25. Kap. Die allgemein und nicht allgemein anerkannten Schriften der Bibel.
Es dürfte am Platze sein, hier die erwähnten Schriften des Neuen Testamentes zusammenzufassen.1 An die erste Stelle ist die heilige Vierzahl der Evangelien zu setzen, an welche sich die Apostelgeschichte anschließt. Nach dieser sind die Briefe des Paulus einzureihen. Sodann ist der sog. erste Brief des Johannes und in gleicher Weise der des Petrus für echt zu erklären. Zu diesen Schriften kann noch, wenn man es für gut hält, die Offenbarung des Johannes gezählt werden, über welche verschiedene Meinungen bestehen, die wir bei Gelegenheit angeben werden. Die erwähnten Schriften gehören zu den anerkannten. Zu den bestrittenen aber, welche indes gleichwohl bei den meisten in Ansehen stehen, werden gerechnet der sog. Jakobusbrief, der Brief des Judas, der zweite Brief des Petrus und der sog. zweite und dritte Johannesbrief, welche entweder dem Evangelisten oder einem anderen Johannes zuzuschreiben sind. Zu den unechten Schriften sind zu zählen die Paulusakten, der sog. Hirt, die Offenbarung des Petrus,2 ferner der sog. Barnabasbrief, die sog. Apostellehre und, wie ich schon sagte, auch noch, wenn man will, die Offenbarung des Johannes, welche, wie erwähnt, von den einen verworfen, von anderen aber zu den echten Schriften gerechnet wird. Zu den unechten zählten nun manche auch das Hebräerevangelium, das vor allem bei den Hebräern, welche sich zum Christentum bekehrt haben, Ansehen genießt.3 Mögen auch alle diese Schrif- S. 134 ten zu den bestrittenen gehören, so hielten wir es doch für notwendig, auch sie aufzuzählen, zum Unterschied von den in der kirchlichen Überlieferung allgemein als wahr und unverfälscht anerkannten Schriften und denen, welche daneben, wenn auch nicht zum Kanon gehörig und sogar bestritten, gleichwohl bei sehr vielen Kirchenmännern Beachtung finden, und in der Absicht, daß wir sie kennen und kennen die Schriften, die von den Häretikern unter dem Namen von Aposteln z. B. eines Petrus, eines Thomas, eines Matthias4 in Umlauf gesetzt worden sind oder Evangelien von noch anderen Männern oder die Akten eines Andreas, Johannes5 oder weiterer Apostel enthalten. Kein in der Überlieferung anerkannter kirchlicher Schriftsteller hat diese letzteren Schriften irgendwo der Erwähnung gewürdigt. Überdies weicht auch die Art ihrer Darstellung von der der Apostel ab. Auch ihre Gedanken und das in ihnen zum Ausdruck kommende Streben stehen im stärksten Gegensatz zu der wahren, echten Lehre und geben dadurch deutlich zu erkennen, daß sie Häretiker zu Autoren haben. Man darf sie daher nicht einmal zu den unechten Schriften zählen, sondern muß sie als vollendeten Unsinn und als religionswidrig verwerfen.
Doch verfolgen wir die Geschichte in ihrem weiteren Verlaufe! S. 135
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Vgl. P. Dausch, „Der Kanon des Neuen Testamentes“4, in Bibl. Zeitfragen I 5 (Münster i. W. 1921). ↩
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Vgl. oben III 3 (S. 101). ↩
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Das Hebräerevangelium wurde von Hegesippus (Eusebius, Kirchengesch. IV 22), Klemens v. Alex., Strom. II 45, 5 (vgl. V 96, 3), Origenes, Joh.-Kommentar 2, 87 (vgl. Jeremiashomilie 15, 5) als evangelische Geschichtsquelle benützt. Später wurde es zu den häretischen Apokryphen gerechnet. Nach Hieronymus ist es eine aramäische Bearbeitung des Matthäusevangeliums und identisch mit dem Nazaräerevangelium, das bei der judenchristlichen Gemeinde von Beröa in Cölesyrien in Gebrauch war. Vgl. R. Handmann, „Das Hebräerevangelium“, in TU 5, 3 (Leipzig 1888); Th. Zahn, „Geschichte d. neutest. Kanons“ II 642 ff.; A. Schmidtke, „Neue Fragmente und Untersuchungen zu den judenchristlichen Evangelien“, in TU 37, 1 (Leipzig 1911) S. 41 ff.; M. J. Lagrange, „L’Evangile selon les Hébreux“, in Revue biblique 31 (1922) S. 161 ff, 321 ff.; E. Hennecke, „Neutestamentliche Apokryphen“2 (1924) S. 48—55. ↩
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E. Hennecke. „Neutest. Apokr.“2 S. 59 ff., 63 ff., 93 ff. ↩
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Ebd. S. 171ff., 249 ff. ↩