken geben: Sie dürfen nicht mehr trinken, als daß sie den Verstand noch unerschüttert erhalten und das Gedächtnis noch wirksam und den Körper vom Wein noch nicht zum Wanken und Schwanken gebracht. Leicht betrunken (ἀκροθώραξ) 5 nennen einen solchen die auf diesem Gebiet Sachverständigen.
